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Nicht im Bild: der Stier, dem Poulter ausweicht

US Open 2018 – Teil 2

Déjà-vu hoch drei

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Willkommen bei den US Open 2004, bei denen die Grüns erbarmungslos, die Scores hoch und die Nerven der Spieler bis zum Zerreißen gespannt sind. Turnierdirektor Mike Davis unternimmt derweil den unglücklichen Versuch, die Verantwortung für ein erneut verbocktes Platz-Setup nach oben weiterzureichen: "Mutter Natur nimmt immer einen Platz am Tisch ein, wenn wir das Setup des Platzes besprechen. Heute hat sie sich lautstark zu Wort gemeldet", und vergisst dabei, dass die USGA trotz Jahren der Diskussionen und der Vorbereitung die wichtigste Lektion aus Shinnecock 2004 nicht gelernt hat. Dieser Platz ist nichts anderes als ein Links-Platz, auf Sand gebaut und den Elementen schutzlos ausgeliefert. Würde der R&A vor einer Open Championship den Old Course oder Carnoustie so herrichten, wie es die USGA jedes Jahr mit ihrem US-Open-Austragungsort macht, wäre das einzige Major Europas längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, da es kein Golfturnier wäre, sondern vielmehr einer Lotterie gleichkommen würde. Es gibt einen guten Grund dafür, warum die Grüngeschwindigkeiten auf den Links-Plätzen der Open Championship Jahr für Jahr die niedrigsten aller vier Major-Turniere sind, die Grüns wären sonst schlicht unspielbar. Shinnecock Hills ist eines des besten Designs der Vereinigten Staaten und jederzeit einer US Open würdig, die USGA sollte jedoch endlich lernen, dass die alte Formel "knietiefes Rough + staubtrockene Fairways x pfeilschnelle Grüns = vorbildliche US Open" keinen Sinn ergibt, wann immer die amerikanische Meisterschaft hier in den Hamptons ausgetragen wird.

US Open 2018: Wünscht man niemandem: solch einen Gesichtsausdruck vom Doktor vor der Untersuchung
Wünscht man niemandem: solch einen Gesichtsausdruck vom Doktor vor der Untersuchung

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US Open sind niemals einfach. Das war ein unglaublich harter Test für uns alle heute. Einige haben ihn bestanden, andere nicht. - Ian Poulter
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Doch die dicksten Schlagzeilen des Tages hat sich Phil Mickelson verdient mit einer Aktion auf dem 13. Grün, die man sonst nur von kleinen Kindern auf dem Minigolfplatz oder von Golfern auf völlig bedeutungslosen Montagvormittagsrunden kennt. Bis zu jenem schicksalshaften 13. Grün war es ein bittersüßer Tag für Geburtstagskind Phil Mickelson, der von den Fans mit einem Ständchen auf dem ersten Abschlag begrüßt wurde. Fünf Bogeys auf den ersten elf Löchern sägten allerdings derart penetrant am Nervenkostüm des Kaliforniers, dass es auf Loch 13 nach einem erneut viel zu schnell gespielten Putt den Dienst quittierte. Mickelsons Zwischenspurt, um seinen Ball daran zu hindern, sich vom Grün zu verabschieden, wurde noch an Ort und Stelle von den Platzrichtern nach Regel 145 mit zwei Strafschlägen bestraft, doch die Diskussion, ob hier nicht Regel 12 und damit die Disqualifikation angemessen gewesen wäre, wird Mickelson noch lange begleiten. Dass mit Daniel Berger und Tony Finau zwei Spieler, die bisher völlig unter dem Radar flogen, nach brillanten 66er-Runden am nächsten Morgen gemeinsam im letzten Flight in die Finalrunde der US Open starten werden, scheint zu diesem Zeitpunkt noch niemand realisiert zu haben.

SPIEL'S NOCH EINMAL, BROOKS
Auch am Sonntag präsentiert sich Southampton in feinstem Champagnerwetter und in der Skybox hoch über der riesigen Tribüne neben Grün 16 fließen Bier und Margaritas in Strömen. Die glücklichen Besitzer von VIP-Pässen, die den Eintritt hier hinauf ermöglichen, sind zwar allesamt längst nicht mehr in der Lage, ein Kfz zu steuern oder auch nur in einer geraden Linie zu laufen. Ihre Einschätzung der sich vor unseren Augen entfaltenden Finalrunde ist jedoch auf den Punkt. "Der Shit-Job der USGA gestern hat dafür gesorgt, dass das Feld heute nah beieinanderliegt. Gut gemacht!", freut sich Andy, nach eigenen Angaben Besitzer einer kleinen Pizzeria in Brooklyn oder einfach nur ein für New York nicht untypisches Großmaul.

Dennoch hat er absolut recht, denn der grenzwertige Golfplatz des Vortags hatte für das Turnier denselben Effekt wie das Safety-Car für einen Formel 1 Grand Prix: Ein versprengtes Starterfeld mit einem souverän Führenden wurde wieder zusammengeführt und so gehen an diesem Sonntag mindestens zehn Spieler auf die letzte Runde in Shinnecock und können sich berechtigte Hoffnungen machen, am Ende des Tages die US Open Trophy in Empfang zu nehmen. Zuvor stellte jedoch eine ganze Armee älterer Herren in USGA-Jackets seit den frühen Morgenstunden jedes der 18 Grüns aufsuchend sicher, dass sich das Chaos und das Gemetzel des Samstags nicht wiederholt. Fünf Fahnenpositionen, die bereits vor Wochen für die Finalrunde festgelegt wurden, werden wenige Stunden bevor "Beef" Johnston als Einzelkämpfer den Finaltag eröffnet, sichtlich entschärft.

US Open 2018: Unschöne Situation: wenn sich die Exfreundinnen zusammentun
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Selbstverständlich bekommt Johnston, als er in Richtung 16. Grün marschiert, von Andy und seinen Freunden das obligatorische "Beeeeeef!" entgegengeschleudert, Phil Mickelson muss sich Schmähgesänge wegen seines gestrigen Aussetzers anhören und Ian Poulter bleiben auch heute die Beleidigungen nicht erspart, über die er sich am Vorabend auf Twitter Luft verschafft hat. New Yorker Sportfans sind alles andere als Klosterschüler und mit Blick auf den Ryder Cup, der 2024 im Bethpage State Park nur wenige Kilometer außerhalb von Queens stattfinden wird, sollten potenzielle europäische Teammitglieder schon jetzt mit Sitzungen beim Psychiater beginnen, denn diese Woche wird nichts für schwache Gemüter werden. So ruppig New Yorker auch sein mögen, sie sind in der Lage, sportliche Heldentaten zu erkennen und zu feiern, und so stimmt die gesamte Tribüne in "Fleetwood! Fleetwood!"-Schlachtrufe ein als der Engländer zielstrebig das majestätische 16. Fairway hinaufmarschiert. Längst hat die Runde gemacht, dass Fleetwood sich in einen wahren Rausch gespielt hat, nach vier aufeinanderfolgenden Birdies auf den Löchern 12 bis 15 nun bei sieben unter Par für die Runde liegt und Historisches vollbringen kann. Doch seine Birdie-Putts auf den Löchern 16 und 18 rasieren die Lochkanten und so bleibt Branden Grace weiterhin der einzige Spieler in der Geschichte des Golfsports, dem eine 62 bei einem Major gelang. Die Rekordrunde hätte Tommy einen Platz im Playoff gegen Brooks Koepka beschert und es hätte ihn nicht einmal gewundert, denn am Morgen hatte er sich einen kühnen Schlachtplan zurechtgelegt: "Ich habe vor der Runde mit meinem Caddie gesprochen und meinte: 'Lass uns die niedrigste Runde in der Geschichte der US Open spielen, dann haben wir eine Chance.'" Nur wenige Zentimeter fehlten und diese Fantasterei wäre Wirklichkeit geworden, doch gegen eine beeindruckend nervenstarke 68 von Brooks Koepka war am Sonntag der 118. US Open nichts auszurichten. Das Masters hatte der Titelverteidiger noch wegen einer Handverletzung verpasst, die ihn wochenlang vor den Fernseher verbannte und zeitweilig sogar das Verrichten einfachster Handgriffe verhinderte. Doch nach Shinnecock war der extrem wettkampforientierte Weltranglistenneunte mit einem unerschütterlichen Bild seiner eigenen Rolle im Turnier angereist: "Niemand in diesem Starterfeld verfügt über mehr Selbstvertrauen als ich", lautete seine Selbsteinschätzung zu Beginn der Woche. Selbst eine Horrorlage nach einem gepullten Pitching Wedge an der äußerst kniffligen 11 war an diesem Sonntag keine unlösbare Aufgabe für Koepka. Seine Entscheidung, den Ball von hinter der Fahne absichtlich in den Bunker vor dem Grün zu spielen, um so eine Chance auf ein Bogey zu haben, zeigt nicht nur, wie abgezockt der 27-jährige Amerikaner Golf spielt, sondern verdeutlicht auch, dass er über alle Attribute verfügt, die es braucht, um auf einem Golfplatz dieses Kalibers gegen die besten Spieler der Welt zu bestehen. Seine Titelverteidigung unter vollkommen unterschiedlichen Bedingungen verglichen mit dem ersten Major-Sieg 2017 in Erin Hills unterstreicht, dass Brooks Koepka zu den komplettesten Golfern der letzten Jahre zählt, ohne dass eine Schwäche in seinem Spiel erkennbar wäre. Und sein schier unendliches Selbstvertrauen? Das speist sich aus einer ausgeprägten "Mein Team und ich gegen den Rest der Welt"-Mentalität. "Ich fühle mich immer übersehen", verriet er nach der Runde mit Medaille um den Hals und mit silberner US-Open-Trophäe in der Hand, "aber nichts könnte mich weniger kratzen. Das zweite Major zu gewinnen ist noch deutlich befriedigender als der erste Sieg. Ich hoffe, es kommen noch einige Siege hinzu." Andy begleitet uns derweil in Richtung Parkplatz, wird langsam wieder nüchtern und hat einen erstaunlichen Fakt auf Lager: "Mit Rory McIlroy, Jordan Spieth und Brooks Koepka haben wir nun drei Spieler unter 30 auf der Tour, die bereits mehrfache Major-Sieger sind. Ich glaube, um den Golfsport steht es wirklich blendend." Der Mann hat schon wieder recht.

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