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Inside the Ropes

US Open 2019

Von Tim Southwell, Fotos: Rolex, Getty Images, Tim Southwell

Ist das noch Arbeit oder doch schon Urlaub auf dem schönsten Golfplatz des Planeten? In Pebble Beach sehen wir die Zukunft des europäischen Golfsports (aus Norwegen), die Zukunft der Golfmode (Lyle & Scott x Malbon) und irgendwann dann auch den gegenwärtigen US Open Champion.

Wenn man seine erste US Open besucht, dann kann es dafür nur einen Ort geben: Pebble Beach. Es braucht noch nicht einmal einen 55-Zoll-Ultra-HD-Flatscreen, um die Schönheit der majestätisch am Kliff brechenden Wellen, die atemberaubenden Aussichten über Carmel Bay und die Perfektion der von Jack Neville und Douglas Grant erbauten Golflöcher von zu Hause aus erahnen zu können. Mein alter Röhrenfernseher reichte im Jahr 2000, um Tigers unglaublichen Sieg mit 15 Schlägen Vorsprung förmlich aufzusaugen. Aber wirklich dort sein? Etwas völlig anderes und so sitze ich voller unbändiger Vorfreude in Heathrow und kann es kaum fassen: meine erste US Open live vor Ort! Warum das in meinen beinahe 20 Jahren als Golfschreiber bisher noch nicht geklappt hat? Was soll's...

Zwölf Stunden später und von Jetlag gezeichnet setze ich zum ersten Mal einen Fuß auf die heiligen Fairways. Dies ist also der Schauplatz von Jack Nicklaus' magischem Eisen 1, das 1972 am 17. Loch den Flaggenstock traf und Bruce Crampton den Rest gab. Hier versenkte Tom Watson zehn Jahre später den Chip seines Lebens und diesmal war es Nicklaus, der bedröppelt aus der Wäsche schaute. Mein Lieblings-US-Open-Moment in Pebble Beach trug sich allerdings 2010 zu, als Graeme McDowells Caddie "G-Mac" überredete, am letzten Loch des Finaltags nicht mit zwei Schlägen das Grün zu attackieren, sondern vorzulegen und mit einem sicheren Par den Sack zuzumachen. Als sein Ball damals im Loch verschwand, konnte man den Jubel der Golffans in Nordirland quer durch ganz Europa hören.

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ZWEI MODELLATHLETEN - ODER SOLLTE MAN BESSER SAGEN: KAMPFMASCHINEN -, DIE EIGENTLICH LIEBER BASKETBALL BEZIEHUNGSWEISE BASEBALL SPIELEN WÜRDEN, HAUEN SICH IM FERNDUELL DIE BÄLLE UND BIRDIES UM DIE OHREN.
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Nun stehe ich hier an einem wolkenverhangenen Dienstag und lasse meinen Blick über die beinahe schon surreal schöne Szenerie am Arrowhead Point, an dessen Spitze das siebte Grün und der achte Abschlag liegen, schweifen. Brooks Koepka wartet samt Caddie und einer beeindruckenden Entourage darauf, dass das achte Fairway endlich frei ist und er seinen Abschlag den Hügel hinaufprügeln kann. Doch halt! Was macht der Typ da? Sehe ich richtig? Tatsächlich, er schneidet seine Fingernägel. Man stelle sich vor: Zum ersten Mal seit 1905 könnte es einem Golfer gelingen, das härteste Major des Jahres dreimal in Folge zu gewinnen, und Brooks Koepka nimmt diese historische Chance so derartig gelassen hin, dass er die Proberunden zur Körperpflege nutzt. Noch cooler kann man als Titelverteidiger kaum auftreten.

FEUER FREI!


Kontroversen suchen die US Open mit schmerzhafter Regelmäßigkeit heim. Das Rough ist zu gnadenlos, die Grüns sind zu hart - man kennt die Vorwürfe. Jordan Spieth blökte 2015 auf dem 18. Loch von Chambers Bay ins Mikrofon: "Das ist das dämlichste Golfloch, das ich jemals gesehen habe." Und gewann kurze Zeit später auf genau dieser Spielbahn seinen zweiten Major-Titel. Gute Scores gehören daher nicht wirklich zum Script einer US Open.

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Als die Runden am frühen Donnerstagvormittag dann endlich zählen und das Turnier beginnt, hält sich Scott Piercy allerdings ganz und gar nicht an das Drehbuch der USGA und beginnt mit drei Birdies und einem Eagle auf den ersten drei Löchern wie im Rausch. Jon Rahm beginnt seine US Open 2019 mit drei aufeinanderfolgenden Birdies und in mir kommt der Verdacht auf, Pebble Beach könnte die erste Runde abgeben wie ein Boxer, der seinen Gegner offenbar schmerzhaft unterschätzte. Mit einem Doppel-Bogey an der 8 holen die Golfgötter Piercy allerdings schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und auch Rahms Sensationsauftakt kühlt im weiteren Verlauf der Runde doch deutlich ab.

Ich habe derweil eine Verabredung, die das volle Pebble Beach VIP Treatment verspricht. Die britische Golfmodemarke Lyle & Scott rührt hier ganz groß die Werbetrommel für die Kollaboration mit dem übercoolen Mode-Label Malbon Golf und ich stehe auf der Gästeliste. Da Geld an Orten wie Pebble Beach eine Selbstverständlichkeit ist, kommt es hier darauf an, wer wen kennt, und so stellt sich heraus, dass Erica Malbon (Mitgründerin und Ehefrau von Stephen Malbon) ein Mädchen namens Maddie kennt, deren Großmutter ein gigantisches Anwesen unmittelbar hinter dem 10. Grün von Pebble Beach ihr Eigen nennt. Dort wird heute Nachmittag ein nettes Treffen Gleichgesinnter stattfinden, zu dem man selbstverständlich in schwarzen Cadillac Escalades chauffiert wird. Vorbei an Tausenden Golffans, die glauben müssen, hinter den getönten Scheiben sitze Tiger Woods höchstpersönlichn, geht es quer über die Anlage und selbst Graeme McDowell in einem lächerlich untermotorisierten Golfcart kann uns nicht folgen.

Inside the Ropes: Hände hoch: Wer hat keinen Eintritt bezahlt?
Hände hoch: Wer hat keinen Eintritt bezahlt?
Ein paar Bier später findet sich plötzlich Rickie Fowler an der Spitze des Leaderboards wieder und ich habe genug vom abgesperrten VIP-Bereich. Es wird Zeit, Tiger zu finden, was natürlich ein naiver Gedanke ist, denn bei Events dieser Größenordnung findet man Tiger nicht - er findet einen. Wo immer eine Menschentraube bereits auf Kilometer Entfernung zu sehen ist, die aussieht, als wäre der Erlöser höchstpersönlich erschienen, geht der amtierende Masters Champion gerade seiner Arbeit nach. Dorthin pilgern? Sinnlos! Nur eine Taktik verspricht Erfolg: vier Spielbahnen vor Tiger Woods das Basislager beziehen und warten, bis der Zirkus an diesem Grün haltmacht.

Unsere GolfPunk-Periskope erweisen sich wieder einmal als ein Segen und eine vertane Businessidee gleichermaßen, denn die Angebote, uns bis zu 100 Dollar für die Spielzeuge zu überlassen, gehen in die Dutzende. Jedoch ist es an einem Ort wie diesem nahezu unmöglich, sich ständig auf Golf zu konzentrieren, zu grandios sind die Ausblicke auf die Stillwater Cove und die zahlreichen Jachten, die dort draußen vor Anker gegangen sind.

 

LEADERBOARD U.S. OPEN 2019

PosNameLandR1R2R3R4TotalPar
1WOODLAND, GaryUSA68656969271-13
2KOEPKA, BrooksUSA69696868274-10
T3SCHAUFFELE, XanderUSA66737167277-7
T3RAHM, JonSPA69707068277-7
T3REAVIE, ChezUSA68706871277-7
T3ROSE, JustinENG65706874277-7
T7SCOTT, AdamAUS70697168278-6
T7OOSTHUIZEN, LouisZAF66707072278-6
T9STENSON, HenrikSWE68717070279-5
T9HADLEY, ChessonUSA68707071279-5

Keinen Sinn für die Schönheit dieses Fleckchens Erde hat an diesem Nachmittag jedoch Jordan Spieth, der sich auf Loch 8 eine hitzige Debatte mit seinem Caddie Michael Greller liefert, nachdem der Abschlag mit dem Eisen 4 mehr als 250 Meter weit über das Fairway hinaus rollte und im Pazifik verschwand. Auch Spieths nächster Schlag aus knapp 150 Metern auf das gefühlt postkartengroße Grün verfehlt sein Ziel deutlich und dem Champ von 2015 brennen die Sicherungen durch. "Zwei perfekte Schläge!", grummelt er. "Zwei perfekte Schläge, Michael, und du hast mich ins Wasser und über das Grün gelotst." Autsch! Ein derartig öffentliches Abkanzeln des eigenen Caddies kommt nicht gut an - weder hier auf der Anlage noch in den sozialen Medien -, und als die erste Runde mit Justin Rose als Führendem zu Ende geht, gibt es online nur ein Thema: der schief hängende Haussegen bei dem vermeintlichen Traumpaar Spieth/Greller.

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