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Kevin Craggs

IMG Academy

Schule der Toursieger

Von Jan Langenbein, Fotos: Karen Arango, PR

Tennislegenden, Super-Bowl-Gewinner, Toursieger - an der Westküste Floridas produziert ein Sportinternat der Superlative Tag für Tag Spitzensportler. Verantwortlich für die Golfer dieser Talentschmiede ist ein Schotte, der auf mehr als nur den perfekten Schwung achtet.

Eigentlich sollten hier und heute Tausende Golfbälle geschlagen werden, doch die Driving Range der IMG Academy in Bradenton ist beinahe menschenleer. Einige wenige zu Hause Gebliebene feilen in einer Ecke unter Palmen, die zumindest ein wenig Schatten spenden, an ihren Schwüngen. Denn auch im Dezember ist die Sonne Floridas ein echtes Biest. Ein Großteil der derzeit 198 jungen Golferinnen und Golfer, die hier in der Academy nicht nur zur Schule gehen, sondern auch zu exzellenten Athleten ausgebildet werden, spielt gerade ein Turnier in einer anderen Ecke des Sunshine State oder absolviert eine "self managed practice round" auf dem akademieeigenen 18-Loch-Championship-Course, wie Kevin Craggs, Direktor des Golfprogramms an der IMG Academy, es nennt. Nur deshalb hat der 54-jährige Schotte Zeit für eine ausgiebige Tour durch sein Reich. Doch zunächst ein kurzer Blick auf die Geschichte dieses Sportinternats der Superlative: 1978 als Nick Bollettieri Tennis Academy vom gleichnamigen legendären Tennis-Coach gegründet, der neben Boris Becker unter anderem auch Andre Agassi und Monica Seles von klein auf betreute und die Williams-Schwestern trainierte, übernahm der Sportmanagement-Gigant IMG die Tenniskaderschmiede im Jahr 1987. Mit dem Zukauf der David Leadbetter Golf Academy kam 1993 Golf als zweite Sportart hinzu, ein Jahr später folgten Fußball und Baseball. Mittlerweile werden zehn Disziplinen in der IMG Academy angeboten, deren Fläche auf knapp 2,5 Quadratkilometer Land angewachsen ist. Darauf finden sich mehr als 650 Zimmer für die Schülerinnen und Schüler aus aller Welt, ein 5.000 Zuschauer fassendes Stadion und Trainingseinrichtungen wie das 2016 eröffnete Gatorade Sports Science Institute, nach dem sich sogar Bundesliga-Vereine die Finger lecken würden. Die Sportstätten hier sind derart modern, dass während der Lockdowns 2020 die gesamte WNBA-Saison in den Basketballhallen der Akademie ausgespielt wurde. Rund 1.350 Schüler besuchen zurzeit das hier beheimatete Sportinternat und hoffen auf eine Footballkarriere nach Vorbild eines Eli Manning, den Erfolg von Michael Beasley auf dem Basketballcourt oder Toursiege wie von Paula Creamer, Sean O'Hair oder Nelly Korda, allesamt Absolventen der IMG Academy.

"Nicht jeder ist für diesen Ort hier gemacht", stellt Kevin zu Beginn klar. "Das Umfeld ist nicht einfach, wir haben hier Zwölf-Stunden-Tage. Die meisten Golfer, die aufs College wechseln, berichten mir danach, dass das Leben an der Uni spürbar einfacher wurde."

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WAS TUN WIR HIER? GANZ EINFACH: UNSER ZWECK IST ES, SCHÜLER AUFS COLLEGE VORZUBEREITEN UND DORTHIN ZU VERMITTELN. PUNKT.
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Seit 2019 leitet Craggs die Golfsparte von Amerikas bekanntestem Sportinternat und weiß genau, wie viele der Jungen und Mädchen sich fühlen, wenn sie zum ersten Mal von ihren Eltern hier abgesetzt werden. Sein Vater stand im Dienst der Royal Air Force und Wohnortwechsel gehörten für Kevin Craggs zu seiner Jugend wie Fußball und Dosenbier. Insgesamt siebenmal wechselte er die Schule, ehe er beschloss, Golf zum Beruf zu machen, und 1987 ins Profilager wechselte. Doch der Erfolg auf der European Tour wollte sich nicht einstellen. "Meine Tourkarriere war wie die von MC Hammer: Missed Cut! Missed Cut! Missed Cut!" Ein Top-15-Ergebnis bei den Belgian Open sollte das Highlight seiner Laufbahn auf der Tour bleiben. Nach zahlreichen Verletzungen endete das Leben auf der Tour abrupt, als Kevin sich beim Training einen Schaft durch die Hand bohrte und es für eine gute Idee hielt, ihn selbst wieder herauszuziehen. Die Narbe an seiner linken Hand ist heute noch gut sichtbar. Kaum war die Profikarriere an den Nagel gehängt, entdeckte Kevin seine wahre Bestimmung: Coaching. Ausgestattet mit einem schier unendlichen Wissen über den Golfschwung, mit noch mehr Charisma und Selbstbewusstsein ist der Schotte auch heute noch ein Trainer und eine Führungsfigur, die Ansprachen halten kann, nach denen seine Athleten für ihn durch Wände rennen. Er coachte Profi-Legenden wie Paula Creamer und Colin Montgomerie, brachte strauchelnde Supertalente wie Melissa Reid wieder auf die richtige Spur und gab sogar keinem Geringeren als dem größten Bösewicht der Filmgeschichte Golfunterricht: Darth Vader, der mit bürgerlichem Namen übrigens David Prowse hieß und neben Schauspieler auch Fitnesstrainer war. Craggs trainierte das schottische Nationalteam, kommentierte Tour-Events an der Seite von Catriona Matthew und gründete Golfakademien an entlegenen Orten wie Uganda und Guatemala, um unterprivilegierten Kindern und Waisen den Zugang zum Sport zu ermöglichen.

Die Unterschiede zwischen einem Waisenhaus in Zentralamerika und einem Sportinternat wie der IMG Academy, in der sich die Studiengebühren für ein Jahr auf rund 90.000 Dollar belaufen, könnten kaum größer sein. Doch Kevin ist überzeugt, dass Training und Coaching von Jugendlichen nichts mit deren Herkunft zu tun haben. "Als ich das erste Mal hierherkam, müde von all den Reisen, die den Profizirkus ausmachen, wurde mir schlagartig klar: Ich habe so viel gelernt in den letzten 25 Jahren als Tour-Pro, Trainer und Coach und hier habe ich nun die Möglichkeit, etwas davon an Jugendliche zurückzugeben, die mir zuhören möchten."

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SCHULALLTAG


An der IMG Academy werden nicht vorrangig Profisportler herangezogen, sondern Persönlichkeiten ausgebildet. "Was tun wir hier? Ganz einfach: Unser Zweck ist es, Schüler aufs College vorzubereiten und dorthin zu vermitteln. Punkt", fasst der Akademieleiter seine Aufgabe zusammen. Beim Betreten des riesigen Golfkomplexes fällt den Besuchern das offensichtlich von Schülerhand geschriebene Mission-Statement der Schule ins Auge: "Cultivate and empower student athletes to understand their purpose so they can become the best version of themselves", steht dort in ausbaufähiger Kalligrafie geschrieben. "Die beste Version ihrer selbst werden" ist der Teil dieses Mantras, der Craggs besonders wichtig ist. Zwar hängen zahlreiche Bilder erfolgreicher Absolventen der Tour an derselben Wand, doch niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass jeder Schüler, der sich hier einschreibt, irgendwann zwangsläufig auf der PGA Tour Millionen einspielen wird. "Nicht jeder fährt zu den Olympischen Spielen und gewinnt die Goldmedaille. Vielleicht ist ein Schlagdurchschnitt von 80 für einen Schüler sein persönlicher Open-Championship-Sieg. Wir dürfen nicht denken, dass lediglich die Aufnahme ins Golfprogramm eines Top-College oder die Spitze der Amateurweltrangliste als wirklicher Erfolg angesehen werden kann. Erfolg muss individuell definiert und kann auf allen Ebenen erreicht werden."

Der Lehrplan an der IMG Academy besteht aus drei Elementen: ausbilden, sich im Wettkampf messen und Erholung. Interessanterweise haben Teenager am letzten Teil dieses Curriculums das geringste Interesse. Schlafzeiten einzuhalten, richtige Ernährung und das gelegentliche Eisbad - davon wollen 15-jährige Heißsporne nur selten etwas hören. Kevin versucht, das Interesse daran mit Beispielen ihrer Vorbilder zu wecken: "Wenn ich ihnen erzähle, dass Tourprofis alle drei Löcher einen Happen essen, dann habe ich zumindest ein Verständnis dafür geschaffen, dass Essen und Ernährung ein wichtiger Teil der Leistungsfähigkeit sind." Was die Schulbildung und das Golftraining angeht, so ist der tägliche Fortschritt das Wichtigste. Zwar kennt hier niemand Herbert Grönemeyer, dass Stillstand der Tod ist, würden aber die Coaches wie auch die Schüler der IMG Academy allesamt unterschreiben. An Fachidioten, die Bälle schlagen können, aber gleichzeitig an den simpelsten Schulaufgaben scheitern, hat Kevin kein Interesse und stellt klar, dass unter seiner Ägide die Noten genauso wichtig sind wie die Ergebnisse auf den Scorekarten: "Die letzten zwei Jahre haben wir den Scholastic Cup gewonnen, bei dem nicht nur die sportliche Leistung zählt, sondern auch der Notendurchschnitt und die Fehlzeiten beim Unterricht eine wichtige Rolle spielen. Wir haben ein sehr gutes akademisches Programm."

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Abseits der Klassenräume sorgen 16 Trainer und Coaches in den Bereichen langes Spiel, Putten, Kurzspiel und Platzstrategie zusammen mit einem großen Support-Team, das für die sportliche Leistungsentwicklung in den Bereichen mentale Stärke, körperliche Kondition, Ernährung und Charakterbildung zuständig ist, dafür, dass Tag für Tag an den golferischen Fähigkeiten gefeilt wird. Das Altersspektrum der Schülerinnen und Schüler an der IMG Academy erstreckt sich von elf bis 19 Jahren und so gliedert sich das Golfprogramm in drei Stufen. Die Jüngsten bekommen in der Middle School vor allem die Grundlagen des Teamworks, der körperlichen Koordination und des sozialen Miteinanders vermittelt. Keine einzelne Disziplin steht im Vordergrund, wie Kevin klarstellt: "Ich bin überzeugt davon, dass sich kein Kind unter elf auf eine einzelne Sportart konzentrieren sollte, besonders nicht auf Golf, denn Golf ist eine sehr insulare Sportart. Man trainiert allein, man verbessert sich allein und man tritt im Wettkampf allein und für sich selbst an." Grundlagen erlernen bedeutet für Kevin aber nicht nur das korrekte Set-up über dem Ball und eine saubere Schwungebene. "Die Tatsache, dass alle unsere 198 Schüler die Namen des Putzpersonals und der Greenkeeper kennen, ist enorm wichtig. Es gibt schließlich wichtigere Dinge im Leben, als einen Golfball geradeaus zu schlagen. Ich möchte keine Schüler unterrichten, die zwar regelmäßig eine 72 spielen, sich sonst aber wie komplette Arschgeigen benehmen."

Im High-School-Alter zwischen 14 und 18 Jahren beginnt dann die Spezialisierung in Sachen Sport. Gleichzeitig wachsen aber auch die schulischen und akademischen Anforderungen. Der dritte und letzte Teil des IMG-Academy-Programms liefert die Vorbereitung auf das nahende College, denn bei den ältesten Schülern hier ist das Ziel klar definiert: den Studienplatz an der gewünschten Universität ergattern. Es stehen daher Zeitmanagement, Planung und Verantwortungsbewusstsein der eigenen Person gegenüber im Mittelpunkt der Schulbildung - neben jeder Menge Golftraining, versteht sich. Mit 18 Jahren und einem High-School-Abschluss in der Tasche sind Schüler zwar vor dem Gesetz erwachsen, als Menschen sind sie es nach Kevins Ansicht jedoch noch lange nicht. "Doch wenn wir ihnen die Werkzeuge für ihr kommendes Leben vermittelt haben, wenn sie wissen, was gute Ernährung, ein respektvolles und faires Miteinander und natürlich auch ein gesundes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten bedeuten, dann kann eigentlich nicht viel schiefgehen." Gequält lächelnd fügt er hinzu: "Es gibt immer fünf Prozent Verrückte. Egal ob in einer Klasse, in einem Team oder in einem Unternehmen. Daran wird sich meiner Erfahrung nach nie etwas ändern."

 
Steckbrief

Steckbrief

NAME
Kevin Craggs

JAHRGANG
1969

WOHNORT
Bradenton, Florida

PROFI SEIT
1987

VITA (AUSZUG)
1990 bis 1995
Tour-Pro

2006 bis 2014
Coach des schottischen Damen-Nationalteams

2015
Cheftrainer der Scottish Golf Union

2016 bis heute
Coach von Tourspielern

2019 bis heute
Golf director IMG Academy
• Mehr als 50.000 Stunden erteilter Golfunterricht
• Trainierte vier Major-Sieger, drei Ryder-Cup-Spieler und vier Solheim-Cup-Teilnehmerinnen

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