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Luftpost: wenn Teebox und Drive-Landezone unterschiedliche Postleitzahlen haben

Kyle Berkshire – Teil 2

Voll auf Speed

Von Jan Langenbein

Wie sieht dein Athletiktraining aus, bei dem du keinen Golfschläger in der Hand hast?
Das Verhältnis verschiedener Trainingseinheiten hat sich im Vergleich zum Beginn meiner Karriere stark verändert. Bis 2019, als meine Ballgeschwindigkeit bei gerade einmal 220 Meilen pro Stunde lag, war es dringend nötig, mehr Speed aufzubauen. Also habe ich viel mehr Bälle geschlagen. Aber das kann man nur für eine gewisse Zeit aufrechterhalten, bevor der Körper streikt. Die nötige Geschwindigkeit habe ich mittlerweile erreicht. Mein Lebensziel ist eine Ballgeschwindigkeit von 240 mph und momentan bin ich bei 236,2. Mittlerweile habe ich viele Massagen in meinen Trainingsplan integriert und es geht auch viel um das Vorbeugen möglicher Verletzungen und Regeneration. Zurzeit schlage ich 150 Bälle pro Drei-Tage-Intervall: entweder jeden Tag 50 Bälle oder 75 und 75 mit einem Tag Pause oder 150 Bälle ein einem Tag gefolgt von zwei Tagen Pause. An den freien Tagen stehen Massagen auf dem Programm, aber auch leichte Läufe, um den Kreislauf auf Trab zu halten. Dazu versuche ich, am freien Tag zwölf Stunden zu schlafen, um dem Körper Regeneration zu ermöglichen. Danach beginnt der Drei-Tages-Trainingszyklus mit Krafttraining und Schwungtraining von Neuem. So kann ich meine Schwunggeschwindigkeit hochhalten und mich auch darauf verlassen, dass mein Körper zum Zeitpunkt des Wettkampfs völlig fit ist. Wenn man sich dessen sicher ist, fällt es viel leichter, Höchstleistungen abzurufen. Diese Lektion musste ich letztes Jahr bei der Weltmeisterschaft auf die harte Tour lernen. Ich konnte drei Wochen lang nicht richtig trainieren und habe mir deshalb im Wettkampf die Hand gebrochen, was mich den Titel gekostet hat.

Hast du spezielle Schwunggedanken, wenn du während eines Wettkampfs mit voller Kraft schwingst?
Im Wettkampf versuche ich, den Ball mit einem leichten Draw von vier bis fünf Metern auf einer Rechts-links-Flugbahn zu schlagen. Meine Vorstellung ist daher, dass der Schläger am höchsten Punkt des Rückschwungs etwas nach unten fällt und meine Hände auf halbem Weg des Durchschwungs mit der Rotation beginnen. Abgesehen davon möchte ich den Ablauf simpel halten und nicht allzu viel nachdenken. Es ist kein direkter Schwunggedanke, aber Panik-Management ist sehr wichtig. Damit meine ich nicht, Panik und Stress während eines Wettkampfs komplett zu vermeiden, denn das funktioniert nicht. Wir haben zweieinhalb Minuten zur Verfügung, um sechs Bälle zu schlagen, und wenn die Gegner zeitgleich bereits mit Ball eins oder zwei eine Bombe gezündet haben und man selbst bereits vier Fehlversuche hatte, kommt zwangsläufig Panik auf. Ich versuche daher, auch im Training echte Stresssituationen aufzubauen, indem ich meinen Mitspielern ansage: "Ich habe noch zwei Bälle und einer davon muss ins Spiel gebracht werden. Wenn ich das nicht schaffe, zahle ich dir 100 Dollar." Diese Paniksituationen zu meistern ist ein enorm wichtiger Teil des Sports.

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MITTLERWEILE BIN ICH ÜBERZEUGT, DASS 240 MPH MÖGLICH SIND UND ES MIR IM LAUFE DIESES JAHRES NOCH GELINGEN WIRD.
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Wie sieht es mit Weltrekorden aus? Ball-Speed ist wichtiger als Gesamtdistanz, denn die hängt auch von äußeren Einflüssen ab, oder?
Genau, denn die Ballgeschwindigkeit ist eine exaktere Abbildung der körperlichen Fähigkeiten eines Long Drivers als die tatsächliche Distanz. Die Schallmauer von 220 mph wurde 2011 geknackt, was damals eine Riesensache war. Als ich zum Long Drive kam, lag der Weltrekord in Sachen Ballgeschwindigkeit bei 227 mph und wurde von zwei Athleten erreicht: Tim Burke 2013 und Ryan Reisbeck 2014. Bei einem Turnier in Tennessee erreichte ich 2019 eine Geschwindigkeit von 228 mph und brach damit den Weltrekord. Da ich schon einige Male mit 230 mph geflirtet und im Training bereits 229 erreicht hatte, wusste ich, dass diese Geschwindigkeit möglich war. Im November 2019 war ich super in Form und erreichte 230,2 mph. Seither haben fünf Long Driver ebenfalls die 230er-Marke durchbrochen, was wirklich verrückt ist. Im Dezember 2022 habe ich es indoor auf 236,2 mph Ballgeschwindigkeit geschafft, was nun der neue Weltrekord ist. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass 240 Meilen möglich sind und es mir im Laufe dieses Jahres noch gelingen wird.

Bedenkt man, dass es auf der PGA Tour niemanden gibt, der 200 mph erreicht, klingen 240 Meilen beinahe utopisch. Aber du bist überzeugt, dass das möglich ist?
Ja, klar. Alles muss perfekt stimmen und der einzige Faktor, den ich noch nicht optimiert habe, ist die Höhe der Driving Range. Je höher der Ort liegt, desto dünner ist die Luft, was bedeutet, dass man schneller schwingen kann, schließlich erzeugt der Schläger weniger Luftwiderstand. Ein optimaler Zeitpunkt für einen Rekordversuch wäre kurz nach der Weltmeisterschaft im Oktober. Im Wettkampf selbst denke ich nicht über den Weltrekord nach, dort geht es nur darum, den Weltmeistertitel zu gewinnen. Aber kurz danach, wenn die Form noch vorhanden ist, irgendwo in den Bergen, wenn die Temperatur noch über 27 Grad Celsius liegt, der Boden hart und griffig ist, ich einen extrem harten Golfball mit einer Kompression von 110 oder mehr und einen extrem schnellen Schlägerkopf an der Grenze der USGA-Legalität verwende, dann sind 240 Meilen pro Stunde Ball-Speed sicher möglich. Ich würde im Vorfeld sowohl mein Training als auch meine Ernährung auf den Rekordversuch hin optimieren, das heißt, viele Kalorien verschlingen und kurz vor den Versuchen Koffein zu mir nehmen, um den Kreislauf zu stimulieren. Als Letztes müssten dann noch genügend Leute vor Ort sein, um den nötigen Druck aufzubauen. Und dann heißt es einfach nur noch draufhauen...

Wow! Das klingt fast so kompliziert wie die Mondlandung…
Ich habe die Herangehensweise von Eliud Kipchoge studiert, als er den Marathon-Weltrekord in Berlin gebrochen hat. Er hat eine perfekt flache Strecke und die richtigen Tempomacher gewählt. Das schmälert seine Leistung in keiner Weise. Um Rekordleistungen abzuliefern, darf nichts dem Zufall überlassen werden.

2022 hat dir Martin Borgmeier den Weltmeistertitel abgenommen. Was macht Martin so stark?
Neben den offensichtlichen körperlichen Stärken ist Martin vor allem mental eine echte Macht. Er liebt den Wettkampf und den damit verbundenen Druck. Viele Jungs können den Ball weit schlagen, aber halten dem Wettkampfdruck nicht stand. Wenn ich Martin im Turnier gegenüberstehe, so weiß ich, dass ich ihn mit einem langen Schlag bezwingen muss, denn er wird keine Nerven zeigen. Deshalb macht es mir unglaublich Spaß, wenn es zum Duell mit ihm kommt. Wir haben beide unsere Fans dabei, die im Wettkampf gegen den anderen Stimmung machen. Das pusht uns noch mehr und bringt den Sport voran.

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