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Kyle Berkshire

Voll auf Speed

Von Jan Langenbein

Golfbälle beschleunigt Kyle Berkshire schneller als Max Verstappen seinen Red-Bull-Boliden und hat genauso wie der Niederländer ein Ziel, dem er alles andere unterordnet: Er möchte der unangefochtene GOAT seines Sports werden.

Wann immer Kyle Berkshire auf einer Driving Range - vorausgesetzt, diese ist lang genug - zum Driver greift, werden ringsherum die Schläger zurück ins Bag gesteckt und die Smartphones gezückt. Schließlich wird gleich eine Show geboten, die in dieser Form nicht einmal auf der PGA Tour zu bestaunen ist. Dort schafft es Rory McIlroy mit beeindruckenden Drives gerade mal auf läppische 193 mph Ballgeschwindigkeit im Durchschnitt. Läppisch zumindest für Kyle Berkshire, denn der 1,90 Meter große und 97 Kilo schwere Amerikaner schafft 230 mph mit dem Driver und hat seinen Ball im Wettkampf bereits 450 Meter weit geschlagen. Herzlich willkommen in der an Extremen alles andere als armen Welt der Long Driver!

Kyles Weg zu den Schlägertypen des Golfsports war keinesfalls vorgezeichnet, der Weg zum klassischen Golf indes schon. Als Sohn einer Profigolferin und eines Golfplatzbesitzers blieb Kyle kaum etwas anderes übrig, als ins "Familienbusiness" einzusteigen, und tat dies bereits, als er aufhörte, in Windeln zu machen. Mit vier Jahren spielte er sein erstes Turnier und machte Schlagzeilen, da es für ihn gar keine entsprechende Altersgruppe gab. Stattdessen trat er bei den Sechsjährigen an und spielte mit gekürzten Persimmonhölzern und einer Handvoll kurzer Eisen eine 46 auf neun Löchern. "Das war damals der beste Score eines Vier- oder Fünfjährigen in den gesamten USA", erzählt er heute noch gerne mit spürbarem Stolz. Bereits an der High School schoss Kyle derartig gute Scores, dass er mit einem Wechsel ins Profilager als Teenager liebäugelte, entschied sich aber doch für den klassischen Weg ans College in Texas, wo ihm schnell klar wurde, dass sich sein Golfspiel von dem der Mannschaftskameraden grundlegend unterschied.

Kyle Berkshire: Die Polizei bittet um Mithilfe: Dieser Mann ermordet GolfbälleKyle Berkshire: Die Polizei bittet um Mithilfe: Dieser Mann ermordet Golfbälle
Die Polizei bittet um Mithilfe: Dieser Mann ermordet Golfbälle

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ICH MÖCHTE ALS DER GRÖSSTE LONG DRIVER ALLER ZEITEN IN DIE GESCHICHTE EINGEHEN, WENN ICH MEINE KARRIERE BEENDE. DAS WÜRDE MIR VIEL MEHR BEDEUTEN ALS EINE KARTE FÜR DIE PGA TOUR.
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Wann ist dir klar geworden, dass du in Sachen Golf eine Sonderbegabung hast und weiter schlagen kannst als alle anderen?
Ich kann mich an eine Situation am College erinnern, als unser gesamtes Team, also neun Jungs, die letzten beiden Löcher gemeinsam spielten. Die 17 war ein Par 5, und nachdem alle abgeschlagen hatten, drosch ich meinen Ball, so hart ich nur konnte, das Fairway hinunter und habe selbst den Längsten meiner Teamkollegen 80 Meter kurz gelassen. Mir war immer schon klar, dass ich weit schlagen kann, aber von diesem Moment an war mein Weg praktisch vorgezeichnet. Witzigerweise fand die Long Drive World Championship 2016 nicht weit entfernt von meiner University of North Texas statt und dort erreichten die meisten Teilnehmer Ballgeschwindigkeiten von 205 bis 210 Meilen pro Stunde. Das war damals auch meine Geschwindigkeit, wenn ich mich mit dem Driver richtig ins Zeug legte. Als meine Mannschaftskollegen auf der 17 zum ersten Mal gesehen hatten, wie weit ich den Ball unter Wettkampfbedingungen schlage, haben sie mich ständig bequatscht, ich solle versuchen, mich für Long-Drive-Wettkämpfe zu qualifizieren. Das war im Herbst 2016. Im März 2017 trat ich dann zum ersten Mal bei einem Qualifikationsturnier an und habe völlig überraschend gewonnen. Daraufhin fasste ich den Plan, maximal ein Semester Pause zu machen, ein wenig ins Long Driving hineinzuschnuppern und danach regulärer Golfprofi zu werden. Doch plötzlich qualifizierte ich mich für die Weltmeisterschaften. Dort bin ich Dritter geworden und hätte um ein Haar gewonnen. Da ich kaum dafür trainiert hatte, war mir schnell klar, dass ich ganz oben mitspielen könnte, wenn ich mich voll auf Long Drive konzentrieren würden.

War es eine schwierige Entscheidung, den Traum aufzugeben, ein klassischer Golf-Pro zu werden?
Ja, klar. Es war nicht einfach, den "normalen" Golfsport hintenanzustellen, weil ich diesen mein ganzes Leben lang gespielt hatte und bereits als Kind das Ziel hatte, Profi zu werden. Tatsächlich war ich bereits nach der High School kurz davor, ins Profilager zu wechseln. Es war eine schwierige Entscheidung, aber letzten Endes habe ich erkannt, dass ich innerhalb einiger Jahre wahrscheinlich der beste Long Driver der Welt werden könnte. Und das hat eine große Rolle gespielt, den Traum ein wenig zu modifizieren.

Kyle Berkshire:
Dein Ziel, Tour-Pro zu werden, war viel mehr als nur ein Traum, oder? Du hast schließlich dein gesamtes Leben darauf ausgerichtet.
Oh ja! Das war das Ziel, seit ich sechs Jahre alt war. Meine Familie kaufte eine Ferienwohnung in Florida, als ich 15 war, damit ich auch im Winter trainieren konnte, was in Maryland, wo ich damals zur Schule ging, aufgrund des miesen Wetters nicht möglich war. Ich bin damals montags bis donnerstags zur Schule gegangen und donnerstags gleich nach der letzten Stunde nach Florida geflogen, um dort von Freitag bis Sonntag zu trainieren und am Ende des Wochenendes zurückzufliegen, um montags wieder pünktlich zur Schule zu kommen. Im letzten Schuljahr habe ich dann mit 17 Jahren während des Spring Break an einigen Mini-Tour-Events teilgenommen und recht gut abgeschnitten. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass ich mit etwas Training durchaus in der Lage wäre, die Q School für die Korn Ferry Tour zu schaffen. Mein ehemaliger Teamkollege am College Thomas Rosenmüller aus Deutschland hat sich übrigens gerade auf die Korn Ferry Tour gespielt. Das hat mich sehr gefreut. Aber ich möchte als der größte Long Driver aller Zeiten in die Geschichte eingehen, wenn ich meine Karriere beende. Das würde mir viel mehr bedeuten als eine Karte für die PGA Tour.

Wenn wir morgen zusammen nach Torrey Pines fahren und von den Backtees spielen würden, wie würde dein Score aussehen?
Das letzte Mal habe ich Torrey Pines unter Turnierbedingungen 2020 gespielt und eine 75 geschossen. Das war jedoch ohne Caddie. Mit etwas Vorbereitung und einem guten Caddie wäre im Moment sicher eine 70 drin.

 
Steckbrief

Steckbrief

NAME
Kyle Berkshire

ALTER
26 Jahre

GEBURTSORT
Crofton, Maryland

WOHNORT
Orlando, Florida

LIEBLINGSTEAM
Baltimore Orioles(MLB)

ERFOLGE
2019 World Long Drive Champion
2020 PLDA National Championship
2021 PLDA-Weltmeister
2022 Ball-Speed-Weltrekord (236,2 mph = 380,1 km/h)

Wir alle wissen wie die Tour und Profigolf dort funktioniert. Wie schaut es bei den Long Drivern aus? Womit verdient ihr Geld: mit Preisgeldern, Social Media, Show-Events?
Ich würde schätzen, dass etwa 100 bis 150 Athleten vom Long Driving leben können. Wie bei den normalen Golf-Pros, von denen die meisten Geld mit Unterricht oder ihrem Pro-Shop verdienen, gibt es eine Menge Long Driver, die ihren Lebensunterhalt mit Show-Events und Clinics bestreiten. Auf diese Art kann man zwischen 1.000 und 3.000 Dollar pro Event verdienen, was ein sechsstelliges Einkommen im Jahr ermöglicht. Es ist also alles andere als ein schlechtes Leben. Allerdings sind diese vielen Show-Einlagen nicht gerade einfach für den Körper. Beinahe jeden Tag volle Power zu schwingen ist enorm belastend. In der PGA gibt es nur einen kleinen Prozentsatz Tour-Pros, die von Preisgeldern und Sponsoren-Deals leben. Bei uns Long Drivern ist es genauso, denn es gibt nur eine kleine Gruppe, die gut genug ist, gesponsert zu werden und genügend Preisgeld zu verdienen. Da ich schon sehr früh in meiner Karriere Weltmeister geworden bin, habe ich es schnell in diese kleine Gruppe geschafft. Ich verdiene den Großteil meines Gelds mit Werbeverträgen und Einnahmen aus Turnieren. Mein YouTube-Kanal hat mir eine gute Summe eingebracht. Social Media bringt nicht so viel ein, wie man vielleicht direkt denkt, aber es hilft dabei, große Sponsorenverträge abzuschließen, wenn man über genügend Reichweite verfügt.

Du hast die körperliche Belastung beim Long Driving angesprochen, die enorm sein muss. Ich könnte mir vorstellen, dass Gewichtheben ein passender Vergleich wäre, dort treten ebenfalls für sehr kurze Zeit enorme Belastungen für den Körper auf. Stimmt diese Analogie oder würdest du deine Disziplin eher mit einem anderen Sport vergleichen?
Mit Vergleichen tue ich mich schwer, denn Long Driving ist ein einzigartiger Sport, den man länger betreiben kann, als viele denken würden. Das Durchschnittsalter der Top Ten der Welt liegt bei 34 Jahren und es gibt eine Menge Über-50-Jähriger, die immer noch mehr als 150 mph Schlägerkopfgeschwindigkeit erreichen. Das liegt daran, dass wir nicht agil sein, sondern lediglich Kraft generieren müssen. NBA- oder NFL-Spieler rennen schnell und müssen noch flinker die Richtung wechseln. Agilität und Schnelligkeit lassen selbst bei Leistungssportlern als Erstes nach, meistens schon vor dem 30. Geburtstag. Wir dagegen stehen still und müssen lediglich mit Muskelkraft Geschwindigkeit erzeugen. Daher ist der Vergleich mit Gewichtheben nicht verkehrt. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass es im Long Driving eine Menge 20 oder sogar 25 Jahre andauernde Karrieren gibt. Schließlich schwingen wir den leichtesten Schläger im Bag und - noch viel wichtiger - wir treffen damit niemals den Boden. Würden wir Eisen mit diesen Geschwindigkeiten bewegen und Divots aus dem Boden schlagen, wären die Verletzungen enorm. Mein Long-Drive-Coach sieht es nicht gerne, dass ich relativ viel mit Wedges und Eisen trainiere, denn die Golfschläge mit Bodenkontakt belasten die Handgelenke viel mehr als Drives, die lediglich den Ball treffen. Aber ich trainiere eben gerne mein gesamtes Bag, schließlich bin ich einer der wenigen Long Driver, die aktiv daran arbeiten, ein Plus-Handicap auf dem Golfplatz zu halten.

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