Seit 2023 liefert Netflix mit "Full Swing" noch nie gesehene Einblicke ins Profigolf der Herren und auf seine Protagonisten. Die Serie wurde ein solcher Erfolg, dass Golfer aus der dritten Reihe wie Joel Dahmen über Nacht zu Superstars wurden oder vermeintliche Langweiler wie Wyndham Clark Kontur bekamen - und wie die neuen Folgen zeigen einen Werbevertrag mit der Modelinie von Mark Wahlberg. Mit entsprechender Spannung wurde erwartet, wer dieses Jahr ins Rampenlicht gerät, zumal es an interessanten Geschichten nicht mangelte. Bereits der Trailer versprach Einblicke in die Verhaftung von Scottie Scheffler bei der PGA Championship, Rory McIlroys Scheidungsankündigung und natürlich den ewigen Streit zwischen LIV Golf und der PGA Tour. Nur leider bleibt die dritte Staffel so weit von den selbstgesetzten Ansprüchen entfernt, dass man sie fast in "Half Swing" umtaufen müsste.
Was die ersten zwei Staffeln ausgezeichnet hat, war, dass man das Gefühl hatte, die Kameras waren überall und am Ende wurde im Schnitt geschaut, was die spannendsten Geschichten der Saison waren. Staffel drei wirkt hingegen so als hätten die Macher zum einen weniger Budget für Aufnahmen gehabt und zum anderen als hätte man bereits am Anfang des Jahres gewusst, welche Geschichten man erzählen will und dann die Bilder dafür passend zusammengeschnitten. Resultat sind größtenteils langweilige Geschichten mit langweiligen Protagonisten aus denen lediglich zwei Momente herausstechen, bei denen kein Auge trocken bleibt.
Herzzerreißende Geschichten
Einer gehört "Presidents Cup"-Vizekapitän Camilo Villegas und seiner Ehefrau Maria Ochoa, die in der letzten Folge herzergreifend von ihrer kleinen Tochter Mia erzählen, die mit nur 22 Monaten an einen Hirntumor starb. Der andere betrifft Gary Woodland, bei dem Ende 2023 eine Hirnläsion diagnostiziert wurde. Wenn der ehemalige US-Open-Sieger, der 2024 sein Comeback wagte, in der sechsten Episode von den Briefen erzählt, die er vor seiner Gehirnoperation seiner Familie schrieb, wird klar wie unwichtig Golf sein kann. Die Momente, in denen uns die Sportler als Menschen gezeigt werden, machen die Stärke der Serie aus. Umso verwunderlicher, dass Produzent Chad Mumm sie dieses Mal so selten ausspielt. Fast schon bizarr mutet es an, dass die sechste Folge sich neben Woodland auch Justin Rose widmet, der darum kämpft, bei der Open Championship teilzunehmen. Ein Kampf um Leben und Tod mit einem Kampf um eine Majorteilnahme gegenzuschneiden ist eine nicht nachvollziehbare Entscheidung.
Ähnlich vermurkst ist die dritte Episode in der die Scheffler-Verhaftung und McIlroys Scheidung gepackt wurden. Die beiden Themen, die tagelang für Schlagzeilen sorgten, werden fast nur aus dritter Hand behandelt obwohl sowohl Scheffler als auch McIlroy den Filmemachern in diesem Jahr Interviews gaben. Zumindest bei Scheffler gibt es ein paar irrwitzige Tonaufnahmen aus dem Polizeiauto, wo ein Offizier tatsächlich fragt "Ich vermute, Sie sind recht gut, wenn Sie bei der PGA Championship spielen" und später feststellt "Du bist zu leger, um die Nummer eins der Welt zu sein." Um McIlroys bizarrer Scheidungsmonat wird dagegen von allen nur herumgetänzelt, was die Frage aufwirft, warum man es dann überhaupt thematisiert. Schließlich werden andere Themen, die den Machern unangenehm waren, ja auch ausgespart.
Wo ist Xander?
Der Fokus der Dokuserie waren seit jeher immer die Majors. 2024 gab es mit Xander Schauffele einen Major-Superstar, der die PGA Championship und die Open Championship gewann. Davon bekommt man in dieser Staffel allerdings wenig mit - gerüchteweise, weil das Tischtuch zwischen Schauffele und dem Doku-Team zerschnitten ist. Schauffele soll im letzten Jahr eine treibende Kraft gewesen sein, um die "Full Swing"-Leute aus der US-Umkleidekabine beim Ryder Cup fernzuhalten. Hinzu kommt, dass die einzelnen Folgen ein wenig Struktur vermissen lassen. Die ersten drei Folgen sind auf einzelne Turniere zugeschnitten: das Masters, die Zurich Classic und schließlich das Duo aus PGA Championship & US Open.
Danach werden plötzlich saisonübergreifende Geschichten erzählt, die auch wieder an die vorher gezeigten Turniere zurückkehren. Die eigentlich gute Folge vier kümmert sich um Ted Scott und Carl Franklin, die Caddies von Scottie Scheffler bzw. Sahith Theegala, schafft es aber nicht bis zum Ende beim Caddie-Thema zu bleiben und Folge fünf dreht sich um die Olympia-Qualifikation von Wyndham Clark und Min Woo Lee aus Australien. Dies ist zwar prinzipiell spannend aber insofern verschenkt , dass die Macher keine Bildrechte am Olympischen Golfturnier haben und man nur irgendwann in einem Zwischensatz erfährt, dass Scheffler Gold gewonnen hat. Nicht das einzige Mal, dass man sich als Zuschauer manipuliert fühlt. So authentisch und oft auch tiefgründig die Einzel-Interviews wirken: Wenn Justin Rose und andere Stars mit ihren Frauen oder Freundinnen reden wirkt dies so unnatürlich und gestelzt, dass man den Verdacht haben muss, ihnen wurden Stichwortkarten hingehalten.
Die heimlichen Stars: Neal Shipley und Ludvig Åberg
Vielleicht ist das größte Problem der sieben neuen Folgen einfach, dass sie sich zu sehr auf die großen Namen konzentrieren. Wie gut die Serie sein kann, zeigt sich immer dann, wenn sie sich auf neue Gesichter fokussiert. Ludvig Åbergs Auftritt in der ersten Folge ist wirklich interessant und wenn die Kameras Neal Shipley ins Crow's Nest von Augusta National begleitet oder der Amateur den Regel-Ordner zeigt, den jeder Masters-Teilnehmer bekommt, sind dies genau die Art einzigartige Einblicke, die "Full Swing" unbezahlbar machen. Die Frage ist nur, ob Netflix selber daran Interesse hat. Wenn die Staffel damit beginnt, die Riege der PGA-Tour-Stars bei ihren Cameos für den kommenden Netflix-Film "Happy Gilmore 2" zu zeigen oder Rory McIlroy zur Formel 1 begleitet wird, damit man auch auf "Drive to Survive" hinweisen kann, wirkt es mehr als sei die dritte Staffel zu einem Werbe-Tool für den Streamer geworden. Es bleibt zu hoffen, dass es dennoch eine vierte Staffel geben wird, in der sich die Macher wieder auf die spannenden Geschichten zurückbesinnen, die den Golfsport - und "Full Swing" - interessant machen.