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Open Championship

Cabnoustie - ein Sommermärchen

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Egal was in wenigen Wochen bei der PGA Championship in Bellerive auch passieren mag - mit der 147. Open Championship haben wir das beste Major des Jahres bereits erlebt. Und einen würdigen Champion Golfer of the Year noch dazu.

Es war 16:18 Uhr Ortszeit an der schottischen Ostküste in Carnoustie, als die Golfwelt für einen Moment stillzustehen schien. Tiger Woods hatte gerade mit einem Par auf Loch 9 die erste Hälfte seiner Finalrunde der 147. Open Championship mit zwei unter Par beendet, was ein zwischenzeitliches Turnierergebnis von -7 zur Folge hatte. Jordan Spieth, der als geteilter Führender mit einem Vorsprung von vier Schlägen auf Woods gestartet war und drei Löcher weiter hinten ums nackte Überleben rang, schien diesen Kampf mit einem moralzerfetzenden Doppel-Bogey an Loch 6, dem einzigen Par 5 der ersten neun, spektakulär zu verlieren. Just als Spieth an Loch 7 auf die Teebox trat, erschienen diese fünf mystischen Buchstaben an der alleinigen Spitze des Leaderboards: W-O-O-D-S. Selbst ein dreifacher Major Champion wie Jordan Spieth musste in diesem Moment tief schlucken und drehte sich kopfschüttelnd zu Caddie Michael Greller um: "Verdammt noch mal... Dude!"

Etwas Eloquenteres kam dem Texaner in diesem Moment nicht über die Lippen und dafür ist er absolut entschuldigt, denn nicht nur ihm, sondern jedem der mehr als 45.000 Zuschauer auf der Anlage und Abermillionen an den Fernsehschirmen war klar, dass sich hier und jetzt Historisches zutrug. Zehn Jahre und 36 Tage war es her, dass Tiger Woods zum letzten Mal ein Major gewinnen konnte. Vor nicht einmal 14 Monaten wurde er in Florida bewusstlos hinter dem Lenkrad seines SUV gefunden und wegen Drogenmissbrauchs am Steuer angeklagt. Und nun marschierte er über die brettharten Fairways des Carnoustie Golf Links im gewohnten Sonntagsrot, als wäre nie etwas gewesen - keine öffentliche Demütigung, keine Rückenoperationen und keine jahrelange Zwangspause. Nicht mal die beängstigend hohe Wand des linken Pott- Bunkers auf Loch 10 schien ihn aufhalten zu können. 110 Meter bis zur Fahne über den Jockey's Burn? Kein Problem für Tiger Woods, der in diesem Moment tatsächlich wie eine Reinkarnation seines eigenen Selbst des Jahres 2000 schien. Ein bisschen mehr auf den Rippen vielleicht und ein wenig mehr graue Gesichtsbehaarung - aber kein Quäntchen weniger golferische Brillanz.

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EIN BISSCHEN MEHR AUF DEN RIPPEN VIELLEICHT UND EIN WENIG MEHR GRAUE GESICHTSBEHAARUNG - ABER KEIN QUÄNTCHEN WENIGER GOLFERISCHE BRILLANZ
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Dass der ruhige Italiener neben ihm zu diesem Zeitpunkt bereits seit 29 Löchern keinen Schlag mehr abgegeben hatte und seine Verfolgerposition partout nicht abgeben wollte, schien zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Randnotiz zu sein, denn Woods hatte nicht nur die Tagesform, die Zuschauer und die Erfahrung von 14 Major-Titeln auf seiner Seite, sondern auch die Golfgeschichte. Wo sonst hätte er seinen 15. Major-Sieg feiern sollen als hier, bei der 147. Open Championship? Schließlich gelang Jack Nicklaus vor exakt 40 Jahren zwölf Kilometer südlich auf dem Old Course von St. Andrews sein 15. Major-Triumph. Twitter explodierte, als Woods auf Loch 10 spektakulär das Par rettete, und im Pressezelt begannen Reporter aus aller Welt, wie wild auf ihre Laptops einzuhacken.

Diese Geschichte schrieb sich von selbst. Vergessen waren all die kleinen Nebenhandlungen, die solch ein Turnier ausmachen, wenn einmal im Jahr die gesamte Golfwelt über eine kleine Ortschaft mit Golfplatz irgendwo an der Küste des Vereinigten Königreichs herfällt. Geschichten wie Jhonattan Vegas' Visaprobleme, die die Anreise des 33-Jährigen aus Venezuela nach Carnoustie zu einer derartigen Odyssey machten, dass er nach seiner Landung am Airport von Glasgow einen Helikopter charterte, um 45 Minuten vor der Startzeit am Donnerstag endlich am Ort des Geschehens anzukommen. Ohne seine Golfschläger, wohlgemerkt, denn die hatte Air Canada in Amerika vergessen. Also schnorrte sich der Mizuno-Spieler in den Tour- Trucks von TaylorMade und Titleist einen Satz Arbeitswerkzeug zusammen, schlug 20 Bälle auf der Driving Range und war halbwegs zufrieden mit dem Resultat: "Glücklicherweise flogen die Bälle vorwärts, also versuchten wir unser Glück." Gesagt, getan - und so marschierte Vegas zum ersten Abschlag. Viereinhalb Stunden später stand eine 76 auf der Scorekarte. Oder die Episode um Jordan Spieth' Neun-Pfund-Haarschnitt bei einem kurdischen Friseur namens Fryad Salimi, der keine Ahnung hatte, wer da vor ihm auf dem Stuhl saß, und dem spontanen Kunden einen Schnitt verpasste, der offensichtlich mehr europäisch als texanisch anmutete. "Etwas hoch ausrasiert, aber hey, wir haben schließlich Sommer", scherzte der Titelverteidiger am Samstag nach seiner lupenreinen 65, die mit einem spektakulären Eagle am 362 Meter langen Auftaktloch begann und ihn in geteilter Führung liegend in den Schlusstag schicken sollte. Nach einer zehnjährigen Abstinenz schien die Golfwelt nun wieder ihren rechtmäßigen Anführer zu haben, einen Mann, dessen uneingeschränkte Herrschaft über die Fairways in aller Welt acht Superstars der heutigen Top Ten der Weltrangliste lediglich aus dem Fernsehen kennen, da sie damals noch den Kindergarten oder die Grundschule besuchten.

Open Championship:
Am elften Abschlag sangen immer noch von der Fußball- WM beseelte englische Fans lautstark: "Tiger we believe. It's coming home!", doch die Magie dieses Major- Sonntags aus dem Bilderbuch sollte an diesem Loch ihr Ende nehmen, als Woods sein Eisen aus dem Rough links der Spielbahn so markerschütternd hookte, dass sein Ball gleich zwei Zuschauer weit links hinter dem Grün traf. Die Schulter des Engländers Wayne Partridge und das Smartphone des Amerikaners Colin Hauck verhinderten dabei Schlimmeres, indem sie den Ball vor dem völligen Verschwinden bewahrten, doch ein suboptimales Lob Wedge und drei weitere Schläge später war Tigers Widerauferstehung jäh gestoppt: Doppel-Bogey.

Francesco Molinari spielte derweil weiter stoisch Par um Par, während um ihn herum das ganze Feld zusammenzubrechen schien. Erst auf der sonst so knüppelharten 18 hatte er dank Rückenwinds und eines ewig rollenden Drives lediglich ein Wedge ins Grün und damit eine Chance, die sich ein Spieler, der bei seinen letzten fünf Starts zwei Siege und zwei zweite Plätze einfuhr, keinesfalls entgehen lässt. Nach einem majestätischen Schlag vor vollgepackten Tribünen versenkte der 35 Jahre alte Turiner das zweite Birdie seiner Runde und stellte damit sicher, dass die immer noch kämpfenden Jordan Spieth und Xander Schauffele hinter ihm keine Chance mehr hatten. Der Gravierer im Clubhaus bekam grünes Licht, mit seiner delikaten Arbeit an der Claret Jug zu beginnen, und der Champion Golfer of the Year war gefunden.

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Zu Beginn der Saison hatte Molinari seinem Kollegen Wesley Bryan noch den vagen Plan verraten, in zweieinhalb Jahren die Schläger an den Nagel zu hängen. "Ich werde eine Menge Sport im Fernsehen schauen, jeden Tag ins Café gehen und drei Espresso trinken, vielleicht ein paar Bücher lesen, an Orten mit kostenlosem WiFi rumhängen und ein Twitter-Troll werden. Ich habe das alles schon genau geplant", witzelte er vor nicht einmal sechs Monaten. Franceso Molinari spielt nicht nur das Golf, sondern auch die Saison seines Lebens und der Sommer ist noch längst nicht beendet. Begonnen hatte seine Major-Karriere einst in Augusta beim Masters 2006. Allerdings nicht als Spieler, sondern als Caddie an der Tasche seines älteren Bruders Edoardo, der damals an der Seite eines gewissen Tiger Woods die ersten beiden Runden bestritt. Der Gegner 2018 war derselbe, nur der Molinari war ein anderer und dieser bescherte Italien nun den ersten Major-Sieg.

Während der sichtlich überwältigte Champion den Pokal in Empfang nahm und eine kurz Siegesrede an das Publikum richtete, fand zwischen riesiger Tribüne rechts des 18. Grüns und Clubhaus die Woods-Familie nach einem langen Arbeitstag wieder zusammen. Mit elf und neun Jahren sind seine Kinder Sam Alexis und Charlie Axel viel zu jung, um die Heldentaten ihres Vaters selbst erlebt zu haben. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich alles gegeben habe, und meinte: ,Hoffentlich seid ihr stolz auf euren Dad.'" Mehrmals in den vergangenen Jahren scherzte Tiger, seine Kinder würden den Golfer Tiger Woods lediglich als YouTube-Sensation kennen. "Es ist schön, dass sie verstehen können, was ich früher in meiner Karriere leisten konnte. Das Einzige, was sie bisher sehen konnten, waren meine Probleme und den Schmerz, der mich so lange Zeit geplagt hat."

 

Open Championship 2018

PosNameLandR1R2R3R4TotalPar
1MOLINARI, FrancescoITA70726569276-8
T2ROSE, JustinZAF72736469278-6
T2MCILROY, RoryIRA69697070278-6
T2KISNER, KevinUSA66706874278-6
T2SCHAUFFELE, XanderUSA71666774278-6
T6PEPPERELL, EddieZAF71707167279-5
T6WOODS, TigerUSA71716671279-5
T6CHAPPELL, KevinUSA70696773279-5
T9FINAU, TonyUSA67717171280-4
T9KUCHAR, MattUSA70687072280-4
T9SPIETH, JordanUSA72676576280-5

Rory McIlroy leckte derzeit seine Wunden, nachdem eine weitere exzellente Möglichkeit auf Major-Sieg Nummer fünf durch verschobene kurze Putts und leichte Fehler flöten gegangen war, und musste enttäuscht feststellen, dass sein Schlussspurt auf den Back Nine am Sonntag zu spät zündete. "Mir sind schlicht die Löcher ausgegangen", resümierte der Nordire und konnte den Fragen zu der Vorstellung seines einstigen Idols Tiger Woods selbstverständlich nicht ausweichen. "Klar, ich denke nicht, dass wir es mit dem Tiger zu tun haben, mit dem sich Phil, Ernie und die anderen Jungs damals herumschlagen mussten. Das hier ist eine andere Version. Aber er ist sehr nah dran und spielt sich an die Spitze der Leaderboards. Er ist gesund. Ich würde nicht sagen, dass wir Schiss vor ihm haben, aber er ist ohne Zweifel einer der Spieler, die wieder um den Sieg mitspielen."

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: "Ich würde nicht sagen, dass wir Schiss vor ihm haben..." Ein Königreich für ein Foto von Tigers Gesicht, wenn er diese Sprüche eines jungen Emporkömmlings hört. Jack Nicklaus heftete sich den gedruckten Spott eines Journalisten 1986 zur Motivation an den Kühlschrank. Man darf davon ausgehen, dass spätestens ab heute ein Porträt von Rory McIlroy an der Dartscheibe in Tigers Männerhöhle klebt. Wer kann nun noch Zweifel daran haben, dass Woods in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine Major-Trophäe in den Himmel stemmen wird?

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