Etwas Eloquenteres kam dem Texaner in diesem Moment nicht über die Lippen und dafür ist er absolut entschuldigt, denn nicht nur ihm, sondern jedem der mehr als 45.000 Zuschauer auf der Anlage und Abermillionen an den Fernsehschirmen war klar, dass sich hier und jetzt Historisches zutrug. Zehn Jahre und 36 Tage war es her, dass Tiger Woods zum letzten Mal ein Major gewinnen konnte. Vor nicht einmal 14 Monaten wurde er in Florida bewusstlos hinter dem Lenkrad seines SUV gefunden und wegen Drogenmissbrauchs am Steuer angeklagt. Und nun marschierte er über die brettharten Fairways des Carnoustie Golf Links im gewohnten Sonntagsrot, als wäre nie etwas gewesen - keine öffentliche Demütigung, keine Rückenoperationen und keine jahrelange Zwangspause. Nicht mal die beängstigend hohe Wand des linken Pott- Bunkers auf Loch 10 schien ihn aufhalten zu können. 110 Meter bis zur Fahne über den Jockey's Burn? Kein Problem für Tiger Woods, der in diesem Moment tatsächlich wie eine Reinkarnation seines eigenen Selbst des Jahres 2000 schien. Ein bisschen mehr auf den Rippen vielleicht und ein wenig mehr graue Gesichtsbehaarung - aber kein Quäntchen weniger golferische Brillanz.


»EIN BISSCHEN MEHR AUF DEN RIPPEN VIELLEICHT UND EIN WENIG MEHR GRAUE GESICHTSBEHAARUNG - ABER KEIN QUÄNTCHEN WENIGER GOLFERISCHE BRILLANZ«
Diese Geschichte schrieb sich von selbst. Vergessen waren all die kleinen Nebenhandlungen, die solch ein Turnier ausmachen, wenn einmal im Jahr die gesamte Golfwelt über eine kleine Ortschaft mit Golfplatz irgendwo an der Küste des Vereinigten Königreichs herfällt. Geschichten wie Jhonattan Vegas' Visaprobleme, die die Anreise des 33-Jährigen aus Venezuela nach Carnoustie zu einer derartigen Odyssey machten, dass er nach seiner Landung am Airport von Glasgow einen Helikopter charterte, um 45 Minuten vor der Startzeit am Donnerstag endlich am Ort des Geschehens anzukommen. Ohne seine Golfschläger, wohlgemerkt, denn die hatte Air Canada in Amerika vergessen. Also schnorrte sich der Mizuno-Spieler in den Tour- Trucks von TaylorMade und Titleist einen Satz Arbeitswerkzeug zusammen, schlug 20 Bälle auf der Driving Range und war halbwegs zufrieden mit dem Resultat: "Glücklicherweise flogen die Bälle vorwärts, also versuchten wir unser Glück." Gesagt, getan - und so marschierte Vegas zum ersten Abschlag. Viereinhalb Stunden später stand eine 76 auf der Scorekarte. Oder die Episode um Jordan Spieth' Neun-Pfund-Haarschnitt bei einem kurdischen Friseur namens Fryad Salimi, der keine Ahnung hatte, wer da vor ihm auf dem Stuhl saß, und dem spontanen Kunden einen Schnitt verpasste, der offensichtlich mehr europäisch als texanisch anmutete. "Etwas hoch ausrasiert, aber hey, wir haben schließlich Sommer", scherzte der Titelverteidiger am Samstag nach seiner lupenreinen 65, die mit einem spektakulären Eagle am 362 Meter langen Auftaktloch begann und ihn in geteilter Führung liegend in den Schlusstag schicken sollte. Nach einer zehnjährigen Abstinenz schien die Golfwelt nun wieder ihren rechtmäßigen Anführer zu haben, einen Mann, dessen uneingeschränkte Herrschaft über die Fairways in aller Welt acht Superstars der heutigen Top Ten der Weltrangliste lediglich aus dem Fernsehen kennen, da sie damals noch den Kindergarten oder die Grundschule besuchten.

Francesco Molinari spielte derweil weiter stoisch Par um Par, während um ihn herum das ganze Feld zusammenzubrechen schien. Erst auf der sonst so knüppelharten 18 hatte er dank Rückenwinds und eines ewig rollenden Drives lediglich ein Wedge ins Grün und damit eine Chance, die sich ein Spieler, der bei seinen letzten fünf Starts zwei Siege und zwei zweite Plätze einfuhr, keinesfalls entgehen lässt. Nach einem majestätischen Schlag vor vollgepackten Tribünen versenkte der 35 Jahre alte Turiner das zweite Birdie seiner Runde und stellte damit sicher, dass die immer noch kämpfenden Jordan Spieth und Xander Schauffele hinter ihm keine Chance mehr hatten. Der Gravierer im Clubhaus bekam grünes Licht, mit seiner delikaten Arbeit an der Claret Jug zu beginnen, und der Champion Golfer of the Year war gefunden.


Während der sichtlich überwältigte Champion den Pokal in Empfang nahm und eine kurz Siegesrede an das Publikum richtete, fand zwischen riesiger Tribüne rechts des 18. Grüns und Clubhaus die Woods-Familie nach einem langen Arbeitstag wieder zusammen. Mit elf und neun Jahren sind seine Kinder Sam Alexis und Charlie Axel viel zu jung, um die Heldentaten ihres Vaters selbst erlebt zu haben. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich alles gegeben habe, und meinte: ,Hoffentlich seid ihr stolz auf euren Dad.'" Mehrmals in den vergangenen Jahren scherzte Tiger, seine Kinder würden den Golfer Tiger Woods lediglich als YouTube-Sensation kennen. "Es ist schön, dass sie verstehen können, was ich früher in meiner Karriere leisten konnte. Das Einzige, was sie bisher sehen konnten, waren meine Probleme und den Schmerz, der mich so lange Zeit geplagt hat."
Open Championship 2018
Pos | Name | Land | R1 | R2 | R3 | R4 | Total | Par |
1 | MOLINARI, Francesco | ITA | 70 | 72 | 65 | 69 | 276 | -8 |
T2 | ROSE, Justin | ZAF | 72 | 73 | 64 | 69 | 278 | -6 |
T2 | MCILROY, Rory | IRA | 69 | 69 | 70 | 70 | 278 | -6 |
T2 | KISNER, Kevin | USA | 66 | 70 | 68 | 74 | 278 | -6 |
T2 | SCHAUFFELE, Xander | USA | 71 | 66 | 67 | 74 | 278 | -6 |
T6 | PEPPERELL, Eddie | ZAF | 71 | 70 | 71 | 67 | 279 | -5 |
T6 | WOODS, Tiger | USA | 71 | 71 | 66 | 71 | 279 | -5 |
T6 | CHAPPELL, Kevin | USA | 70 | 69 | 67 | 73 | 279 | -5 |
T9 | FINAU, Tony | USA | 67 | 71 | 71 | 71 | 280 | -4 |
T9 | KUCHAR, Matt | USA | 70 | 68 | 70 | 72 | 280 | -4 |
T9 | SPIETH, Jordan | USA | 72 | 67 | 65 | 76 | 280 | -5 |
Rory McIlroy leckte derzeit seine Wunden, nachdem eine weitere exzellente Möglichkeit auf Major-Sieg Nummer fünf durch verschobene kurze Putts und leichte Fehler flöten gegangen war, und musste enttäuscht feststellen, dass sein Schlussspurt auf den Back Nine am Sonntag zu spät zündete. "Mir sind schlicht die Löcher ausgegangen", resümierte der Nordire und konnte den Fragen zu der Vorstellung seines einstigen Idols Tiger Woods selbstverständlich nicht ausweichen. "Klar, ich denke nicht, dass wir es mit dem Tiger zu tun haben, mit dem sich Phil, Ernie und die anderen Jungs damals herumschlagen mussten. Das hier ist eine andere Version. Aber er ist sehr nah dran und spielt sich an die Spitze der Leaderboards. Er ist gesund. Ich würde nicht sagen, dass wir Schiss vor ihm haben, aber er ist ohne Zweifel einer der Spieler, die wieder um den Sieg mitspielen."
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: "Ich würde nicht sagen, dass wir Schiss vor ihm haben..." Ein Königreich für ein Foto von Tigers Gesicht, wenn er diese Sprüche eines jungen Emporkömmlings hört. Jack Nicklaus heftete sich den gedruckten Spott eines Journalisten 1986 zur Motivation an den Kühlschrank. Man darf davon ausgehen, dass spätestens ab heute ein Porträt von Rory McIlroy an der Dartscheibe in Tigers Männerhöhle klebt. Wer kann nun noch Zweifel daran haben, dass Woods in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine Major-Trophäe in den Himmel stemmen wird?