Nun ist es eine Sache, Windmühlen oder alte Gebäude abzubauen und im Freilichtmuseum Stein für Stein neu zu errichten. Doch wie soll das mit einem Golfplatz gehen, wenn er nicht gerade aus 18 Miniaturbahnen mit Rampen, Brücken und Loopings besteht? An dieser Stelle kommt der Chicagoer Finanzberater Peter Flory ins Spiel, der ein Faible für verloren gegangene Golfplätze hat, wie er uns im Interview erzählt: "Ich war Mitglied im Olympia Fields Country Club in Illinois, der nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Golfplätze als Baugebiet verkaufte, um sich über Wasser zu halten. Mir kam die Idee, die verlorenen Plätze digital zu restaurieren. Anschließend wandte ich mich anderen verschwundenen Golfplätzen zu, die mich interessierten, und fragte mich, ob ich mich am Lido versuchen könnte."
Der Lido ist eine Art Heiliger Gral der Golfarchitektur oder, wie Peter Flory es formuliert, "das Atlantis des Golfsports". Seit dem Untergang des Platzes halten sich Legenden um das Layout, das Major-Sieger wie Bobby Jones und Ted Ray als einen der besten Golfplätze der Welt bezeichneten und die "New York Times" 1920 zum "wahrscheinlich unerbittlichsten, anspruchsvollsten Golf-Links dieser Hemisphäre" kürte. Eine Aussage, die von der Realität gedeckt wurde: Erst fünf Jahre nach der Eröffnung blieb mit Jack Dowling erstmals ein Spieler unter Par. Und als die Qualifikation für die US Open 1925 Station im Lido machte, schafften es von über 440 Teilnehmern gerade einmal vier, den 72er-Platzstandard zu unterbieten.


»ES IST EINE SACHE, WINDMÜHLEN ODER ALTE GEBÄUDE ABZUBAUEN UND IM FREILICHTMUSEUM STEIN FÜR STEIN NEU ZU ERRICHTEN. DOCH WIE SOLL DAS MIT EINEM GOLFPLATZ GEHEN?«
Genau diese Dinge sorgten auch dafür, dass sich Peter Flory für diesen Platz so begeisterte. "Jeder, der sich wirklich für Golfgeschichte und -architektur interessiert, kennt den Lido", schwärmt er uns gegenüber. "Aber so vieles darüber war unbekannt." Um diese Wissenslücken zu füllen, setzte Flory auf die Schwarmintelligenz. Nachdem er einige Fotos und Luftaufnahmen zusammengetragen hatte, veröffentlichte er seine Erkenntnisse im Golfarchitektur-Forum Golfclubatlas.com und war verblüfft von der Resonanz: "Mehr als ein Dutzend meldeten sich bei mir, um mir Material zum Lido zu geben." Für den Heureka-Moment sorgte dabei Craig Disher. "Craig hatte in den National Archives ein Luftbild-Anaglyph des Lido von 1941 gefunden." Bei diesem Verfahren werden zwei Bilder übereinander gelegt, wodurch man mit einer 3-D-Brille die relativen Höhenunterschiede des Golfplatzes erkennen kann. Der gordische Knoten war damit allerdings immer noch nicht zerschlagen.
"Das Anaglyphenbild war hilfreich für eine grobe Orientierung, konnte aber nicht die feineren Konturen wie die der Grüns zeigen", fasst Flory die Problematik zusammen. Dafür brauchte es Fotos aus menschlicher oder maximal Giraffen-Perspektive, die nicht so zahlreich vorhanden waren. "Das elfte Loch habe ich mir beispielsweise bis zum Schluss aufgehoben, weil es nur ein einziges Foto und das auch nur aus der Perspektive der Teebox gab. Und selbst auf den Schrägluftbildern musste ich heranzoomen, um es zu sehen. Ich habe monatelang an diesem Loch gearbeitet, um es richtig hinzubekommen."
Die Details brauchte Flory, weil er den Platz mit dem Course Designer der "PGA Tour 2K"-Videospielreihe in der dritten Dimension nachbauen wollte. Ein Prozess, der ihn drei Jahre seines Lebens beschäftigt hat. "Je weiter das Projekt voranschritt, desto einfacher wurde es, weil es immer mehr Bezugspunkte gab. Auf gewisse Art war es wie ein Puzzle, das anfangs überwältigend schwierig ist, sich aber im Laufe der Arbeit immer mehr auszahlt." Wie sehr es sich lohnen würde, konnte Flory damals allerdings noch nicht absehen.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Keiser, Michael ausging, den Lido wieder aufzubauen. Ein gemeinsamer Freund stellte den Kontakt zwischen dem Sohn von Bandon-Dunes-Besitzer Mike Keiser und Peter Flory her. "In einem Café in Winsconsin zeigte ich Michael jr. meine Forschungsergebnisse und er verriet mir, dass sie ein Grundstück gefunden hätten, das sich hervorragend für den Wiederaufbau des Lido Golf Club eignen würde." Nachdem auch Architekt Tom Doak ins Boot geholt wurde, begann das Triumvirat damit, den Lido endgültig auferstehen zu lassen.

Die komplette Künstlichkeit des Originals machte das Nachbauen leichter, da man kein Gelände suchen musste, das die gleichen natürlichen Merkmale aufweist. Jeden Bunker, jede Welle, jedes Grün hatte C.B. Macdonald von Hand erschaffen - Tom Doak und sein Team konnten zudem noch auf mehr als 100 Jahre technologischen Fortschritt in Form von Baggern, Bulldozern und Sand Pros zurückgreifen. Das Einzige, was sie nicht konnten, war, die beiden Geländegrenzen nach Wisconsin zu verlegen: den Atlantik und den Reynolds Channel.
So atemberaubend der Blick auf das Meer auch gewesen sein muss, sorgte er beim originalen Lido aber auch für Probleme, wie Peter Flory weiß: "Das ursprüngliche achte Loch im Lido muss eines der besten Par-3-Löcher gewesen sein, das je in Amerika gebaut wurde. Der Strand befand sich auf der rechten Seite und bei Flut schwappte der Atlantik fast aufs Grün. Doch Stürme setzten dem Loch schwer zu, bis es Mitte der 1920er-Jahre, gerade einmal sieben Jahre nach der Eröffnung, von einem Hurrikan zerstört wurde." Als Resultat wurde die achte Spielbahn 50 Meter ins Landesinnere verlegt, wodurch der Atlantik kaum mehr zu sehen war. "Natürlich wäre es toll, wenn es auch in Wisconsin einen Ozean gäbe", gibt Peter Flory zu. "Allerdings bin ich froh, dass wir die originale Version des Platzes bauen konnten und nicht die mit der umgebauten Bahn 8, für die auch andere Löcher angepasst wurden.
Schwerer ins Gewicht fällt da schon der Verlust der zweiten Wassergrenze, findet Flory. "Das nördliche Ende des ursprünglichen Lido grenzte an den Reynolds Channel, der Hunderte Meter breit war. Schon damals gab es jede Menge Schiffsverkehr auf dieser Wasserstraße." Dass man in Sand Valley auf das glanzvolle Bild eines Kanals mit passierenden Schiffen verzichten muss, hat auch geologische Gründe. Hier wird die ideale Grundlage für einen Golfplatz, der pure Sandboden, zu einem Nachteil. Wasser versickert sofort in der Erde, wenn man den Grund nicht versiegelt. Diesen enormen Kostenfaktor hat man daher nur für die Wasserhindernisse aufgewendet, die direkt im Spiel sind. Die Lagune im Inneren des Lido ist ein genaues Abbild von der in Long Island - und mit ihrer Form offenbar Inspiration für das Logo des neuen Clubs: eine Sirene.
Es gibt auch einige positive Unterschiede zwischen neuer und ursprünglicher Anlage", betont Peter Flory. "Beim Original führten vier Abschläge über den von Telefonmasten gesäumten Lido Boulevard. Im Laufe der Zeit wurde diese Straße immer stärker befahren und die Bebauung rund um den Platz immer dichter. Hätte der Lido überlebt, wären diese Aspekte problematisch geworden." In Wisconsin dagegen kann man seine Runde ganz ohne die Widrigkeiten der modernen Zeit spielen, wie wir uns bei einem Besuch im letzten September überzeugen konnten.

Der visuelle Eindruck mag rauer sein, als wir es von anderen Plätzen kennen, was auch daran liegt, dass der Platz zum Zeitpunkt unseres Besuchs erst vier Monate geöffnet war. Doch spätestens an Loch 4 wird uns klar, dass wir es hier mit einem Layout von Weltklasse-Format zu tun haben. "Channel" ist zu Recht das Signature Hole des Designs und war im Original sicher noch beeindruckender, weil es links am Reynolds Channel entlangführte. Das Par 5 lässt sich auf zwei verschiedene Arten spielen. Setzt man den Drive über die Lagune auf das großzügige linke Fairway, nimmt man das Risiko aus der Bahn, dafür lässt sich das Grün dann aber auch maximal mit dem dritten Schlag erreichen. Wer jedoch die Länge und die Genauigkeit besitzt, das kurze und schmale rechte Fairway anzuspielen, hat die Option, das Grün über die Lagune und einen gigantischen Front-Bunker anzugreifen. "Ich war wirklich erleichtert, als ich Loch 4 betrat", erinnert sich Peter Flory. "Ich hatte Sorge, dass es sich heute wie ein Par 4 spielen würde. Aber sobald ich es sah, wusste ich, dass dieses Loch immer noch den gleichen Charakter wie damals hat."
Um dieses Loch und die Runde insgesamt ohne Desaster zu überstehen, ist im Lido die Buchung eines Caddies verpflichtend: eine Zusatzinvestion, die sinnvoll ist. Abseits des Old Course in St. Andrews gibt es kaum einen Platz, der auf eine so faszinierende Geschichte zurückblicken kann und zugleich spielerisch so viele Facetten besitzt, dass man ohne Expertise aufgeschmissen ist. Allerdings hilft der beste Caddie nichts, wenn man die Ratschläge nicht befolgt oder seine Schläge an diesem Tag nicht unter Kontrolle hat. Diese Erfahrung mussten wir zumindest machen, als wir trotz einiger Birdies am Ende Mühe hatten, den Score im zweistelligen Bereich zu halten. Trost spendet da nur, dass wir nicht die ersten Journalisten sind, die am Lido verzweifelten. Am 25. April 1922 berichtete die "New York Times" über den Saisonstart des "New York Newspaper Golf Club" auf dem Lido: "Bei der Eröffnung des Jahres waren die Schreiber erfolgreich, aber im Kampf gegen Par erlitten sie hohe Verluste. Der einzige halbwegs Erfolgreiche war Allan F. Poinsette, der mit 92 Schlägen gewann." Ein Score, der an diesem Tag für uns illusorisch war. Vielmehr konnten wir uns mit einem von Poinsettes Mitspielern identifizieren, dem die "Times" in einem augenzwinkernden Nebensatz einen Schlag unter die Gürtellinie verpasste: "Als Arthur Baer, besser bekannt als Bugs, zuletzt gesehen wurde, saß er auf dem achten Grün und wartete darauf, dass die Flut zurückging, damit er seinen nächsten Schlag machen konnte."