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Golfpunks dieser Welt

Sandra Jane Haynie

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Die Amerikanerin wies nicht nur optisch Ähnlichkeiten mit Martina Navratilova auf, auch führte sie die Tennislegende als Managerin an die Spitze. Und nebenbei wurde Sandra Haynie in die World Golf Hall of Fame aufgenommen.

Für einen normalen Golfer ist es oft ziemlich schwierig nachzuvollziehen, was Profis auf dem Platz anstellen können. Doch selten war die Diskrepanz zwischen Hobby- und Berufsgolfer so groß wie bei Sandra Jane Haynie. Schließlich sagt sie über den Sport, der uns regelmäßig zur Verzweiflung treibt: "Golf war für mich ziemlich leicht. Ich fand nichts daran wirklich schwierig." Mit 42 Siegen auf der LPGA Tour liegt die heute 81-Jährige auf Platz neun der ewigen Bestenliste - und es wären wahrscheinlich noch mehr Triumphe gewesen, hätte sie im Verlauf ihrer Karriere nicht eine Pause eingelegt, um einer Tennislegende in die Siegesspur zu verhelfen.

Sandra Haynie ist zwölf Jahre alt, als sie den Entschluss trifft, das Schlagen eines kleinen weißen Golfballs zu ihrem Lebensinhalt zu machen. Dabei hat sie lange Zeit überhaupt kein Interesse an dem Sport gezeigt. Zwar begleitet sie ihren golfbegeisterten Vater regelmäßig in den Country Club, doch während der seine 18 Bahnen spielt, biegt sie ab und zieht ihre Bahnen im Schwimmbad - bis der Head Professional sie eines Tages abfängt, ihr ein gekürztes Eisen 6 in die Hand drückt und sie auf die Driving Range stellt. "Ich wusste sofort, dass dieser Sport für mich als Einzelkind ideal ist", erinnert sich Haynie im Podcast "Fore the Good of the Game" später. "Ich brauchte niemand anderes, nur ich allein war verantwortlich für meinen Erfolg oder mein Scheitern." Was man daraus machen kann, erfährt sie, als ihr Mentor A.G. Mitchell sie neun Löcher mit Golflegende Babe Zaharias spielen lässt: "Ich ging nach der Runde nach Hause und wusste, dass ich auch einmal Profi-Golferin werden wollte."

Als sie 1961 im Golfzirkus der Damen ankommt, macht sie schnell klar, dass mit ihr in Zukunft zu rechnen ist. Am 10. Juni 1962, sechs Tage nach ihrem 19. Geburtstag, gewinnt Sandra die Austin Civitan Open. Unkenrufen, sie könne ein One-Hit-Wonder sein, bereitet sie ein schnelles Ende. "Mir wurde gesagt: ,Du kannst ein Turnier gewinnen, aber den Erfolg zu wiederholen ist deutlich schwieriger.' Die nächste Woche spielten wir in Rockford, Illinois, und ich stellte sicher, dass ich wieder siegte."

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Von 1962 bis 1975 gewinnt sie in jedem Jahr zumindest ein Turnier und beendet die Saison jeweils unter den zehn Besten der Geldrangliste. Kurz: Wann immer sie am Abschlag steht, spielt sie mit um den Sieg. Ihre Dominanz ist derart groß, dass ihre Gegnerinnen misstrauisch werden. Als sie einmal die beste Runde des Tages spielt, beschweren sich die anderen, sie habe ja als Teil des Turnierkomitees selber die Fahnen gesteckt und dadurch einen Vorteil gehabt. "Ich sagte ihnen: ,Ihr könnt gerne an meiner Stelle morgen Früh um vier Uhr aufstehen und die Pin-Positionen auswählen.' Aber niemand wollte es tun."

Irgendwann jedoch streikt ihr Körper: die vielen Jahre harter Arbeit, Abertausende Bälle auf der Range, der Wettkampfdruck. Zudem unterläuft ihr auf einer einmonatigen Exhibition-Tour in Johannesburg ein Missgeschick. Beim Shopping vergisst sie, dass in Südafrika Linksverkehr herrscht. Als sie die Straße überquert, wird sie von einem Auto erfasst und in die Luft geschleudert. Und dann das Unvorstellbare: Das Krankenhaus weigert sich, sie zu behandeln, schließlich könne sie ja noch laufen. Den Flug zurück in die USA verbringt sie vor Schmerzen auf dem Boden liegend in der ersten Klasse.

Wieder zu Hause werden bei ihr zwei gebrochene Rückenwirbel diagnostiziert. Dazu entwickelt sie ein Geschwür, Durchblutungsschwierigkeiten in der linken Hand sowie eine schmerzhafte Arthritis. Ein Jahr noch schleppt sie sich durch einen reduzierten Turnierplan, doch das Herz ist nicht mehr richtig bei der Sache: "Ich bin zum Golfplatz gekommen und wünschte mir, ich wäre woanders." 1976 verlässt Sandra Jane Haynie das Tourleben und zieht sich in ihre texanische Heimat nach Fort Worth zurück. Hinter ihr liegt eine Karriere, die bereits ein Jahr später zur Aufnahme in die World Golf Hall of Fame führt. Sie hat alles erreicht. Was nun? Hilfe findet sie in ihrem Lebensmotto. "Golf gibt dir Optionen - ganz wie das Leben. Du entscheidest, welche dir am ehesten liegt." Haynie findet für sich eine Option und schlägt ein neues Kapitel in ihrem Leben auf.

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Just zu dieser Zeit macht sich die spätere Tennislegende Martina Navratilova in Amerika einen Namen. Die gebürtige Tschechoslowakin kommt 1973 als Teenagerin in die Vereinigten Staaten. Der Kalte Krieg ist in vollem Gange. Die große Politik interessiert Navratilova jedoch herzlich wenig, wie sie einmal zugibt. Den westlichen Versuchungen hingegen ist die junge Frau aus dem Ostblock weniger abgeneigt. Sie stürzt sich wie verrückt auf Burger und Eiscreme. Das Resultat ist Übergewicht, die Performance auf dem Tennisplatz leidet. Ein Sportjournalist beschreibt sie spöttisch als "Great Wide Hope", also etwa als "die große breite Hoffnung".

Auftritt Sandra Jane Haynie. Bei den Aufnahmen zur amerikanischen Fernsehshow "Superstars", in der Sportler sich in artfremden Disziplinen messen, bringt Haynie Navratilova Rudern und Bowling bei und lädt die Filzballartistin zu sich nach Texas ein. Eher spröde und sportlich verbissen passen die beiden Ausnahmeathletinnen perfekt zueinander. Die Golferin wird zur Managerin, Mentorin und Kameradin der Tennisspielerin. Vielleicht sogar mehr Fakt ist, dass sich Martina 1980 als homosexuell outet, eine Partnerschaft mit Haynie jedoch niemals bestätigt worden ist. Wie dem auch sei, die Gesellschaft der gut zehn Jahre älteren Wettkämpferin tut der frischgebackenen US-Staatsbürgerin Navratilova gut. Sie gewinnt die US Open, komplettiert den Karriere-Grand-Slam und professionalisiert sich als Sportlerin. Währenddessen wird Sandy als stabilisierender Faktor für Martina wahrgenommen. Navratilova bewundert die Selbstsicherheit, den Biss und den Erfolg ihrer Mentorin. Attribute, die Navratilova zu der Spielerin machen, wie wir sie heute in der Rückschau kennen. Billie Jean King, der Grande Dame des Tennis, entgeht dieser Einfluss nicht: "Kein Zweifel, Sandy hilft ihr, sich zu entspannen und die Emotionen unter Kontrolle zu behalten."

Dinge, die Haynie selbst erst von anderen beigebracht bekommen hat. Als sie Anfang der 1970er einen Vertrag mit der Firma Dunlop unterschreibt und zweimal im Jahr nach Japan fliegt, lernt sie von ihren asiatischen Profikolleginnen die hohe Kunst der Meditation. Seither hat sie gegenüber ihren Rivalinnen einen Vorteil: "In der Umkleide hörte ich immer wieder, wie andere Spielerinnen über ihre Runde lamentieren. Sobald man einen Gegner sagen hört: ,Ich mag es nicht, wenn…', weiß man, dass man einen Vorteil hat." Keine Frage: Sandra Haynie ist mit sich im Reinen. Ab und an schlägt sie bei ausgewählten Turnieren ab: ohne den ganz großen Druck und auf der Suche nach "der friedlichen Mitte, der inneren Ruhe, von der ich wusste, dass sie irgendwo in mir ist oder zumindest sein sollte". Als Hainey 1980 aber Jack Nicklaus bei der US Open siegen sieht, ist das Kribbeln zurück. Comeback-Gedanken reifen in ihr. "Die einzigen Bedenken waren, ob ich das wirklich alles noch mal wollte, das Reisen, den Druck der Turniere." Ihre Antwort: absolut!

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Es hilft, dass die vielen Therapien mittlerweile angeschlagen haben. Beinahe schmerzfrei kehrt sie 1981 auf die LPGA-Tour zurück, spielt einen vollen Turnierplan - und sie erkennt, dass sie die früheren Erfolge mit Ende 20 nicht richtig wertzuschätzen wusste, ganz die verbissene Wettkämpferin eben. Sandra Haynie spielt nun befreiter und - wie sollte es anders sein - gewinnt bereits in ihrer ersten Saison zurück auf den Grüns das nächste Turnier. Doch das Beste kommt zum Schluss, wie es so schön heißt. Sie ist bald 40 Jahre alt und spielt 1982 doch, wie sie selbst einmal sagt, das beste Golf ihrer gesamten Karriere. Zunächst düpiert sie Nancy Lopez, die in der Zwischenzeit zur absoluten Nummer eins im Damengolf avanciert ist, mit sechs Schlägen Vorsprung beim Rochester International. Und in der Woche darauf triumphiert Haynie am amerikanischen Unabhängigkeitstag bei der als Peter Jackson Classic firmierenden Canadian Open. Es ist ihr vierter Major-Sieg und die letzte Trophäe ihrer illustren Laufbahn. "Ehrlich gesagt dachte ich nicht, dass sie den macht", so die knapp geschlagene Beth Daniel über Haynies letzten Putt an der 18. Es ist ein Herzschlagfinale, drei Meter bis zum Loch. "Ich wusste, wenn ich den danebenlege, wäre ich immer noch im Play-off. Aber ich wollte den auf gar keinen Fall vorbeischieben."

Da ist er wieder, der Wettkampfgeist, der unbedingte Fokus. Die Erfolgsformel, die sie Martina Navratilova vermittelt hat. Kopf runter, alles ausblenden. "Ich schaute mir das Loch an. Es war riesig. Sobald ich den Putt gespielt hatte, war klar: Der ist gut. Ich habe nicht mal gesehen, wie der Ball ins Loch gerutscht ist. Ich habe nur gejubelt." Fokus, Hingabe, Erfolg. Dass sie noch bis 1988 auf der Tour unterwegs ist, unterstreicht ihre Hingabe. Nur gewinnen wird sie nicht mehr. 1984 gibt ihr Knie nach, ihr Rücken kapituliert. Was bleibt, ist ein Vermächtnis in zwei Sportarten. Sandra Jane Haynie - einfach außergewöhnlich!

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