Irgendwann klatscht Mitchs Vater Mike in die Hände und lässt die Athleten sowie die knapp 30 Angehörigen und Schlachtenbummler, die sich der Gruppe angeschlossen haben, mit dickem Kiwi-Akzent wissen, dass es Zeit ist weiterzuspielen: "Let's go, boys! Lunch break is over." Als guter Caddie weiß Mike, dass Loch 10 ein Par 5 ist, und drückt seinem Sohn automatisch den Driver in die Hand, schließlich spielte der Führende vom Tee bisher so sicher wie eine Schweizer Bank. Doch keine halbe Sekunde, nachdem der Driver-Kopf auf den Ball getroffen hat, stöhnt Mitch bereits: "Oh nein! Doch nicht dorthin...", denn der Ball schießt mit einer riesigen Linkskurve ins Rough. "Ich versuche es gleich noch mal", lächelt er in Richtung seines Vaters und hämmert seinen provisorischen Abschlag 250 Meter das Fairway hinunter. "Guter Drive!", nickt Frederik zustimmend, und als kurze Zeit später Mitch das Doppel-Bogey notieren muss, freut sich der Neuseeländer trotzdem riesig, schließlich hat er für diese 7 auf der Scorekarte gerade einen Fünfmeter-Putt gelocht. Das zuvor eingesammelte Lob gibt er umgehend an seinen dänischen Kontrahenten zurück, der zum Birdie gelocht hat: "Großartiger Putt, Fred!" Mitchells Schwester, ihr Freund und die Großeltern aus den USA spenden frenetischen Applaus, während sich die Gruppe auf den Weg zum elften Tee macht und von der Driving Range die Musik der beginnenden Siegerehrungen zu hören ist. Doch so weit ist der Flight der Führenden noch lange nicht.

»EINEN MEDAILLENSPIEGEL WIE BEI DEN OLYMPISCHEN SPIELEN GIBT ES BEI DEN SPECIAL OLYMPICS BEWUSST NICHT. DIESE WETTBEWERBE SIND KEIN KRÄFTEMESSEN DER NATIONEN.«
Gut 80 Volunteers, zahlreiche Coaches aus aller Herren Länder und unzählige Familienangehörige der Aktiven garantieren um und auf den Golfplätzen des riesigen Resorts nicht nur einen reibungslosen Ablauf der in ihrer Anzahl für Neulinge unter den Zuschauern kaum zu überschauenden Golfwettkämpfe, sie sorgen auch für eine Stimmung, die mehr an ein Familientreffen als an ein Sport-Großereignis erinnert. Unter ihnen ist Bradley Kerr so etwas wie die gute Seele im deutschen Team und mit dem offiziellen Titel Competition Manager Ansprechpartner für alles und jeden. "Das ist wirklich ein unglaubliches Event! Das sind meine vierten Special Olympics und hier spielen wir auf einem Platz, der bereits für den Ryder Cup im Gespräch war. Golfwettbewerbe auf einem solchen Niveau haben wir bei den World Games bisher noch nicht erlebt." Damit meint der gebürtige Schotte, der sich im Bielefelder Golfclub bereits seit 20 Jahren um die Inklusion Behinderter in den Golfsport kümmert, nicht nur die Anlage selbst, sondern auch die sportlichen Leistungen auf dem Faldo-Course, immerhin einer der schwierigsten Golfplätze Deutschlands. "Es ist toll zu sehen, dass wir in Level 5 nun auch ein paar junge Bengels dabeihaben, die richtig gutes Golf spielen."


"Der sportliche Wettkampf wird hier ernst genommen, ist jedoch nicht der Kern der Veranstaltung", erklärt Bradley, während auf der Driving Range schon die ersten Siegerehrungen der verschiedenen Levels über die Bühne gehen. "Der Umgang aller Teilnehmer ist sehr liebevoll und selbst Probleme wie gestern mit der Klassifizierung sind sehr schnell wieder vergessen. Von der Verbissenheit so mancher Sport-Events ist hier nichts zu spüren und ich denke, viele Profis könnten sich davon eine Scheibe abschneiden."
Währenddessen wird es auf dem Faldo-Course noch mal spannend, denn Mitchell Brown musste einige Bogeys auf seiner Scorekarte notieren. Der 20-Jährige, der auf Great Barrier Island lebt und trainiert, wurde vor drei Jahren von seinem Vater auf die Special Olympics in Berlin aufmerksam gemacht und hat sich in den vergangenen 36 Monaten nicht nur zum Ziel gemacht, an den Wettkämpfen in Berlin teilzunehmen, sondern auch, als Sieger wieder nach Hause zu fliegen. Im Laufe seines Lebens musste er zahlreiche Herausforderungen bewältigen, nicht zuletzt das Aufwachsen ohne Mutter, die, als Mitch gerade 18 Monate alt war, an Krebs verstarb. Von Geburt an litt Brown unter zahlreichen gesundheitlichen Problemen und intellektuellen Entwicklungsschwierigkeiten, doch seine Neugier und sein Wettbewerbsgeist haben ihn bis hierher an die Spitze des Leaderboard bei den Special Olympics gebracht.

Der Neuseeländer lässt mit einem sicheren Par am Schlussloch nichts mehr anbrennen und sichert sich mit insgesamt 299 Schlägen die lang ersehnte Goldmedaille. "Fred hat es mir wirklich schwer gemacht heute. Er hat fantastisch gespielt und ich bin unglaublich froh, dass ich mit ihm und Leonard heute Golf spielen konnte", freut sich einer der vielen Sieger dieser Spiele noch auf dem 18. Grün ins iPhone des amerikanischen Offiziellen, der diesen ergreifenden Moment live in die Welt hinausstreamen möchte. Jedoch ist der schätzungsweise 60-Jährige ganz offenbar kein Digital Native, denn er vergisst doch glatt, den Aufnahmeknopf zu drücken. Als es ihm auffällt, hat Mitchell Brown längst sein Interview mit der "Sportschau" beendet und wird von seiner jubelnden Entourage auf den Schultern in Richtung Siegerehrung getragen. Doch dieses technische Malheur ist im Kontext dieser Tage eigentlich vollkommen egal, denn um die einmalige Atmosphäre dieses Golfturniers miterleben zu können, muss man live dabei gewesen sein.