Dass ein Studium in den Staaten längst mehr ist als die ewige Party, die uns "Animal House" oder die "American Pie"-Filmreihe glauben machen wollen, beweist ein Blick auf die Weltrangliste der Herren. Von den Top 20 der Welt haben 16 College-Golf gespielt, darunter auch europäische Spitzenspieler wie Viktor Hovland, Jon Rahm oder Ludvig Åberg. "Ludvig hat mir gesagt, dass ihn die Plätze, die wir spielen, perfekt auf den Anspruch der PGA Tour vorbereitet haben", erzählt uns sein damaliger College-Trainer Greg Sands. "Wir suchen Plätze, die die Jungs herausfordern. Hinzu kommt, dass wir oft kein perfektes Wetter haben. Auf der PGA Tour reisen sie den guten Bedingungen hinterher. Wenn wir dagegen im Frühjahr Prairie Dunes in Kansas spielen, gibt es auch schon mal 50 km/h Wind."
Sands ist seit 22 Jahren als Headcoach an der Texas Tech University beschäftigt und hatte schon zwei Deutsche unter seinen Fittichen: Hurly Long von 2015 bis 2018 und aktuell Tim Wiedemeyer. Der 19-Jährige hatte bei der Uni die Qual der Wahl. "Nicht nur, weil es ein schwacher Jahrgang in den USA war", weiß Niels Schulz. "Wir hatten einmal 40 verpasste Anrufe auf dem Handy, alle wollten Tim haben." Dass der sich am Ende für die Texas Tech entschied, lag daran, dass man sich in Lubbock/Texas (Hauptattraktionen: ein Wasserpark, eine Buddy-Holly-Statue und der "Holly Hop Ice Cream Shoppe") voll auf den Golfsport konzentrieren kann - und dass Greg Sands ihn unbedingt haben wollte.
»WENN MAN HIER GUT IST, IST MAN WIRKLICH FÜR ALLES VORBEREITET. ES GIBT KEINEN BESSEREN ORT, UM SICH GUT ZU ENTWICKELN.
PEER WERNICKE«
Wie schwierig es ist, überhaupt ins Team zu kommen, weiß auch Studienanfänger Peer Wernicke, der mit der Arizona State "meine Traum-Uni" gefunden hat. Seine Sun Devils haben mit sieben Rekruten zwar zwei weniger als die Texas Tech, dennoch können immer nur fünf für die Turniere aufgestellt werden (mit vereinzelten Optionen, einen Einzelstarter ins Rennen zu schicken). In Peers Team sind mit US-Amateur-Champion Josele Ballester und dem Weltranglistensiebten Preston Summerhays zwei Spieler so gut wie gesetzt. "Die anderen sind alle megastark. Wir haben zu Beginn der Saison einen Qualifier, der über sechs Runden geht, und dann vor jedem Turnier noch mal einen kürzeren Qualifier. Da bin ich gespannt, wie es läuft", hat uns Wernicke kurz vor dem Saisonstart verraten. Dass er es kurz darauf ins Team schafft, die ersten drei Einzel in den Top 15 beendet und mit den Sun Devils gleich das erste Turnier unter anderem gegen seine Nationalmannschaftskollegen Finn Koelle (Washington) und Tiger Christensen (Arizona) gewinnt, zeigt, dass seine Ziele nicht zu hoch gegriffen sind: "Es ist auch als Freshman möglich, sich ins Rampenlicht zu spielen. Man muss gucken, dass man sich schnell an die Bedingungen gewöhnt, Selbstbewusstsein sammelt und sein Potenzial abruft."
Das ist Christin Eisenbeiss auf jeden Fall gelungen. Die 23-Jährige hat an der University of North Florida so ziemlich jeden Schulrekord gebrochen. Das bedeutet zwar nicht, dass sie auf Schultern über den Campus getragen wird, aber "ich habe schon Anerkennung bekommen. Golf ist zwar nicht so groß wie Football oder Basketball, aber sehr viel populärer und anerkannter als in Deutschland." Dass sie an einer eher kleinen Uni gelandet ist, liegt daran, dass sich ihr College-Traum anders entwickelt hat als der von Peer Wernicke. Während Wernicke "schon als kleiner Junge" in den USA studieren wollte, als er bei Golfübertragungen hörte, an welchen Unis die Spieler waren, hat Eisenbeiss "im Januar die Entscheidung gefällt und schon im Februar die Uni gewählt". Wenn man bedenkt, dass Niels Schulz sagt, im Idealfall sollte man schon zwei Jahre vorher mit der Suche anzufangen, ein sehr kurzfristiger Schritt. Dennoch hat es der aktuellen Deutschen Mannschaftsmeisterin nicht an Optionen gefehlt. "Ich hatte viele Angebote, auch von größeren Unis. Aber einige waren mir wettertechnisch zu nördlich oder lagen im Nirgendwo, da hätte ich auch zu Hause bleiben können."
Eisenbeiss ist Teil einer Generation, die durch Corona besondere Herausforderungen zu meistern hatte. Nicht nur, weil sie sich nicht direkt vor Ort ein Bild von den Universitäten und den Coaches machen konnte, sondern auch, weil ihr Zeit geraubt wurde. "Normalerweise hat man eine vierjährige Spielberechtigung, die im August beginnt. Wegen Corona konnte ich den für die Aufnahme verpflichtenden SAT-Test aber nicht machen und erst im Januar nach Florida reisen. Dementsprechend habe ich nur dreieinhalb Jahre für das Team spielen können." Während ihre Uni-Golfkarriere im Mai endete, ist ihre akademische erst im Dezember mit dem Abschluss vorbei. "Glücklicherweise sind meine Coaches sehr nett und lassen mich weiter mittrainieren, obwohl ich nicht mehr im Team bin."
Auch für kommende Jahrgänge wird Corona noch länger ein Thema sein, prophezeit Niels Schulz. "Die Spielstärke der Amerikaner wird immer besser. Mittlerweile sind 13- und 14-Jährige schon Scratch-Golfer, weil sie in Folge der Pandemie jede Menge Golf spielen konnten. Die Abschlussjahrgänge 2026 bis 2028 sind unglaublich gut." Entsprechend schwerer wird es auch für internationale Studenten, aufgenommen zu werden - zumal das US-Collegesport-System gerade auf eine ungewisse Zukunft blickt. Aufgrund eines Gerichtsurteils müssen Universitäten in Zukunft einen Teil ihrer Athleten entlohnen. Dies gilt zwar vorwiegend für Football und Basketball, wodurch Colleges so viel einsacken, dass sie damit Dagobert Ducks Geldspeicher füllen könnten, doch auch für Golf könnte es Folgen haben. Zum einen, weil einige Unis die fehlenden Einnahmen kompensieren könnten, indem sie weniger lukrative Sportarten einstampfen, zum anderen weil Golfteams ab der Saison 2025/2026 maximal aus neun Spielern bestehen dürfen, diese aber in Zukunft komplett mit Stipendiaten bestückt sein können. Die Folgen sind für Greg Sands noch nicht absehbar. "Das Urteil hat sicher einige unbeabsichtigte Konsequenzen. Vielleicht wachen wir morgen auf und haben viereinhalb Stipendien, vielleicht haben wir für sechs oder womöglich auch nur für drei Studenten Stipendien - es ist eine verrückte Zeit. Die Tage des richtigen Amateursports sind vorbei und der Trickledown-Effekt auf Sportarten wie unsere, die keine Einnahmen generieren, bereitet ein wenig Sorge."
Ohne ein Stipendium ist ein Studium in den USA für Ausländer kaum finanzierbar. An der Arizona State beispielsweise kostet ein Studienjahr knapp 65.000 US-Dollar (inklusive Unterkunft und Essen), mit einem "fullride scholarship" kann man sich dagegen kostenlos durchschnorren wie Alan Harper in "Two and a Half Men". Da das Studium im eigenen Bundesstaat für Amerikaner dagegen vergleichsweise günstig ist, gibt es für internationale Bewerber große Unterschiede, an welchen Unis sie Chancen haben, verrät Niels Schulz: "Die University of Arizona ist beispielsweise mehr von internationalen Spie lern abhängig, weil die US-Kandidaten eher zur Arizona State University gehen."
Dabei haben internationale Studenten für Greg Sands einen großen Vorteil gegenüber ihren US-Alterskollegen. "Sie sind normalerweise erwachsener, weil sie schon mit ihren Nationalteams gereist sind, während die Kids aus den USA mehr an ihre Eltern gebunden sind." Wer ernsthaft anstrebt, in Übersee ein Golfstipendium zu absolvieren, sollte jedoch mehr als nur einen Monatsteller im Trophäenschrank haben. "Herren sollten einen Rundenschnitt von 72 oder 73 haben - wenn sie in den besten Teams aus der Division 1 antreten wollen, sogar 70 oder 71. Bei Frauen reichen meist zwei Schläge mehr." Das ist für Schulz aber nicht der einzige Grund, warum es Mädchen leichter haben. "Das Mantra der Universitäten lautet, man ist zuerst Student und dann Athlet. Das hilft Mädchen, weil sie in der Regel ein besseres Abitur haben."
Dass das Uni-Leben kein Ponyhof ist, hat auch Peer Wernicke erfahren: "Die meisten von uns stehen sehr früh auf, einige fangen morgens vor sechs Uhr an zu trainieren." Ein Zeitplan, der auch Christin Eisenbeiss nicht fremd ist: "Wir hatten dreimal die Woche um sechs Uhr für eine Stunde Workouts: dienstags und donnerstags mit Gewichten und am Freitag Cardio." Akademisch dient das erste Jahr dabei noch der Orientierung, da man den Studiengang - Wernicke tendiert derzeit zu Entrepreneurship - noch nicht festlegen muss. "Deswegen dauert es hier auch vier Jahre bis zum Bachelor und nicht nur drei wie bei den meisten Studiengängen in Deutschland." Entsprechend kann er den richtigen Arbeitsaufwand noch nicht genau einschätzen, "es ist aber auf jeden Fall so, dass man hier rund um die Uhr unterwegs ist. Akademisch hält sich die Zeit im ersten Jahr noch in Grenzen mit nur etwa zwei Stunden Unterricht am Tag plus Hausaufgaben. Und danach wird trainiert."
Dabei können sich die Athleten auf herausragende Trainingsanlagen verlassen. An der Texas Tech wird auf einem Unieigenen Golfplatz geübt, der vom Spitzenarchitekten Tom Doak gestaltet wurde, und an der Arizona State hat Ex-Student Phil Mickelson seinen Nachfolgern ein wahres Trainingsparadies hinterlassen. "Wir haben hier sehr viele Grüns, die von ihm extra für das kurze Spiel designt wurden", schwärmt Wernicke von den Mini-Zielen, die Mickelson im gleichmäßigen Abstand zwischen 25 und 130 Metern errichtet hat, um das Wedge-Spiel zu perfektionieren. "Wir haben im kurzen Spiel die schwierigsten Fahnenpositionen, die man sich vorstellen kann. Wenn man hier gut ist, ist man wirklich für alles vorbereitet. Es gibt keinen besseren Ort, um sich gut zu entwickeln."
Erstaunlich ist jedoch, dass Nachwuchsathleten bei der Gestaltung des Trainings meist auf sich gestellt sind. "Die Coaches sind in erster Linie Teammanager. Techniktraining hatte ich generell wenig. Ich kenne meine typischen Fehler, und wenn es doch etwas gibt, rufe ich meine Coaches zu Hause an", blickt Christin Eisenbeiss auf ihre Zeit im Team zurück. Diese Erfahrung hat auch Peer Wernicke in seinen ersten Wochen gemacht. "Es ist tatsächlich so, dass man auch viel Zeit allein verbringen muss. Die Trainer schauen ab und zu vorbei, ob alles gut ist oder sie irgendwie helfen können, grundsätzlich ist es aber eher individuell." Dies liegt nicht etwa am Desinteresse der Trainer, sondern an Vorgaben der Studentensport-Organisation NCAA. "Sie schreiben vor, dass wir pro Woche maximal 20 Stunden mit den Spielern arbeiten dürfen", bestätigt Greg Sands. Insofern ist das Studium auch eine gute Vorbereitung auf das spätere Leben. "Ich habe mich vor allem menschlich weiterentwickelt", zieht Fast-Absolventin Eisenbeiss ein Fazit ihrer Unizeit. "Ich bin sehr viel selbstständiger geworden und würde es immer wieder machen."
Eine Garantie für eine erfolgreiche Profikarriere kann aber auch die beste Universität nicht bieten. Unter den besten College-Golfern der letzten zehn Jahre kommen auf jeden Ludvig Åberg und auf jede Rose Zhang auch ein Norman Xiong oder eine Natalie Srinivasan, die sich noch nicht durchgesetzt haben. Für Christin Eisenbeiss ist daher der nächste Schritt, sich eine Spielberechtigung zu sichern. "Nächstes Jahr im August ist die Qualifying School für die LPGA Tour und im Dezember dann für die LET; dort werde ich versuchen, auf die Tour zu kommen." Für ihre männlichen Kommilitonen ist der Schritt etwas einfacher. Im Studienjahr 2020/2021 wurde das PGA Tour University Ranking etabliert, das den besten College-Golfern eine Anschubhilfe ins Profileben gibt. Der Erstplatzierte der Wertung erhält eine Karte für die PGA Tour, die Plätze zwei bis fünf dürfen den Rest des Jahres auf der Korn Ferry Tour spielen und werden automatisch ins Finale der Q School katapultiert und die 20 dahinter - darunter im vergangenen Jahr auch der Deutsche Jonas Baumgartner - dürfen zumindest die erste Stufe des Qualifyings überspringen. Für Greg Sands führt deshalb kein Weg am College-Sport vorbei: "Die Spieler bekommen freie Turniere, eine freie Ausbildung und Mannschaftskollegen, die sie zu besseren Leistungen pushen. Es ist die perfekte Brücke vom Junior-Golf zum Profi Golf."