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Japan

Samurai, Yakuza und Immobilienhaie

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty images, Illustration: Canvas AI

Seit gerade mal 120 Jahren wird in Japan Golf gespielt, doch in kaum einer anderen Nation hat der Sport eine bewegtere Geschichte. Erst rettete er eine obsolet gewordene Industrie, dann führte er das Land und seine Menschen fast in den Ruin.

Japan erlebt gerade eine popkulturelle Sternstunde. Nachdem der kleinere Nachbar Südkorea jahrelang mit K-Pop und K-Dramen die westliche Jugend erobert hat, steht aktuell das Land der aufgehenden Sonne im Mittelpunkt: Die mitreißende Neuverfilmung von James Clavells Samurai-Geschichte "Shogun" begeistert Millionen und räumt reihenweise Fernsehpreise ab. Das jüngst in der ARD gelaufene "Tokyo Vice" zeigt die spannende wahre Geschichte eines Journalisten, der sich mit der Yakuza anlegt. Und die über einen Zeitraum von 80 Jahren erzählte Familiensaga "Pachinko" schildert seit 2022 bei Apple TV+ das entbehrungsreiche Leben einer koreanischen Einwandererfamilie in Japan. Das Besondere daran: Alle drei Serien haben am Rande mit der Geschichte des Golfsports in dem Inselstaat zu tun.

Wie so vieles wurde Golf von den Engländern importiert. Der Teehändler Arthur Hesketh Groom hatte sich 1868 in Kobe niedergelassen, vermisste aber seinen geliebten Sport. 1902 baute er auf dem Mount Rokko drei rudimentäre Golfbahnen, die ein Jahr später die Basis für den Kobe Golf Club bildeten. Jedoch wuchs der Sport mit dem Tempo eines Bonsaibaums: Erst 1914 eröffnete mit dem Tokyo Golf Club der erste von Japanern gegründete Golfclub. Und als Kaiser Hirohito am 07. Dezember 1941 das Drehbuch für einen Michael-Bay-Film schrieb und den perfiden Angriff auf Pearl Harbor absegnete, hatte das Land gerade einmal 23 Golfplätze. Die japanische Mobilmachung während des Zweiten Weltkriegs sorgte dafür, dass die meisten von ihnen für militärische oder landwirtschaftliche Zwecke eingespannt wurden. Nach zwei gezündeten Atombomben hatte der Sport im Land natürlich ebenso keine Priorität. Golf startete wieder bei null - bis ein kleines Wunder für eine Wende sorgte.

1957 gastierte der damals noch Canada Cup genannte World Cup im Tokioter Kasumigaseki Country Club. Stars wie Gary Player, Sam Snead, Jimmy Demaret, Peter Alliss, Christy O'Connor oder Peter Thomson traten in dem Teamwettbewerb für ihre Heimatländer an. Dem japanischen Duo Torakichi Nakamura und Koichi Ono wurden dabei ähnlich große Chancen eingeräumt wie den deutschen Golf-Giganten Georg Bessner und Kaspar Marx, doch Nakamura und Ono spielten die Konkurrenz über vier Runden in Grund und Boden und lösten einen Golfboom aus. 1964 gab es bereits 400 Golfplätze in Japan, Anfang der 1970er war die Zahl schon vierstellig. Heute gibt es mit 3.140 Golfplätzen dreimal so viele wie in Deutschland - bei einer nahezu identischen Landfläche und deutlich dichterer Besiedelung. Das Gros entstand in den 1980ern, als Japan einen der größten Wirtschaftsbooms erlebte, den die Welt je gesehen hat. Innerhalb von zehn Jahren versechsfachte sich der Wert des Aktienindex Nikkei 225 und die Menschen wussten nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Genau an dieser Stelle setzt die zweite Staffel von "Pachinko" an. Im Tokio des Jahres 1989 verkauft dort Banker Solomon Baek (Jin Ha) Mitgliedschaften in einem neuen Golfclub - und wird damit zu einer der größten Kapitalvernichtungen in der Geschichte Japans beitragen.

Japan: Japans Golfindustrie: Schläger hui, Schuhe pfui (l.). Klarer Durchmarsch bei der Sudoku-Weltmeisterschaft (r.)Japan: Japans Golfindustrie: Schläger hui, Schuhe pfui (l.). Klarer Durchmarsch bei der Sudoku-Weltmeisterschaft (r.)
Japans Golfindustrie: Schläger hui, Schuhe pfui (l.). Klarer Durchmarsch bei der Sudoku-Weltmeisterschaft (r.)

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SEIT JAHREN HÄLT SICH DAS GERÜCHT, WOODS HABE BEI SEINEM ERSTEN MASTERS-SIEG 1997 MIT MIURA-SCHLÄGERN GESPIELT, AUF DIE TITLEIST DAS FIRMENEIGENE LOGO GEDRUCKT HATTE.
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Mit den Aktienkursen stiegen auch die Landpreise in Japan: Auf dem Höhepunkt der Blase war allein das 115 Hektar große Gelände, auf dem der Kaiserpalast in Tokio steht, so hoch bewertet wie der gesamte US-Bundesstaat Kalifornien. Für die bereits bestehenden Golfclubs schien es, als seien ihre Fairways aus Gold gegossen und die Bunker feiner Diamantenstaub. Mitgliedschaften in den Clubs waren plötzlich nicht nur Statussymbol für die Reichen und Schönen, sondern eine Art Bitcoin der 1980er. Der Hype ging so weit, dass die größte Zeitung des Landes einen wöchentlichen "Nikkei Golf Club Membership Index" kalkulierte, der sich aus dem durchschnittlichen Mitgliedspreis der wichtigsten Tokioter Golfclubs errechnete. So berichtete die "Chicago Tribune" im Juni 1990 von einem Mann namens Fumio Takeuchi, der auf fallende Aktienkurse hoffte, weil viele die daraus resultierenden Verluste mit dem Verkauf ihrer Mitgliedschaften kompensieren. "Wenn der Markt weitere zehn Prozent fällt, hole ich mir vielleicht einen Kredit für eine Clubmitgliedschaft", betete Takeuchi. Stattdessen stürzte er in den nächsten zwei Jahren um mehr als 50 Prozent ab!

Dass der Aktienmarkt implodierte wie 350 Jahre zuvor die Tulpenmanie in Holland, war zum großen Teil ebendiesen Golfkrediten geschuldet. Dabei agierten die Banken auf beiden Seiten des Spektrums. Einerseits finanzierten sie Investoren beim Kauf von Grundstücken und beim Bau ihrer Clubs, andererseits griffen sie potenziellen Mitgliedern mit Krediten von bis zu 50 Millionen Yen (ca. 250.000 Euro) unter die Arme. Die dadurch entstandene künstliche Verschiebung von Angebot und Nachfrage ließ eine Blase entstehen, die so kurz vor dem Platzen stand wie die von Reisenden nach einer ICE-Fahrt mit defekter Toilette: In der Spitze kostete eine Golfclub-Mitgliedschaft in Tokio bis zu 3,5 Millionen US-Dollar.

Die horrenden Preise hatten einen zusätzlichen Effekt. Überall in der Stadt schossen mehrgeschossige Driving Ranges wie Pilze aus dem Boden oder aus Hochhäusern. Weil sich viele Angestellte keine Mitgliedschaften in Clubs leisten konnten, Golf aber zur Identität in der Firma gehörte, übten sie sich die Finger wund, um sich an dem einen Tag, an dem der Chef seine Mitarbeiter auf den Platz einlädt, nicht zu blamieren. "Wenn ich mir keine Mitgliedschaft leisten kann, fürchte ich, dass ich in einer Urne liege, bevor ich konstant unter 80 spiele, klagte Fumio Takeuchi der "Tribune".

Eine Notlage, die Kriminelle auszunutzen wussten. Regelmäßig wurden Golfinteressierte mit auf 1.000 bis 2.000 Bewerber begrenzten Mitgliedschaften geködert - in Wirklichkeit wurde allerdings das Fünf- bis Zehnfache verkauft und die anschließende Suche nach einer Startzeit gestaltete sich anstrengender als ein Konzertkartenkauf bei Ticketmaster. Als die Aktienkurse schließlich fielen, die faulen Kredite platzten und die japanische Wirtschaft in den Abwärtsstrudel geriet, waren auch die Mitgliedschaften in Golfclubs plötzlich nichts mehr wert. So berichtete der britische "Independent" 1998 über die Pleite einer Investorenfirma namens Maria, die dazu führte, dass ein Großteil der Mitglieder ihre Investitionsumlage verloren: bis zu 500.000 Euro. "Wäre dieses Verbrechen während der Edo-Zeit geschehen' hätte man ihn durch die Stadt geschleift und am Gefängnistor gekreuzigt", verteufelte einer der Geprellten den Präsidenten der Firma.

Japan:
Die Edo-Zeit, benannt nach dem bis 1868 verwendeten Namen für Tokio, ist auch die Zeit, in der "Shogun" spielt. Sie erzählt die von dem echten William Adams inspirierte Geschichte eines englischen Steuermanns, der in Japan an Land gespült wird und vom Gefangenen und Außenseiter zum Samurai aufsteigt. Die Serie, in der mit Kanonen nicht nur auf Spatzen geschossen wird, bietet neben historischer Authentizität und einer sensiblen Liebesgeschichte auch unvergessliche Einsätze von Samuraischwertern - sei es bei Kämpfen rivalisierender Clans oder beim Seppuku, dem rituellen Selbstmord mit dem eigenen Kurzschwert sowie dem Katana eines Sekundanten.

Viele dieser antiken Waffen gelten heute als nationales Kulturgut und dürfen nicht aus Japan ausgeführt werden. Ein Grund dafür ist ihre exzellente Verarbeitung. In wochenlanger Handarbeit aus edelsten Materialien gefertigt wurden die Klingen von einer Generation zur nächsten vererbt - wie auch das Talent der Schmiedekunst. Doch am 28. März 1876 verabschiedete die japanische Regierung das Haito Edict, das das öffentliche Tragen von Waffen verbot. Mit dem Ende der Samurai mussten sich auch die Meisterschmiede neue Betätigungsfelder suchen. Eines davon kam mit dem Golfsport - frei nach dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen".

Der Legende nach hatte einer der ersten europäischen Spieler des Kobe Golf Club seinen Lieblingsschläger beschädigt. Weil es keine Möglichkeit gab, in dem Land einen Ersatzschläger zu finden, suchte er jemanden, der den Schaden reparieren konnte. Fündig wurde er im 70 Kilometer entfernten Himeji District, der als eine der Hochburgen der Schmiedekunst galt. Die dem Golfsport völlig fremden Männer sollen es nicht nur geschafft haben, den Schaden zu reparieren, ihnen gelang es sogar, den Schläger zu verbessern. Den Wahrheitsgehalt dieser Erzählung kann niemand mehr verifizieren, bis heute jedoch ist Himeji eine japanische Hochburg des Golfschlägerbaus. 1930 entstand hier nach einem Auftrag des Hirono Golf Club das erste in Japan gefertigte Eisen, 30 Jahre später produzierte schon eine zweistellige Anzahl an Firmen in Himeji Golfschläger. Auch der vielleicht sagenumwobenste japanische Schlägerbauer hat hier seit den 1990ern seinen Sitz: Miura.

Die Hausmarke des Australiers Adam Scott war lange Zeit eine Art Heinzelmännchen des Golfsports. Bekannte Marken wie TaylorMade oder Titleist wandten sich an Firmenchef Katsuhiro Miura, um ihre Stars mit Eisen auszustatten - oft ohne deren Wissen. "Ich hatte keine Ahnung, dass er meine Schläger gemacht hat", gestand beispielsweise Retief Goosen, der 2001 mit umgebrandeten Miura die US Open gewann. Auch José María Olazábal hatte 1994 bei seinem Masters- Sieg japanische Hilfe. Und dann ist da noch die Causa Woods. Seit Jahren hält sich das Gerücht, Tiger Woods habe bei seinem ersten Masters-Sieg 1997 mit Miura-Schlägern gespielt, auf die Titleist das firmeneigene Logo gedruckt hatte. Woods selber behauptet, nie Miura gespielt zu haben. Fakt ist aber, dass Miura zu der Zeit für Titleist Japan diverse Schläger produzierte. "Wohin die Schläger von dort gegangen sind, wissen wir nicht", gab sich Firmenchef Miura gegenüber dem YouTuber Erik Anders Lang diplomatisch.

Während Miura eher ein Kunsthandwerker mit limitierten Produktionskapazitäten ist, haben sich andere japanische Golfmarken einen beachtlichen Anteil am Golfmarkt erobert. Rund 1,5 Milliarden US-Dollar werden in dem Land jährlich mit dem Verkauf von Equipment und Kleidung erzielt - nur die USA haben laut "World Golf Report 2023" einen größeren Umsatz. Zu den größten Playern zählen dabei Mizuno, die 1933 mit der "Star Line" den ersten in Serie gefertigten japanischen Schläger auf den Weg brachten, Srixon, die unter anderem Hideki Matsuyama und Shane Lowry unter Vertrag haben, und Bridgestone Golf.

Japan: Nur stilecht mit der goldenen Ballangel (l.)Japan: Nur stilecht mit der goldenen Ballangel (l.)
Nur stilecht mit der goldenen Ballangel (l.)
Die Tochterfirma des Reifenherstellers sorgte 1990 für Wirbel, als Jack Nicklaus mit Masashi "Jumbo" Ozaki spielte und sich fühlte wie ein Fünfjähriger, der gegen Bryson DeChambeau im Longest-Drive-Wettbewerb antritt. "Auf einem Par 5 schlug ich einen guten Drive, ein Eisen 2 und ein Pitching Wedge. ,Jumbo' erreichte das Grün mit einem Drive und einem Eisen 8", erzählte der "Golden Bear". Vor dem Masters schenkte Ozaki diese Wunderwaffe dem 50-jährigen Nicklaus, der Sechster wurde, und dem 47-jährigen Raymond Floyd, der sich erst im Play-off Nick Faldo geschlagen geben musste. Ozaki selber hielt sich bis ins Seniorenalter in den Top Ten der Welt, was zahlreiche Neider mit sich brachte. Einige beschuldigten ihn, ein Schlupfloch der Weltrangliste auszunutzen, indem er fast nur in Asien spielte. Andere wie Greg Norman sahen in ihm einen Betrüger, der mit illegalen Golfbällen spielte. "Wenn ich einen seiner Golfbälle in die Hände bekomme, kann ich ihm den garantiert zurückverkaufen", behauptete ein auf Anonymität bestehender Caddie gegenüber "Sports Illustrated".

Doch seine Längenvorteile, die ihn zu 114 weltweiten Turniersiegen führten, waren bei Weitem nicht das Umstrittenste an dem heute 77-Jährigen, wurden ihm doch Kontakte zur Yakuza vorgeworfen. 1987 erschien ein Foto, das Ozaki bei der Geburtstagsfeier von Susumu Ishii zeigte, Anführer der Yakuza-Gruppierung Inagawakai. Ozaki erhielt von Offiziellen der Japan Golf Tour für den unziemlichen Kontakt eine Verwarnung. Veröffentlicht wurde das Foto von der Tokioter Tageszeitung "Yomiuri Shimbun", bei der einige Jahre später auch der US-Journalist Jake Adelstein arbeitete. Seine Erlebnisse mit der Yakuza bilden die Grundlage für die Serie "Tokyo Vice". In einer Folge der zweiten Staffel sieht man den Anführer des Tozawa-Clans bei einer Runde Golf mit Vertretern einer großen Bank. Neben der Tatsache, dass der Yakuza mit seinen Verbindungen zum japanischen Premierminister prahlt, fällt vor allem auf, dass er im Gegensatz zu seinen Spielpartnern in langarmiger Kleidung spielt. Der Grund sind seine tätowierten Arme. Auch wenn es wie ein Hollywood- Klischee klingt: Die meisten Yakuza sind tatsächlich an ihren großflächigen Tattoos zu erkennen. Aus diesem Grund dürfen auch tätowierte Touristen in vielen japanischen Golfclubs nicht aufteen. "Wir lassen nicht zu, dass Gangster unseren Clubs beitreten. Wir wollen sie nicht auf unseren Plätzen haben und wir werden keine Leute mit Tattoos in unseren Duschen dulden", proklamierte bereits 1990 die Vereinigung der 108 Golfclubs in der ostjapanischen Präfektur Chiba. Wer nicht nur spielen, sondern auch eine Mitgliedschaft will, muss zudem vielerorts auch noch im Antrag versichern, keiner kriminellen Organisation anzugehören. Eine Formalie, die in der Präfektur Fukuoka mittlerweile wieder abgeschafft wurde, nachdem ein Clubmanager wegen der Abweisung von Yakuza-Mitgliedern ermordet wurde.

Da wünscht man sich doch fast die Golfblase der 1980er-Jahre zurück, als es eine andere Möglichkeit gab, die Yakuza von den Grüns fernzuhalten. 1987 wollte sich einer der Gangsterbosse für umgerechnet 3,6 Millionen US-Dollar in den Koganei Country Club einkaufen - und scheiterte. "Es lag nicht daran, dass er zur Yakuza gehörte", erzählte ein Mitglied der "Chicago Tribune": "Niemand wollte seine Mitgliedschaft aufgeben. Nicht einmal zu diesem Preis."

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