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Alex Fitzpatrick

Für alle Fälle Fitzy

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Marvin Sedelies, Netflix, Rüdiger Meyer

Für viele ist Alex Fitzpatrick nur der kleine Bruder eines Major-Siegers. Doch in seinem dritten Profijahr beweist er, dass auch er das Potenzial für eine große Golfkarriere hat. Dank Ehrgeiz, Statistikliebe und Hilfe aus Deutschland.

Der Bekanntheitsgrad von Alex Fitzpatrick ist in den letzten 17 Monaten sprunghaft gestiegen. Nichts illustriert dies treffender als die ersten beiden Staffeln der Netflix-Doku "Full Swing". Während der Dreharbeiten zu Staffel eins war Alex gerade ins Profilager gewechselt und ein völlig unbeschriebenes Blatt. Als er dem Netflix-Kamerateam, das seinen älteren Bruder Matt durch die Saison begleitete, auf der Driving Range vor die Kamera lief, hielten die Macher ihn für so unbedeutend, dass Alex in den Untertiteln generisch als "Mann" bezeichnet wurde. Ein Jahr später bei den Dreharbeiten zur zweiten Staffel hatte sich das Blatt komplett gewendet, wie uns der 25-Jährige im Vorfeld der European Open 2024 lachend erzählt. "Als die Staffel draußen war, fragte ich meinem Bruder per SMS, ob er die Folge schon gesehen hätte. Er antwortete: ,Ja, aber es geht ja eigentlich nur um dich.' Er war ein kleines bisschen enttäuscht."

Für die Fitzpatricks ist "Full Swing" eine Art Umkehrung des bisherigen Rollenverhältnisses. Seit jeher war das Scheinwerferlicht auf den vier Jahre älteren Matthew gerichtet. Bei der US Amateur Championship 2013 fuhr Matt den Titel ein, während sein Bruder die Tasche trug und Applaus spendete. Als Alex 2018 sein Studium an der Wake Forest University begann, hatte Matt gerade seinen fünften Titel auf der European Tour eingefahren. Und als der kleine Bruder im World Amateur Golf Ranking bis auf Platz vier geklettert war, einen lukrativen Wechsel zu LIV Golf ablehnte und am 03. Juni 2022 ins Profilager wechselte, stellte Matt die alte Familien-Hackordnung wieder her, indem er 13 Tage später die US Open gewann. Aus diesem Grund ist die "Im Schatten" titulierte Netflix-Folge nicht nur eine Chance, aus selbigem hervorzutreten, sondern auch die Möglichkeit, ein Mission Statement zu setzen. "Sie hat gezeigt, dass ich versuche, in die Fußstapfen meines Bruders zu treten, aber auch, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Und ich hoffe, dass einige meiner Ergebnisse das bestätigt haben."

Tatsächlich hat Alex Fitzpatrick nach dem Wechsel ins Profilager überraschend schnell in die Erfolgsspur gefunden. In seiner ersten vollen Saison gewann er nicht nur ein Turnier auf der Challenge Tour, er war sogar Zweiter auf der DP World Tour, sicherte sich die volle Spielberechtigung und ließ bei seinem ersten Major-Start als 17. zahlreiche Spitzenspieler hinter sich - unter anderem seinen großen Bruder. In diesem Jahr steht Alex dank eines vierten Platzes beim Skandinavian Mixed im Race to Dubai sogar unter den Top 40.

Alex Fitzpatrick: Weltrekordversuch: Fliegt das Divot so hoch wie das Riesenrad?Alex Fitzpatrick: Weltrekordversuch: Fliegt das Divot so hoch wie das Riesenrad?
Weltrekordversuch: Fliegt das Divot so hoch wie das Riesenrad?

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ICH FÜHRE STATISTIKEN, SEIT ICH 15 ODER 16 JAHRE ALT GEWESEN BIN, UND HABE SOGAR EINE EIGENE DATENBANK.
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Die European Open in der Woche vor dem Turnier in Schweden endete weniger erfreulich. Nach einem Wasserschlag und einem Drei-Putt auf seinem letzten Loch warf Fitzpatrick den Ball frustriert in den Teich der 18. Platz 51 war dennoch kein Desaster für ihn, immerhin hatte er vor diesem Jahr in Green Eagle mehr Runden in den 80ern als unter Par verzeichnet. Dass er in Winsen an der Luhe dennoch gerne startet, liegt an seinem besonderen Verhältnis zu Deutschland und diesem Event. 2018 erhielt er gemeinsam mit den Højgaard-Zwillingen und Viktor Hovland eine Amateur-Einladung zur European Open. Als wir Alex fragen, was ihm von seinem ersten Start auf der DP World Tour noch in Erinnerung geblieben ist, gibt er eine Antwort, die man von jeder Clubhaus-Terrasse Deutschlands kennt: "Wenn ich zurückdenke, fällt mir immer als Erstes ein, dass ich am dritten Loch eine 10 gespielt habe." Wirklich verrückt ist aber, dass er auch sechs Jahre danach noch jeden der zehn Schläge zusammenbekommt: "Ich schlug einen Flyer übers Grün und war nicht clever genug, den Schlag vom Ursprungsort zu wiederholen. Also hackte ich ein paar Mal in den Büschen rum, nahm einen Strafschlag und hatte noch mehr Hacker."

Warum er sich noch so genau daran erinnern kann, verstehen wir, als wir Fitzpatrick auf der Runde begleiten. Nach jedem Schlag und jedem Putt geht sein erster Griff an den Scorekartenhalter in der rechten Gesäßtasche, in den der Name Fitzy und das Logo seines Heimatvereins Sheffield United eingenäht sind, um minutiös das Ergebnis zu protokollieren. Eine Eigenart, die man mehr mit seinem Bruder verbindet. Nicht zuletzt, weil Alex vor Kurzem in einer Pressekonferenz behauptete: "Wir haben nicht viel gemeinsam. Er schaut sich Excel-Tabellen an, ich spiele an der Videokonsole." In Wirklichkeit ist die Liebe zu Statistiken in der Familie Fitzpatrick offenbar ein dominantes Erbgut. "Ich führe Statistiken, seit ich 15 oder 16 Jahre alt gewesen bin, und habe sogar eine eigene Datenbank", gibt Alex schmunzelnd zu. "Der Unterschied zwischen mir und Matt liegt im Detail. Meine Statistiken sind schon detailliert, aber seine sind auf einem Level, den ich nicht einmal nachvollziehen kann."

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch das Training von Statistik geprägt ist. "Ich arbeite mit Edoardo Molinaris Firma Statistics Golf. Für jede Woche schickt Ed einen Plan des Golfplatzes und darauf basierend plant mein Coach meine Übungen für die Woche." Ein wichtiger Bestandteil davon ist die deutsche Firma Bal.On geworden, deren von künstlicher Intelligenz geprägtes Trainingstool beim Engländer Begeisterung auslöst: "Im Prinzip ist es eine Möglichkeit, die Druckverlagerung in den Füßen zu messen. Der genaue Ablauf übersteigt meinen Wissenshorizont, aber grob gesagt sind es dünne Sohlen, die man in die Schuhe legt und die dann zu jedem Zeitpunkt des Schwungs anzeigen, wie viel Prozent des Gewichts auf dem linken Fuß und wie viel auf dem rechten Fuß liegen." Dass selbst Profis auf solche Hilfsmittel setzen und angewiesen sind, zeigt wieder einmal, dass die Komplexität des Golfschwungs mit Videos geschweige denn mit den fünf Sinnen kaum noch zu entschlüsseln ist, wie Fitzpatrick bestätigt. "Die Drucksensoren nehmen die Schätzwerte aus dem Spiel. Mir geht es oft so, dass ich das Gefühl habe, mein Gewicht liegt zu 60 Prozent auf dem vorderen Fuß. Und dann schaue ich auf die App und stelle fest, dass es nur 40 Prozent gewesen sind. Dieses sofortige Feedback ist extrem hilfreich."

Alex Fitzpatrick:
Eine große Hilfe für Alex ist auch seine Familie. Mit Freundin Rachel Kuehn, aktuell Sechste der Amateur-Weltrangliste und kurz vor dem Sprung ins Profilager, teilt er Liebe und Frustration über den Sport. Und seine Eltern Susan und Russell haben ihre Söhne von Anfang an auf ihrem Weg zum Profi unterstützt - und im Fall von Vater Russell sogar die Golfleidenschaft geweckt, wie sich Alex erinnert. "Die genauen Details weiß ich nicht mehr, aber mein Vater hat entweder irgendwo Golfschläger gefunden oder mein Großvater gab ihm einen Plastik-Schlägersatz für meinen Bruder und mich. Mein Vater nahm uns mit in den Park und wir schlugen Plastikbälle hin und her." Zum neunten Geburtstag gab es für die beiden schließlich eine Mitgliedschaft im Golfclub.

Anders als viele Eltern von erfolgreichen Sportlern haben Russell und Susan wirklich eine Leidenschaft für den Sport. "Die Amerikaner würden meinen Vater momentan vermutlich einen Sandbagger nennen", scherzt Alex. "Er hatte früher mal ein Handicap von 6." Und um zu sehen, wie gut seine Mutter spielt, muss man sich nur das Leaderboard der Dunhill Links Championship 2023 anschauen, als Susan gemeinsam mit Matt die Team-Wertung gewann.

Kein Wunder also, dass auch Alex von einem besonderen Familien-Team fantasiert. "Ein großer Traum von mir ist es, im Ryder Cup zu spielen. Das Unglaublichste wäre natürlich, mit meinem Bruder zusammen einen Vierer zu spielen. Ich glaube, wir haben bei der Zurich Classic gezeigt, dass das funktionieren kann." In diesem Jahr belegten sie Platz elf, 2023 wurden sie 19., wie alle Zuschauer der Netflix-Doku sehen konnten. Eine Sequenz, die bei Alex Fitzpatrick ein wenig für Verstimmung sorgte und zeigt, dass auch die Netflix-Doku ab und an nach der alten Mark-Twain-Weisheit "Lass nie die Wahrheit einer guten Geschichte in die Quere kommen" funktioniert. "Bei der Zurich Classic habe ich ganz gut gespielt, in der Folge kam jedoch es rüber, als wäre ich schlecht gewesen, das war ein wenig frustrierend."

Alex Fitzpatrick:
Insgesamt sieht er die Serie allerdings als Segen. "Ich habe viele nette Nachrichten und jede Menge Unterstützung bekommen. Dass man sieht, dass ich Golf spielen kann, ist aber nur die halbe Miete. Am wichtigsten ist mir, dass ich als nette Person rüberkomme." Eine Mission, die geglückt und anders als Fitzpatricks Leistung bei der Zurich Classic offenbar nicht verfremdet ist. Nun ist es eine Sache, für die Kameras zu lächeln oder in Interviews aufgeschlossen zu sein. Aber wie formulierte es der englische Autor P.G. Wodehouse 1919 im "Collier's Magazine" so treffend: "Die einzige Möglichkeit, den wahren Charakter eines Mannes zu erkennen, ist, mit ihm Golf zu spielen." Und während seiner Woche in Green Eagle wirkt Fitzpatricks freundliche Natur absolut authentisch.

Auf seinem Weg zum 51. Platz hätte es genügend Gründe gegeben, genervt oder gleichgültig über den Platz zu schlendern. Fünfmal schlägt er ins Wasser, seine erste Runde kann aufgrund von Startverschiebungen nicht beendet werden, der Start der zweiten Runde wird nach starken Regenfällen um drei Stunden verschoben, den Cut schafft er nur mit Ach und Krach durch ein Birdie am letzten Loch und am Finaltag muss er als einer der Ersten auf die Runde. Dass der Frust tief sitzt, kann man Fitzpatrick ansehen, dennoch gerät er nie in Versuchung, seine Gruppe mit runterzuziehen. Er wirft Divots der Mitspieler zurück, um deren Caddies den Weg zu ersparen, führt angeregte Gespräche mit allen in seinem Flight, organisiert Ready Golf, hat nie ein böses Wort für seinen eigenen Caddie und lobt seine Konkurrenten, wann immer sie für ihre Schläge ein Kompliment verdient haben. Kurzum: Fitzy ist ein echter Gentleman auf der DP World Tour.

Die soll für den Engländer nur eine Übergangsstation sein. Dass er überhaupt in Europa spielt, ist ein Wink des Schicksals. Weil er eine schwache Q School für die Korn Ferry Tour spielte, gleichzeitig aber seine sieben europäischen Turniereinladungen in eine Karte für die Challenge Tour ummünzte, war sein Weg vorbestimmt. Das Ziel ist und bleibt aber die PGA Tour und die Rückkehr in die USA, wo er sich während seiner Zeit an der Wake Forest University einen zweiten Lebensmittelpunkt aufgebaut hat. Das Sport-Stipendium an der Uni führt er auch darauf zurück, dass der Wechsel ins Profilager bislang ohne große Rückschläge verlaufen ist. "Als ich mir die US-Colleges angeschaut habe, sind mir sofort die Übungsmöglichkeiten ins Auge gestochen. Hinzu kommt, dass man Woche für Woche gegen die besten Amateure der Welt spielt."

 
Steckbrief

Steckbrief

Name
Alex Fitzpatrick

Jahrgang
1999

Wohnort
Sheffield

Profi seit
2022

Lieblingsverein
Sheffield United

Erfolge (Auszug)
2023
Open Championship (17. Platz)
2023
British Challenge (1. Platz)
2023
ISPS Handa World Inv. (2. Platz)
2024
Scandinavian Mixed (4. Platz)

Was dies bewirkt, erkennt man deutlich, wenn man sich anschaut, wer neben Alex Fitzpatrick 2019 und 2021 im Walker Cup spielte. Von den Teilnehmern aus Großbritannien und Irland findet sich neben Alex aktuell nur Harry Hall in den Top 500 der Weltrangliste wieder. Auf amerikanischer Seite des Amateur-Kontinentalwettstreits sind dagegen mit Akshay Bhatia und Austin Eckroat zwei Teilnehmer unter den Top 50 und drei weitere unter den Top 200 der Welt. "Die meisten der besten Spieler der Welt waren am College. Dort gibt es Coaches, die sich um dich kümmern, und Trainingsmöglichkeiten auf olympischen Level", schwärmt Fitzpatrick. "An den guten Universitäten hat man alle Voraussetzungen, um sich zu entwickeln. Wenn man sich richtig vorbereitet, einen Plan hat und besser werden will, gibt es nichts, was einen aufhält."

Eine Sache würde er in den USA jedoch vermissen: die Besuche bei Sheffield United. "Wann immer ich zu Hause bin, gehe ich ins Stadion." Leider ist sein Herzensverein dieses Jahr aus der Premier League abgestiegen. "Ich bin schon enttäuscht, aber immerhin haben wir nächste Saison so das ,Steel City Derby' gegen Sheffield Wednesday zurück", sieht Alex das Positive. Es geht eben nichts über eine brüderliche Rivalität.

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