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Shane Lowry

Iren sind menschlich

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Srixon, Imago, Getty Images

Er flucht wie ein Bierkutscher und freut sich wie ein kleines Kind. Mit seiner unverstellten Art wurde Shane Lowry zum Publikumsliebling, zu Rorys besserer Hälfte und zum Ryder-Cup-Helden. Doch als wir ihn zum Interview treffen, zeigt sich der Ire auch von der nachdenklichen Seite.

Das Jahr 2025 ist für Shane Lowry nicht ganz so gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Zu Beginn der Saison hatte sich der Mann mit dem markanten Vollbart bei drei Majors ernsthafte Siegchancen ausgerechnet. Beim Masters in Augusta National war er in vier der fünf letzten Starts in den Top 25 gelandet; als die US Open das letzte Mal in Oakmont gastierte, hatte Lowry nach drei Runden in Führung gelegen. Und dann war da ja noch die Open Championship. Die Rückkehr nach Portrush markierte für Lowry nicht nur die Rückkehr an die Stätte seines größten Triumphs, es war für den Wahl-Floridianer auch die seltene Chance, in seiner Heimat Irland zu spielen. Umso bitterer war es, für die Major-Saison nicht mit zwei Titeln, sondern mit zwei Strafen in Erinnerung zu bleiben. Bei der US Open war Lowry so von der Rolle und so weit abgeschlagen, dass er auf dem 14. Grün gedankenverloren vergaß, seinen Ball zu markieren. Während er und Spielpartner Rory McIlroy über den Fauxpas schmunzeln mussten ("Eine der dümmsten Sachen, die ich je gemacht habe"), war Lowry in Portrush überhaupt nicht nach Lachen zumute: Weil ein eingezoomtes Videobild eine Millimeterbewegung seines Balls gezeigt haben soll, wurden dem 38-Jährigen zwei Strafschläge aufgedrückt und er fiel vom aussichtsreichen 17. auf den 34. Platz zurück. Schlimmer noch: Die nun zehn Schläge Rückstand bedeuteten, dass die Titelverteidigung bereits zur Halbzeit beendet war. "Das Letzte, was ich tun wollte, war, die Strafe abzulehnen - nur um dann am Abend in den sozialen Medien als Betrüger geschlachtet zu werden", gab er sich diplomatisch, machte aber bereits durch seine Körpersprache deutlich, dass er das Ganze etwas anders sah.

Keine Frage, Shane Lowry wäre ein lausiger Pokerspieler. Aber genau die Tatsache, dass er immer unverstellt ist und sein Herz auf den Lippen trägt, macht ihn zu einem absoluten Publikumsliebling. Selbst als ihn am Donnerstag der Open ein junger Fan fragte, wie es sei, ein Profi-Golfer zu sein, zeigte Lowry, dass er auf dem Golfplatz ein emotionaler Binärcode ist: "Wenn man gut spielt, ist es fantastisch. Aber wenn es mal nicht läuft, ist es hart." Graustufen gibt es beim Iren nicht - was insofern amüsant ist, da ich während meines Video-Interviews mit Shane Lowry auf eine Kohlezeichnung von ihm blicke. Ironischerweise befinde ich mich gerade in Portrush, das in Teilen wie ein Shane-Lowry-Museumsdorf ist, während er sich in Connecticut auf die Travelers Championship vorbereitet und ziemlich ausgelaugt ist. "Das ist mein neuntes Turnier in den letzten elf Wochen. Ich habe viel gespielt. Zu viel vielleicht. Aber wir sind gerade an einem Zeitpunkt der Saison, an dem man spielen muss, weil man sich für die Play-offs in Position bringen muss. Aber danach habe ich drei Wochen frei. Ich freue mich schon darauf, zurück nach Irland zu kommen und Golf zu spielen." Richtig gelesen: Während der Rest der Weltspitze die Scottish Open spielt, tourt Lowry lieber mit drei Kumpels durch seine Heimat und kehrt zu den Wurzeln seiner Kindheit zurück.

Das sportliche Schicksal des in Clara im Herzen Irlands geborenen Shane ist vorbestimmt: Gaelic Football. Der Mix aus Fußball und Rugby ist Irlands nationale Leidenschaft und eine der letzten Bastionen des Amateursports. Jeder spielt für das County, in dem er geboren wurde. Im Fall von Shane Lowry ist dies Offaly, wo man immer noch von der All-Ireland Championship 1982 träumt, als Offaly Seriensieger Kerry den fünften Titel in Folge verwehrte. Zu den 15 County-Helden gehörten damals Shanes Vater Brendan sowie die Onkel Mick und Seán. Auch Shane spielt Gaelic Football, hielt es aber nie für mehr als ein Hobby. "Ich würde sagen, ich war knapp über dem Durchschnitt. Aber ich würde alle Eltern ermuntern, ihre Kinder alle Sportarten ausprobieren zu lassen. Es hat mir wirklich geholfen, einen Mannschaftssport auszuüben und Zeit mit Freunden zu verbringen."

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DIE TATSACHE, DASS ER IMMER UNVERSTELLT IST UND SEIN HERZ AUF DEN LIPPEN TRÄGT, MACHT IHN ZU EINEM ABSOLUTEN PUBLIKUMSLIEBLING.
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Die sportliche Vielgleisigkeit ist auch ein Grund, dass Lowry einen ungewöhnlichen Werdegang für einen Profi hat. Tiger Woods und Rory McIlroy waren mit 13 Scratch-Golfer, Jordan Spieth gewann mit 16 die US Junior Amateur. Shane Lowry hingegen beginnt erst mit neun Jahren auf einem Pitchand-Putt-Platz. "Einige meiner schönsten Golf-Erinnerungen sind, wie ich abends um 22 Uhr mit meinem Vater und meinem Bruder spiele, oder auch die Chipping-Duelle mit Freunden", blickt er nostalgisch zurück. Schließlich tritt Shane mit 13 Jahren einem echten Golfclub bei, trotzdem trägt er mit 15 Jahren noch ein Handicap von 18 mit sich herum. Doch dann packt ihn das Golfvirus.

So sehr, dass er während seiner Prüfung zum Leaving Certificate, dem irischen Pendant zum Abitur, die Clubmeisterschaft feiert und ins irische Nationalteam aufgenommen wird - mit freundlicher Unterstützung des heutigen Weltranglisten-Zweiten. Weil Rory McIlroy bei einem Event kurzfristig zurückzieht, wird ein weiterer Platz im 14-Mann-Team der Kleeblätter frei. Lowry entscheidet einen Ausscheidungswettkampf für sich: der Startschuss für eine Nationalkarriere, die ihn in den kommenden Jahren zu den European Boys' sowie Amateur Team Championships und zur Eisenhower Trophy führt - und den 21-Jährigen kurze Zeit später auf die Idee bringt, einen Brief zu schreiben.

Im Mai 2009 findet die Irish Open im County Louth Golf Club statt und Lowry fragt die Veranstalter, ob sie eine ihrer Einladungen nicht vielleicht an ihn, einen der besten Amateure des Landes, versenden wollen. Er erhält die Zusage, packt seine Schläger und Caddie Dave Reynolds ins Auto und erlebt eine Woche, die sein Leben verändern wird. Nach zwei Runden liegt Lowry, der vor dem Turnier noch seinen Caddie zurechtwies, als der von einem geschafften Cut fantasierte, in Führung. Zwei Tage später hat er einen 1,20-Meter-Putt zum Sieg - und verschiebt. Doch als sich im Play-off gegen Robert Rock eine weitere Chance ergibt, nutzt er sie. Shane Lowry ist European-Tour-Sieger und erhält auf dem Grün eine Champagnerdusche von keinem Geringeren als Rory McIlroy. "Das war der Startschuss für meine Karriere", reflektiert der Mann aus Clara. Auch in Lowrys Familien- und Freundeskreis ist die Freude groß, die Iren sind nun mal notorische Glücksspieler. Kindheitsfreund Noel Egan hat je 50 Euro auf Sieg und Platz gesetzt und sich bei einer Quote von 3.000 :1 schon auf einen Gewinn von 187.000 Euro gefreut, als das Wettbüro sagt, die Quote hätte eigentlich 300: 1 sein müssen. Am Ende einigt man sich auf 1.000 :1. Und noch jemand kassiert ab. "Meine Mutter hat 15.000 Euro gewonnen", lacht Shane als ich ihn darauf anspreche.

Shane Lowry: Kanne statt Flöte: Der Rattenfänger hat upgegradet
Kanne statt Flöte: Der Rattenfänger hat upgegradet
Er selber geht als Amateur natürlich leer aus, kann sich aber vor Sponsorenanfragen kaum retten. Dass er sich ausgerechnet für Srixon entscheidet, kommt überraschend, passt aber zu einem Spieler aus der Arbeiterklasse. "2010 war meine erste Saison mit ihnen. Am Anfang habe ich nur ihre Bälle und Cleveland Wedges gespielt, aber im Laufe der Zeit hat sich Srixon weiterentwickelt. Ich habe Ende letzten Jahres einen weiteren Fünfjahresvertrag unterschrieben und kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, bis zum Ende meiner Karriere woanders hinzugehen. Ihre Schläger sind unglaublich und gehören zu den unterschätztesten im Golfsport!" Genauso wie der Mann, der sie schwingt.

In nur sieben Jahren von Handicap 18 zum European-Tour-Sieger: Ob Shane einem Außenstehenden erklären kann, wie so eine Entwicklung möglich ist, möchte ich wissen. Der 1,85-Meter-Hüne überlegt kurz, doch dann sprudelt es aus ihm heraus: "Ich habe mich einfach in das Spiel verliebt. Golf war alles, was ich tun wollte. Man kann den Leuten nur schwer erklären, wie viel Zeit wir Profis als Kinder auf dem Golfplatz verbracht haben. Stunden um Stunden. Und wir haben es alle nur getan, weil wir es geliebt haben. Natürlich wird es irgendwann zur Arbeit, wenn man damit Geld verdienen muss, aber in den ersten vier oder fünf Jahren wollte ich jede Minute Golf spielen, die ich konnte. Ich habe es geliebt. Und um ehrlich zu sein, liebe ich es immer noch. Ich liebe es, zu üben und mich auf Turniere vorzubereiten, und ich liebe den Wettkampf mehr als je zuvor."

Diese Leidenschaft wird nirgendwo deutlicher als im Ryder Cup. Für Shane beginnt die Liebesbeziehung im Jahr 2006, als der Ryder Cup quasi Station vor seine Haustür im K Club macht. "Ich war am Freitag dort und erinnere mich noch, wie ich morgens am ersten Abschlag stand. Es war eine sehr coole Erfahrung. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich später einmal selbst im Ryder Cup spielen würde." 2021 ist es zum ersten Mal so weit. Lowry wird ausgerechnet von seinem Landsmann Padraig Harrington ins Team berufen. "Es war eine einfache Wahl aufgrund seiner Form", erklärt Padraig seinen Captain's Pick. "Wir haben nur drei Rookies im Team. Wir brauchen die jungen Leute und den Enthusiasmus, den sie einbringen."

Shane Lowry: Ich, wenn ich mal wieder meinen Willen nicht bekomme (r.)Shane Lowry: Ich, wenn ich mal wieder meinen Willen nicht bekomme (r.)
Ich, wenn ich mal wieder meinen Willen nicht bekomme (r.)
Sportlich läuft Whistling Straits jedoch alles andere als nach Plan. Gepaart mit Kumpel McIlroy gibt es für Lowry eine bittere 4&3-Pleite gegen Tony Finau und Harris English, und als er das zweite Mal zum Einsatz kommt, liegt Europa bereits nahezu aussichtslos zurück. Doch im Vierer mit Tyrrell Hatton gibt Shane den im Delirium liegenden Europäern zumindest etwas Lebensenergie zurück. Mit enormen Drives, brillanten Putts und nicht jugendfreien Jublern, für die sich das britische TV im Anschluss beim Publikum entschuldigt, entnervt Lowry das am Vortag noch überlegene Duo Finau/English und hat an der 18 einen Sechs-Meter-Putt zum Sieg. "Ich bin dafür gemacht", verspricht der Ire seinem Caddie, locht und eskaliert auf dem Grün. Auch wenn es am Ende die höchste Niederlage seit mehr als 50 Jahren setzt, hat Shane Lowry bewiesen, dass er in der Lage ist, das Vakuum zu füllen, das emotionale Anführer wie Sergio García, Ian Poulter oder Justin Rose in den kommenden Jahren hinterlassen werden. Wenn es dafür noch einen Beweis gebraucht hätte, kommt dieser 2023. Am Freitagmorgen steht Shane auf dem ersten Tee, um es an der Seite von Sepp Straka mit Rickie Fowler und Collin Morikawa aufzunehmen, als Viktor Hovland auf dem Grün zum Birdie einchippt. Shane lässt alle Konzentration sausen, rastet völlig aus und stachelt die Fans an. Ein Bild, das den Rest des Tages selbstverständlich wird.

 
Steckbrief

Steckbrief

Name
Shane Lowry

Jahrgang
1987

Wohnort
Jupiter, Florida

Profi seit
2009

Lieblingsverein
Manchester United

Erfolge (Auszug)
2009
Irish Open
2012
Portugal Masters
2015
WGC Bridgestone Invitational
2019
The Open Championship
Abu Dhabi Championship
2022
BMW Championship
2024
Zurich Classic (mit Rory McIlroy)

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