Der Italiener, der 2005 als erster Europäer seit 94 Jahren die US Amateur Championship gewann und 2010 gemeinsam mit seinem Bruder Francesco im für Europa siegreichen Ryder Cup antrat, ist ein kleines Mathematikgenie. Das beweist nicht nur das abgeschlossene Ingenieursstudium, sondern auch ein kleines Video, das er für die European Tour drehte: Ausgestattet mit einem Rommé-Kartenspiel inklusive Jokern prägt er sich die Reihenfolge der 54 Karten ein und kann sie kurz darauf fehlerlos rekapitulieren. "Ich war schon immer fasziniert von Zahlen und Daten", erinnert sich der Turiner im Interview. "Noch bevor ich Profi wurde, begann ich damit, rudimentäre Daten über mein Spiel zu sammeln. Über die Jahre hinweg wurde das Ganze dann immer fortgeschrittener und komplexer."
Auch weil Edoardo die Bekanntschaft von Mark Broadie machte und sich von ihm dessen Briefmarken, pardon, Datensammlung zeigen ließ. "Ich habe über Strokes Gained Putting gelesen, als es noch eine wissenschaftliche Arbeit war, und Mark kontaktiert. Wir haben uns ausgetauscht und zusammen Golf gespielt. Das war drei Jahre, bevor die PGA Tour es benutzt hat, und er hatte schon alle Zahlen für alle Spieler."
»DIE IDEE, EIN HOLZ 3 VOM TEE ZU SPIELEN, UM DEN BALL SICHER INS SPIEL ZU BRINGEN, IST DER GRÖSSTE SCHWACHSINN ÜBERHAUPT.«
So einträglich, dass er drei Vollzeitkräfte eingestellt hat, die ihn unterstützen, um dem wachsenden Interesse nachzukommen. "Aktuell haben wir 20 Spieler von der DP World Tour als Kunden und rund ein Dutzend von der PGA Tour, dazu einige von LIV, der LPGA Tour und der Champions Tour. Alles in allem sind es 35 bis 40 Spieler." Interessenten gibt es noch mehr, doch sie stehen auf der Warteliste. "Ich möchte sicherstellen, dass ich allen einen guten Service bieten kann und ansprechbar bin, wenn sie Hilfe brauchen. Wenn ich irgendwann aufhöre, aktiv zu spielen, können wir auf 100 Spieler gehen."
Wir, das ist seit diesem Jahr die für ihre GPS-Schlägersensoren bekannte Firma Arccos Golf, mit der Molinaris Firma StatisticGolf fusionierte. "Wir profitieren perfekt voneinander. Ich habe Zugriff auf ihr Team von Entwicklern, die mir alle Werkzeuge basteln, die ich mir wünsche. Sie bekommen meine Erfahrung als Spieler, die auch für Amateure sehr hilfreich sein kann - zum Beispiel, wie man Amateuren in der App einfach erklären kann, welche Teile ihres Spiels verbesserungswürdig sind." Bereits jetzt können Arccos-Nutzer die ersten Früchte dieser Zusammenarbeit ernten. So gibt es seit einigen Wochen eine Funktion, die Nutzern zur Motivation nach jeder Runde die Schläge auflistet, die sie besser ausgeführt haben als die meisten Profis auf den Touren. Unabhängig davon führt Molinari seine Dienste für die Profis weiter, jetzt allerdings unter dem Namen Arccos Pro Insights.
Dass die Profi-Funktion und die Standard-Version nicht vollkommen anders sind, zeigt sich auch daran, dass Molinari die Arccos-Sensoren selber auf seinen Schlägern montiert hat - etwas, was auch auf der Profitour legal ist, wie er uns auf irritiertes Nachfragen erklärt. Er dürfe nur nicht die Daten über sein Handy empfangen, sondern nutze einen an die Kleidung klemmbaren Adapter.
Der größte Unterschied zwischen den Daten, die Molinari seinen Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stellt, und dem, was Arccos Amateuren anbietet, liegt in den Details. "Für die Profis halten wir zum Beispiel zusätzlich bei Putts die Stärke der Breaks fest oder was bei langen Schlägen das anvisierte Ziel gewesen ist", erklärt Edoardo. Dinge, die für Amateure nicht sehr relevant sind. Dort macht der dreifache European-Tour-Gewinner ganz andere Baustellen aus. "Das Wichtigste für Amateure ist es, Strafschläge zu vermeiden. Direkt danach folgt, den Schlag ins Grün lang genug zu spielen. "Immer wenn ich in Pro-Ams spiele, bleiben die Amateure zu kurz. Und meistens lauert die Gefahr vor den Grüns, während dahinter alles offen ist." Noch mehr stört den Italiener aber ein alter Aberglaube, der sich beharrlich in den Clubhäusern dieser Welt hält. "Die Idee, ein Holz 3 vom Tee zu spielen, um den Ball sicher ins Spiel zu bringen, ist der größte Schwachsinn überhaupt. Das macht nur Sinn, wenn ein Hindernis das Fairway kreuzt oder wenn links und rechts Wasser oder Aus ist, das man mit einem Holz 3 nicht erreicht." Sein Rat: "99 Prozent aller Golfer sind besser damit bedient, den Driver zu zücken und ihn so weit zu schlagen, wie es geht." Fast genauso absurd sei die Vorstellung, man solle sich auf dem Grün immer einen Bergauf-Putt lassen. "Selbst wenn man sich auf einem Grün den schwierigsten Putt aus 1,5 Metern lässt, locht man mehr Bälle als beim Bergauf-Putt aus zwei Metern." Eine Feststellung, die Edoardo mit unzähligen Daten untermauern kann.
Jedes einzelne Turnier generiert 35.000 Schläge, die beispielsweise von ShotLink in die Arccos-Datenbanken eingespeist werden. Aus dieser Masse entsteht für jeden Golfplatz ein historischer Datensatz, der nach spielstrategischen Erkenntnissen durchsucht wird. "Am Anfang der Woche stelle ich unseren Kunden eine Zusammenfassung zusammen, in der zum Beispiel steht: ,Auf diesem Platz kommt es darauf an, die Fairways zu treffen und gut aus dem Rough zu chippen'", verrät Molinari. Viele der Spieler wie Viktor Hovland richten daraufhin ihr Training für die Woche aus. Doch was, wenn die LPGA Tour auf einem neuen Platz spielt oder wie bei der Open Championship in Troon plötzlich ein Unwetter über die Anlage fegt? Welchen Wert haben diese Daten dann noch? Diese Frage haben sich Molinari und Arccos offenbar auch schon gestellt: "Seit Beginn dieser Saison sind wir in der Lage, Live-Daten einzupflegen. Das heißt, wenn jemand eine Startzeit am Nachmittag hat, können wir ihm oder ihr eine Einschätzung dazu liefern, wie sich der Platz morgens gespielt hat. Ob es zum Beispiel besser ist, aggressiv oder weniger aggressiv zu spielen, oder an welchen Löchern man eine bestimmte Linie vom Abschlag nehmen sollte."
Diese Einsichten haben Molinari auch zu einer wertvollen Ressource beim Ryder Cup in Rom gemacht. Ursprünglich von Henrik Stenson als Vizekapitän und Datenspezialist angeheuert blieb Molinari an Bord, als der Schwede zu LIV abwanderte. Aus gutem Grund: Nachfolger Luke Donald war in Sachen Statistik ebenfalls ein Early Adopter und wusste genau, wie wertvoll die Expertise des Italieners ist. Alle zwei Wochen schickte Molinari seinem Kapitän eine Analyse der potenziellen europäischen Spieler - auch in Bezug darauf, wie ihre Qualitäten für den Marco-Simone-Platz geeignet wären. Dass am Ende Nicolai Højgaard und Ludvig Åberg als Captain's Pick gewählt wurden und nicht der höher platzierte Adrian Meronk, der später "Schock, Traurigkeit und Wut" über diese Entscheidung äußerte, ging zum Teil auch auf das zurück, was die Daten lieferten. Daneben basierten sowohl die Zusammenstellung der Vierer als auch die Reihenfolge der Starter im Einzel am Sonntag auf Statistikkunde. Kein Wunder also, dass Luke Donald unmittelbar nach seiner erneuten Berufung zum Ryder-Cup-Kapitän als erste Amtshandlung seinen Graf Zahl zurück ins Team holte.
"Nach Rom habe ich Luke einen Bericht über unsere zweijährige Erfahrung geschickt. Kurz bevor er offiziell als Kapitän für 2025 verkündet wurde, rief er mich an", verrät Molinari. "Er sagte: ,Ich werde es nochmal machen, aber nur wenn du wieder dabei bist.'" Tatsächlich hat die Vorbereitung für New York bereits begonnen. Da bereits drei Majors und zwei PGA-Tour-Events auf Bethpage Black stattgefunden haben, gibt es einiges an belastbaren Daten, die mit den potenziellen europäischen Spielern abgeglichen werden. Zusätzlich haben Donald und Molinari den Platz Anfang Mai bereits persönlich unter die Lupe genommen. Dass Europa seit 2012 kein Auswärtssieg mehr gelungen ist, sieht der Italiener dabei ganz locker.
"In Whistling Straits sowie in Hazeltine hat der Platz den USA einen großen Vorteil beschert, ebenso wie wir in Rom und Paris einen Vorteil hatten. Dagegen wird Bethpage Black eher neutral sein - wenn man mal vom Publikum absieht, das natürlich eine große Rolle spielt. Aber egal wie sie das Setup gestalten, Bethpage wird ein schwieriger Platz bleiben, und das ist gut für uns." Bleibt noch eine Frage zu klären: Was, wenn die Statistik sagt, dass Edoardo Molinari der beste Spieler ist, um den Amerikanern die Stirn zu bieten? "Dann spiele ich natürlich. Aber wir haben jede Menge talentierte, junge Spieler in Europa - gerade für einen Platz wie Bethpage Black. Man weiß ja nie im Leben, aber ich sehe die Chancen als sehr gering an."
Steckbrief
NAMEEdoardo Molinari
ALTER
43 Jahre
WOHNORT
Turin, Italien
PROFI SEIT
2006
LIEBLINGSVEREIN
Juventus Turin
ERFOLGE (AUSZUG)
2010
Scottish Open (DP World Tour)
Johnnie Walker Championship (DP World Tour)
Ryder Cup
2017
Trophée Hassan II (DP World Tour)