Featured StoriesFeatured Stories

Golfpunks dieser Welt

JoAnne Carner

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Was macht man, wenn man mit 30 Jahren als Amateur alles in Grund und Boden gespielt hat? JoAnne Carner wird Profi und spielt sich in die Hall of Fame. Das Porträt einer Frau, die uns auch mit 85 noch platt machen würde.

Ihre Stimme ist fest und vital, ihre Erzählungen und Gedanken sind klar: Bei ihrem Auftritt im Podcast "FORE the Good of the Game" klingt JoAnne Carner genau so, wie man sich eine Dame von 85 Jahren vorstellt, die ihre Drives immer noch auf 155 Meter hauen kann und in der Lage ist, ihr Alter zu unterspielen - eine Golferin aus einer anderen Epoche, die bis zum heutigen Tag die Aufmerksamkeit der Golfwelt auf sich zieht.

Als die Podcast-Gastgeber Bruce Devlin und Mike Gonzalez sie vorstellen, witzeln sie, wie Bruce am ersten Abschlag eines USGA-Turniers bei der Verlesung all ihrer Erfolge die Zeit gehabt hätte, mit seinem Hund eine Runde Gassi zu gehen. Und als er zurückkehrte, habe JoAnne immer noch auf der Teebox gestanden und die Aneinanderreihung ihrer Titel über sich ergehen lassen. Die Daenerys Targaryen der Golfwelt reagiert bescheiden auf diese vergnügliche Anekdote und berichtet von den Anfängen ihrer Reise an die Spitze.

Noch ist sie nicht "The Great Gundy" oder "Big Momma", wie sie auf den Höhepunkten ihrer Karriere voller Ehrfurcht genannt wird. Ihre Geschichte beginnt als kleines Mädchen im Nordwesten der USA in einem Nest namens Kirkland, einst Heimat der Seattle Seahawks und der Großhandelskette Costco. Unter ihrem Mädchennamen Gunderson am 04. April 1939 geboren ist sie zehn Jahre alt, als ihre drei Schwestern und der Bruder sie mit zur Arbeit in den benachbarten öffentlichen Golfplatz nehmen. "In der Woche haben wir im Unterholz Bälle gesammelt und sie in der Waschmaschine unserer Mutter gewaschen. Am Wochenende haben wir sie dann den Mitgliedern an den Abschlägen verkauft." 20 Dollar kommen so zusammen - ein stolzes Sümmchen zu der Zeit, insbesondere da sie als Tochter einer Hausfrau und eines Tischlers nicht in einen vermögenden Haushalt geboren wird.

Golfpunks dieser Welt: Timm Thaler beneidet die Frau, an die er sein Lachen verkauft hatGolfpunks dieser Welt: Timm Thaler beneidet die Frau, an die er sein Lachen verkauft hat
Timm Thaler beneidet die Frau, an die er sein Lachen verkauft hat

»
ICH GENIESSE ES, EMOTIONEN ZU ZEIGEN. ICH WERDE SO ENTHUSIASTISCH, DASS ICH ALS ERSTE JOHLE, WENN DER BALL AM STOCK ODER IM LOCH LANDET.
«

Irgendwann nimmt sie einen alten Schläger zur Hand. Nachdem die zahlenden Golfer gegangen sind, dürfen die Kids auf der Anlage spielen und prügeln begeistert Bälle. Die kleine JoAnne hat Swag. Meist mit Jungs unterwegs hauen sie sich die Drives um die Ohren. Nicht selten lässt sie die Boys kurz, auch wenn der ein oder andere Ball nach rechts entschwindet, wie sie ihren verlässlichen Fehlschlag selbst beschreibt. "Der Boden bebt, wenn sie schlägt", wird die zweifache Major-Siegerin Sandra Palmer später sagen, als "Big Momma" auf der LPGA-Tour aufteet. Nur beim Putten geht ihr die Kraft aus. So bekennt sie, dass sie berüchtigt für ihre verhungerten Birdie-Putts gewesen sei, selbst aus kürzester Distanz.

Der öffentliche Platz ist eine kleine Wiese, für die ihr Talent sowie die rasante Entwicklung ihres kraftvollen Schwungs zu groß werden - es gibt dort schlicht keine Driving Range, auf der sie adäquat trainieren könnte. Ihr neuer Heimatclub wird der Sand Point Country Club am Lake Washington, wo sie erstmals auf einen Golftrainer trifft. Er beißt sich die Zähne an ihr aus. JoAnne hat keine Lust auf Training, sie will spielen. Der Coach gibt ihr Ben Hogans Buch "Five Lessons" mit. Als er einige Tage später nach ihren Erkenntnissen aus der Lektüre fragt, antwortet sie, dass zehn Warmup-Bälle genug seien.

Ob sie denn neben dem Golfsport auch etwas für ihre Fitness getan habe, wird sie gefragt. Sie schweigt einen kurzen Moment, bevor sie hörbar amüsiert antwortet: "Ich habe geraucht und gesoffen!" JoAnne fährt Motorrad, hat stets eine glimmende Marlboro im Mundwinkel und feiert nach ihren Runden wilde Partys im Clubhaus mit den Mitgliedern. "Konzentration und die Beschäftigung mit dem Schlag sind wichtig. Wenn ich aber zu ernsthaft werde, kann ich nicht spielen", analysiert Carner ihre eigene Persönlichkeit. "Ich löse den Druck mit leichtem Gefeixe mit den Zuschauern. Ich genieße es, Emotionen zu zeigen. Ich werde so enthusiastisch, dass ich als Erste johle, wenn der Ball am Stock oder im Loch landet." Ihr Charisma macht sie zum Publikumsliebling auf der Tour. Sie ist die Carly Booth ihrer Zeit.

Golfpunks dieser Welt: Götzenkult auf der LPGA Tour: der heilige Visor
Götzenkult auf der LPGA Tour: der heilige Visor
JoAnne ist 30 Jahre alt, als sie 1970 auf die LPGA Tour wechselt und in ihrem Wohnwagen von Turnier zu Turnier tingelt. Da hat sie im Amateur-Golf schon alles auseinandergenommen. Ab 1956 hat "The Great Gundy" die USGA-Events in nie gesehenem Ausmaß dominiert. Als einer von nur zwei Menschen - der andere heißt Tiger Woods - hat sie die US Junior, US Amateur und US Open gewonnen. Und 1969 hat sie beim Burdine's Invitational triumphiert. 43 Jahre lang wird sie die letzte Amateurin bleiben, die auf der LPGA gewinnen kann. Kurz: JoAnne Carner ist ein Phänomen.

Als zweite Spielerin überhaupt verdient sie im Lauf ihrer spät gestarteten Profikarriere mehr als eine Million US-Dollar Preisgeld auf der LPGA Tour. Von 1974 bis 1984 landet sie bei 24 Major-Starts in Folge in den Top Ten, 19 davon beendet sie sogar unter den ersten fünf. 1971 und 1976 gewinnt Carner die US Women's Open, insgesamt holt die Hall-of-Famerin 43 Titel auf der LPGA Tour: Platz acht in der ewigen Bestenliste. Und das trotz eines selbst diagnostizierten Handicaps: "Mein Problem ist, dass ich zu viel denke. Ich war immer der Überzeugung, dass man dumm sein muss, um gutes Golf zu spielen."

Der Erfolg liegt auch daran, dass sie irgendwann doch Gefallen am Training findet - vielleicht auch, weil sie sich in ihren Schwungtrainer Don Carner verliebt und ihn 1963 heiratet. Dabei legt sie den Fokus darauf, auf dem Platz auf alle Lebens- und Balllagen vorbereitet zu sein: "Ich baue Selbstvertrauen auf, wenn ich die verschiedensten Schläge trainiere - den Ball links, rechts, hoch und tief zu manövrieren. Viele Golfer gehen auf die Range und üben immer nur volle Schläge. Mein Vertrauen basiert darauf, dass ich den Ball effektiv zu steuern weiß - und das in allen Umständen." Carner schätzt, im Verlauf ihrer Karriere 90 Prozent aller Match Plays gewonnen zu haben. Das mag deutlich nach oben aufgerundet sein, aber ihre Dominanz im direkten Vergleich ist unzweifelhaft. "Manche habe Angst zu gewinnen, andere wiederum haben Angst zu verlieren. Ich denke, Gewinnen macht eine Menge Spaß."

Golfpunks dieser Welt: Auch Cindy aus Marzahn hat ein Leben vor dem RampenlichtGolfpunks dieser Welt: Auch Cindy aus Marzahn hat ein Leben vor dem Rampenlicht
Auch Cindy aus Marzahn hat ein Leben vor dem Rampenlicht
So viel Spaß, dass "Aufhören" zu keiner Zeit Teil ihres Vokabulars ist. Golf-Journalist Jaime Diaz schrieb in der "New York Times" über sie: "In einem Sport, der allmählich, aber unaufhaltsam alle, die ihn beruflich betreiben, psychisch zermürbt, hat sich kein Champion als widerstandsfähiger gegen die Erosion erwiesen als JoAnne Carner." Das war 1993. Elf Jahre später erzielt sie immer noch ein Hole-in-one auf der LPGA Tour und übersteht den Cut bei einem Major. Wenige Wochen danach stellt sie mit 64 Jahren und 26 Tagen den Rekord als älteste LPGA-Spielerin im Cut auf.

Noch heute, mit 85 Jahren, teet JoAnne Carner bei der US Senior Women's Open auf. Als sie in der ersten Runde ihr Alter schießt, ist sie alles andere als zufrieden. "Es war schrecklich. Ich habe nicht gut geputtet und zwischenzeitlich meinen Schwung verloren." Nachdem ihre Startzeit für die zweite Runde wegen Gewittergefahr auf den späten Vormittag verlegt wurde, genießt sie in aller Ruhe ein Frühstück vor der Runde. Anschließend geht es zum Stretching mit dem Therapeuten. "Er hat mir Massagestiefel angezogen, das fühlte sich gut an. Die massieren dir das Blut zurück in die Beine." Die Verjüngungskur zahlt sich auf der Runde aus: eine 80, fünf Schläge weniger als ihr Alter. Wie sie sich damit fühle, möchte einer der Reporter wissen: "Ich wäre glücklicher mit einer Runde in den 70ern. Ich hätte das locker hinbekommen können!"

Featured Stories