"Als ich drei Jahre alt war, hat mir mein Vater auf der Driving Range einen Satz gekürzte Schläger in die Hand gedrückt. Mit sieben habe ich dann bei Peter Ball in Birley Wood meinen ersten Golfunterricht bekommen." Ball, der von seinen Schützlingen den Spitznamen "Yoda" bekommen hat, gibt auch Danny Willett seinen ersten Golfunterricht und überlässt sowohl den Masters-Sieger als auch Joe Dean anschließend den Händen des englischen Nationaltrainers Graham Walker.
Dean ist nicht so ein Überflieger wie andere Golfer aus Sheffield, zum Beispiel der gleichaltrige Matt Fitzpatrick. "Matt war immer einiges besser als ich. Als ich es in die Yorkshire-Auswahl schaffte, war Matt bereits im englischen Nationalteam, und als ich an die Tür der Nationalmannschaft klopfte, war er auf dem Sprung ins Profi-Lager." Dean selber macht im Jahr 2016 Golf zum Beruf, nachdem er mit dem Gewinn der English Amateur Championship seinen größten Erfolg gefeiert hat. Doch der Realitäts-Check folgt auf dem Fuß. "Ich dachte, es würde einfacher", reflektiert er im Nachhinein. "Meine Freunde und Familie haben mir immer Mut gemacht, dass ich gut genug wäre. Die bittere Realität ist allerdings, dass es in unserem Sport nicht nur darauf ankommt, gut zu spielen, sondern auch darauf, es zur rechten Zeit zu tun. Wenn man das nicht gleich schafft, so ist das ein bisschen wie ein Schlag ins Gesicht."
»DIE BITTERE REALITÄT IST, DASS ES IN UNSEREM SPORT NICHT NUR DARAUF ANKOMMT, GUT ZU SPIELEN, SONDERN AUCH DARAUF, ES ZUR RECHTEN ZEIT ZU TUN.«
Während seine ehemaligen Kollegen auf der Challenge Tour 2020 immerhin noch elf Turniere spielen können, stellt die Euro-Pro-Tour den Betrieb komplett ein. Wie Dutzende andere Kollegen ist Joe Dean plötzlich arbeitslos und muss sich Gedanken machen, ob er weiterhin sein Glück als Profi-Golfer versucht oder sich doch lieber einen Job mit geregeltem Einkommen suchen sollte. "Meine Verlobte Emily und ich versuchten zu der Zeit, ein Haus zu kaufen, und sie hat mir den Anschub gegeben, etwas Neues zu versuchen, wofür ich ihr sehr dankbar bin."
Dean heuert als Lieferfahrer bei der britischen Supermarktkette Morrisons in der Sheffielder Vorstadt Worksop an. Der Job verschafft ihm nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch einen neuen Blick auf sein bisheriges Leben. "Ich bin seit fast zehn Jahren Golfprofi und mit der Zeit verliert man ein bisschen die Perspektive dafür, wie viel Glück wir haben, Golf als Beruf auszuüben und um die Welt zu reisen." Dennoch schließt Dean seinen Frieden damit, den Traum wahrscheinlich nicht länger leben zu können. Zwar will er nicht ganz auf Golf verzichten, aber seinen sportlichen Ehrgeiz stillt er mit Auftritten auf der 2020 Pro Tour, die aus der Corona-Pandemie entstand. "Das ist eine fantastische kleine Tour. Es wird nur eine Runde gespielt, wodurch die Ausgaben klein gehalten werden. Ich konnte mir einen Tag freinehmen, setzte etwas Geld ein und meistens hat es sich gut ausgezahlt." Das fällt auch Joes gutem Kumpel Max Beahan auf, der mittlerweile als sein Caddie arbeitet. Er ist der Überzeugung, Joe verschwende auf der Minitour sein Talent, und organisiert gemeinsam mit seinem Vater einige Sponsoren, um zumindest die Qualifying School zu finanzieren. Ohne Status auf irgendeiner der anerkannten Touren bedeutet dies aber, dass sich Joe Dean durch gleich drei Stufen kämpfen muss und das Dilemma, "zur rechten Zeit gut zu spielen", dreifach gilt. Entsprechend bescheiden geht Joe an die Sache heran: "Ich hatte wirklich null Erwartungen. Ich spielte einfach drauflos, Loch für Loch - ohne mir Druck zu machen, ich müsste eine besonders niedrige Runde schießen."
Genauso beginnt er auch die erste Stufe im englischen Newbury: Mit Even Par kommt er auf Platz 32 rein, doch in der dritten Runde klickt es und am Ende schafft er als Neunter den Sprung zur zweiten Stufe in Spanien. Mit der Runde des Tages, einer 63, katapultiert sich der Engländer auf Platz zwei und steht plötzlich im Tourfinale. Ein brutaler Kampf über sechs Runden - insbesondere für jemanden, der jahrelang nur Wettkämpfe über eine Runde gespielt hat. Während der Deutsche Freddy Schott als späterer Sieger entspannt die Karte für die DP World Tour löst, ist es für Dean buchstäblich ein Kampf bis zum letzten Meter. Als er nach 107 Löchern auf dem letzten Tee steht, braucht er ein Birdie, um nach jahrelangen Entbehrungen endlich bei den Großen mitspielen zu können. "Es war ein angenehmes Par 5, auch wenn um das Grün herum viel Wasser ist", erinnert sich Joe Dean an das Loch, das sein Leben verändert hat. "Nach einem guten Abschlag hatte ich noch ein Eisen 6 ins Grün, schaffte es, den Ball vier oder fünf Meter an die Fahne zu legen, und hatte einen simplen Zwei-Putt." Ende gut, alles gut also? Ganz so leicht ist es nicht.
Die Spielberechtigung für eine der großen Golftouren ist der Traum, auf den alle Golfer hinarbeiten. Doch sie ist weniger eine Karte fürs Fitnessstudio, die man nur einmal vorzeigen muss, um dann alle Leistungen nutzen zu können, als vielmehr eine Kreditkarte ohne finanzielle Deckung. Bereits die eine Saison auf der Challenge Tour hat Joe Dean 40.000 Euro gekostet, auf der DP World Tour schätzt er die laufenden Kosten pro Turnierwoche auf 4.000 Euro. "Ohne finanzielle Unterstützung ist das fast unmöglich."
Für Joe Dean bedeutet dies, dass er am Anfang der Saison eine knallharte Kosten-Nutzen-Rechnung machen muss. Da die DP World Tour zum Saisonauftakt traditionell in Südafrika, Australien, Mauritius und dem Nahen Osten startet, sind enorme Reisestrapazen vorprogrammiert. Entweder muss man hin- und herfliegen oder sich für mehrere Wochen eine Unterkunft suchen. Egal wofür man sich entscheidet, die finanzielle Belastung liegt noch einmal deutlich über der einer durchschnittlichen Woche. Also macht Dean das, was sich ein Spieler mit seinem Status überhaupt nicht leisten kann: Er gibt seinen direkten Konkurrenten um die Tourkarte für 2025 acht Turniere Vorsprung, steigt erst Anfang Februar mit dem Qatar Masters in die Saison ein - und ist nach verpasstem Cut schon gleich mal in den roten Zahlen. Zurück in England fährt er wieder Lebensmittel aus, um die finanzielle Delle auszugleichen, bevor er 14 Tage später nach Afrika reist, wo die Magical Kenya Open ihrem Namen gerecht wird und Joe ein magisches Erlebnis auf der DP World Tour beschert. Mit einer brillanten Back Nine spielt er sich auf Platz zwei und sackt ein Preisgeld von 200.000 Dollar ein - "eine absurde Summe", wie er es direkt danach selbst formuliert. Was aus der Ferne betrachtet aussieht, als hätte Dean den Jackpot geknackt, ist in der Realität gerade "genug, um die nächsten eineinhalb Jahre auf der Tour zu sichern". Also macht Joe in der Woche nach dem Turnier das, was er die letzten Jahre immer gemacht hat: Er fährt wieder Lebensmittel aus.
Doch nicht nur seine Bodenständigkeit macht den Mann aus Worksop zu einem von uns, auch seine Routine vor einer Turnierrunde kennt fast jeder Hobbygolfer, denn auf der Driving Range bekommt man ihn kaum zu sehen. "Schon als ich Profi wurde, habe ich mir das abgewöhnt. Auf der Euro-Pro-Tour haben wir oft auf Plätzen gespielt, die entweder keine Range hatten oder nicht genügend Abschlagplätze, um uns alle unterzubringen. Also haben wir Netze aufgestellt, einige Bälle reingeschlagen und sind dann zum Chippen und Putten gegangen." Als er sich 2019 aber die Karte für die Challenge Tour sichert, lässt er sich vom Gruppenzwang eine Änderung seiner Routine diktieren. "Ich habe ziemlich viel Geld in einen Launch-Monitor investiert. Plötzlich habe ich zwei bis drei Stunden am Tag auf der Range Bälle gehauen, nur damit so ein Gerät happy über meine Zahlen ist. Und bevor ich's mich versah, hatte ich verlernt, wie man Golf spielt und gute Ergebnisse nach Hause bringt."
Als er in diesem Jahr seine Karriere neu startet, fällt er die Entscheidung, wieder seinen alten Weg zu gehen. "Man fühlt sich fast verpflichtet, auf die Range zu gehen, weil es alle machen. Aber ich habe auf die harte Tour gelernt, dass das für mich nicht funktioniert. Wenn ich jetzt zu Turnieren komme, spiele ich ein wenig, stretche mich, gehe aufs Chipping-Grün und dann zum Start. Ich habe zu oft auf der Range gestanden, die Bälle nach rechts geschlagen, mich auf dem ersten Tee dementsprechend ausgerichtet und plötzlich flog der Drive in die andere Richtung."
Eine Methode, die sich in diesem Jahr richtig ausgezahlt hat. Bei der Soudal Open Ende Mai landet er auf dem fünften Platz, bei der KLM Open schafft er es mit zwei Birdies an den letzten drei Löchern ins Play-off und scheitert erst am zweiten Extraloch an dem Italiener Guido Migliozzi. Als wir den Engländer fragen, ob er angesichts seiner meist guten Schlosslöcher über ausgesprochen gute Nerven verfügt, gibt es einen Lacher auf den billigen Rängen. Sein Caddie Max, der auf der Tribüne unserem Interview gelauscht hat, ist offenbar anderer Meinung. "Spontan würde ich Nein sagen", gibt auch Joe zu. "Ich habe allerdings die Einstellung, dass ich, wenn ich gut genug war, um so weit zu kommen, dann auch den nächsten Schlag schaffen kann. Wenn es dein Tag ist, ist es dein Tag. Wenn nicht, versucht man es halt nächste Woche wieder."
Steckbrief
NAMEJoe Dean
ALTER
30 Jahre
WOHNORT
Worksop
PROFI SEIT
2016
NEBENBERUF
Lieferfahrer
WUNSCHAUTO
BMW
ERFOLGE
2024
Magical Kenya Open (T-2)
KLM Open (T-2)
Soudal Open (T-5)
Open Championship (T-25)
Entsprechend hat auch der Erfolg nichts an Joes Einstellung geändert. "Versteh mich nicht falsch, ich würde liebend gerne einen Sieg holen. Aber ich komme nicht her und erwarte zu gewinnen. Mein Ziel ist immer, den Cut zu schaffen, ganz egal ob ich gerade noch ins Wochenende rutsche oder am Sonntag in der letzten Gruppe bin." Ein Ziel, das er in diesem Jahr bei zwölf Versuchen neunmal erreicht hat - unter anderem auch bei der Open Championship in Royal Troon, als sein Name in der ersten Runde plötzlich auf der ersten Seite des Leaderboards auftauchte. Am Ende wird er 25. und sammelt erneut 114.000 Euro auf seinem Habenkonto, sodass er langsam zu träumen anfangen kann. "Ich bin ein großer Autonarr und hoffe, mir bald einen neuen Untersatz leisten zu können. Und meine Verlobte und ich können es uns jetzt zum ersten Mal in elf Jahren leisten, gemeinsam in den Urlaub zu fahren."
Zeit dafür hat er genügend, denn Joe Dean findet sich auf der DP World Tour in einer bizarren Situation wieder. Einerseits ist er als 30. im Race to Dubai einer der besten Spieler des Jahres, andererseits ist er als jemand, der seine Spielberechtigung über die Qualifying School gesammelt hat, bei den besser dotierten Turnieren auf Einladungen angewiesen, um überhaupt ins Feld zu rutschen. "Mit meiner Kategorie ist es nicht leicht. Oftmals finde ich erst am Montag oder am Dienstag heraus, ob ich starten kann. Und meine Erfahrung ist: Wenn ich eine Woche zuvor nicht weiß, ob ich dabei bin, ist es schwierig, mental auf der Höhe zu sein."
Dennoch bedauert er zu keiner Sekunde, wie seine Karriere abgelaufen ist. "In der Amateurzeit fühlt man sich als großer Fisch in einem kleinen Teich. Wenn man dann ins Profi-Lager wechselt, schaffen es manche sofort an die Spitze und bei anderen dauert es Jahre. Und ich glaube, dass Spieler wie ich, die länger brauchen, den Erfolg viel mehr zu würdigen wissen."