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Tiger Woods

Das war es!

Von Jan Langenbein, Fotos: Nike

Während die Golfwelt sehnsüchtig auf das Comeback von Tiger Woods wartet, übersehen seine Fans das Wesentliche: Das Comeback hat längst stattgefunden.

Acht Jahre ist es her, dass Tiger Woods auf einem gebrochenen Bein die US Open in Torrey Pines und damit seinen bis heute letzten Major-Titel gewann. Somit ist nun auch beinahe eine Dekade vergangen, seit Tigers Jagd auf Jack Nicklaus' Rekord von 18 Major-Siegen nicht nur realistisch, sondern beinahe unausweichlich auf einen Erfolg hinauszulaufen schien. Es ist eine hoffnungslos romantische und zugegeben auch reizvolle Vorstellung, Tiger Woods könne aus der Asche seines längst gebrochenen Körpers aufsteigen, die Golfwelt erneut regieren und die ihm noch fehlenden fünf Major-Titel gewinnen. Er wäre ein für alle Mal der größte und beste Golfer aller Zeiten. Doch ebenso reizvoll ist die Vorstellung einer Präsidentschaft von Bernie Sanders und die Wahrscheinlichkeit ist in beiden Szenarien exakt gleich groß. Weder die Geschichte noch Statistiken und schon gar nicht die Realität, die sich vor unserer aller Augen abspielt, können ein glaubhaftes Argument für ein Comeback liefern.

Fangen wir mit der Golfgeschichte an. Hale Irwin hat mit seinen Siegen bei den US Open 1979 und 1990 ebenso wie Ben Crenshaw mit seinen Masters-Triumphen von 1984 und 1995 zwar bewiesen, dass die Zeitspanne zwischen zwei Major-Siegen durchaus länger als die von Woods' zurzeit durchlebte Durststrecke von acht Jahren sein kann, für beide waren diese späten Siege allerdings die letzten Major-Titel ihrer Karriere. Mit 42 und 44 Lenzen auf dem Buckel waren Crenshaw und Irwin bei ihren Siegen auch nur unwesentlich älter als Tiger mit seinen momentan 40 Jahren. Das Argument, Tiger habe die Zeit auf seiner Seite und noch viele Jahre, um die nötigen Siege einzufahren, zieht also auch nicht mehr. Selbst Jack Nicklaus gewann in seinem Lebensabschnitt, der mit einer 4 beginnt, "nur" noch drei Major-Titel.

Auch die Statistik macht keine Hoffnung auf einen Schlussspurt des Tigers, der vor exakt 20 Jahren in die Zunft der Profigolfer wechselte. Vergleicht man die ersten 20 Profijahre der beiden Übergolfer, so wird deutlich, dass Tiger Woods bei den Siegen auf der PGA Tour zwar die Nase vorn hat und nicht nur mehr Siege als Nicklaus feiern konnte, sondern auch über eine höhere Siegquote verfügt; bei den Major-Turnieren wendet sich das Blatt allerdings, und wie die gelben Golfbälle, die in der Info-Grafik unten für die Major-Siege stehen, zeigen, hatte Woods von Anbeginn seiner Karriere Mühe, mit der Pace, die Nicklaus bei den Majors vorlegte, mitzuhalten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Tiger in den letzten Jahren ganz eindeutig die Puste ausging.

Tiger Woods: Jack Nicklaus (l.)Tiger Woods: Jack Nicklaus (l.)
Jack Nicklaus (l.)

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'TIGER IST EIN EHEMALIGER GOLFER. UND EIN ÜBERLEBENDER', LAUTET THOMPSONS ERSCHRECKENDES FAZIT.
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Womit wir bei der heutigen Realität angekommen wären bzw. dem Video, in dem Tiger bei der Eröffnung seines ersten Platzdesigns in den Vereinigten Staaten den Driver schwang und dabei so hölzern wirkte wie sein Alter Ego in den frühen Versionen seines Videospiels. Von der seidenweichen Dynamik und der unwiderstehlichen Athletik, die seinen Schwung vor 15 Jahren noch zu einem Naturereignis machten, war nicht das kleinste bisschen übrig geblieben. Wenige Tage nach diesem besorgniserregenden Videobeweis folgte die nächste virale Kreuzigung, als Woods beim Presse-Event zu seinem Quicken-Loans-National-Turnier im Congressional Country Club von den Damen-Tees nicht in der Lage war, den Ball auf das 93 Meter entfernte Grün zu pitchen. In seiner Blütezeit hätte Tiger den Ball wahrscheinlich bis zur Fahne werfen können, doch 2016 folgte nach dem zweiten Wasserball sogar eine kurze Selbstmotivation. "Come on, Tiger!", murmelte er sich selbst zu, bevor er das dritte Mal ans Tee trat und auch den dritten Ball im Wasser versenkte. Es wäre pure Westentaschenpsychologie, diese öffentliche Demütigung in einen direkten Zusammenhang mit dem Zusammenbruch von Tigers Schutzschild der Privatsphäre im Nachspiel des Sexskandals von 2009 zu stellen. Diese Situation war nicht mit der adrenalingeschwängerten Atmosphäre eines letzten Lochs bei einem großen Turnier zu vergleichen. Das war ein Pressetermin und die Entfernung zum Loch waren lächerliche 93 Meter. Es braucht keine mentale Stärke, um einen Ball über diese Entfernung auf ein Grün zu spielen, es braucht einen gesunden und funktionierenden Körper.

"Tiger hat sich mit dem ganzen Navy-Seals-Nonsens ins eigene Knie geschossen", erzählte uns sein Ex-Coach Hank Haney im Januar und damals rätselten wir noch, was genau er damit wohl meinte. Natürlich war damals Tigers Verehrung für die Elitekämpfer längst bekannt, doch dann veröffentlichte Wright Thompson im April für ESPN den wohl besten Einblick in das bisher so gründlich abgeschirmte Leben von Tiger Woods, der bisher geschrieben wurde. In akribischer Recherchearbeit belegte Thompson, dass Tiger Woods in den vergangenen zehn Jahren seit dem Tod seines Vaters Earl ein geradezu besessenes Verhältnis zur Parallelwelt der Kommandoeinsätze der Navy Seals entwickelte. Zum ersten Mal besuchte Woods als Gast ein geheimes Trainingslager, in dem normale Soldaten zu Navy Seals gedrillt werden, wenige Tage vor den Buick Open 2006 in Torrey Pines. Der dort stattfindende Drill entspricht Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" im Quadrat und von 200 Anwärtern überstehen gerade einmal 30 diese mehrjährige Tortur. Während dieses Besuchs kam der alte Kindheitswunsch des jungen Tiger Woods wieder zum Vorschein. Er wollte ein Navy Seal werden. Kurz vor der US Open 2006 fuhr Woods in ein Bergtrainingslager der Seals in der Nähe von San Diego, doch dieses Mal wollte er keine Besuchertour, er wollte die komplette Erfahrung. Wie Thompson herausfand, feuerte er SR-25-Sniper-Gewehre und Sig-Sauer-P226-Pistolen ab und die Seals nahmen ihn sogar mit ins "Kill House", eine Kampfsimulationseinrichtung, in der die psychische und körperliche Stresssituation beim Säubern von feindlichen Häusern trainiert wird. Die Elitekämpfer machten sich einen Spaß daraus, dem überforderten Spitzensportler buchstäblich den Arsch aufzureißen. Die Besuche und das Training bei den Navy Seals dauerten von 2006 bis 2007 und Tiger absolvierte während dieser Zeit sogar seine täglichen 6,5-Kilometer-Läufe in schwarzen Kampfstiefeln anstelle von leichten Sneakern. Es war ein Trainingsprogramm, an dem selbst ein Weltklasse-Triathlet und mehrere Football-Spieler scheiterten, alle zu jener Zeit über zehn Jahre jünger als Tiger. "Tiger ist ein ehemaliger Golfer. Und ein Überlebender", lautet Thompsons erschreckendes Fazit und er bekam von einem Mitglied aus Tigers innerem Zirkel sogar diese Aussage auf Band: "Das Seals-Training war ihm sehr, sehr wichtig. Hätte er damals zwei gute Jahre gehabt und Jacks Rekord gebrochen, hätte er die Schläger an den Nagel gehängt und sich für den Militärdienst verpflichtet."

Als Tiger Woods mit dem exzessiven Kampftraining bei den Navy Seals begann, mutete er seinem Körper nicht nur Belastungen zu, die dieser nicht ohne Weiteres verarbeiten konnte, er wendete auch seinen mentalen Fokus vom Golfspielen ab. Das Seals-Training ist zwar nicht erst seit Woods' zahlreichen Operationen der vergangenen Jahre Geschichte, die mentale Fokussierung auf seinen Beruf scheint jedoch auch in den letzten Wochen, in denen immer wieder Comeback-Gerüchte laut wurden, nicht zurückgekehrt zu sein.

Gerade erst bestätigte Tiger, dass er zusammen mit Autor Lorne Rubenstein an einem Buch über seinen ersten Masters-Sieg 1997 arbeite, das pünktlich zum 20. Jubiläum des Triumphs erscheinen soll. Dieses Buch wird für viele Fans zwar ein Segen sein, dürfte es doch Einblicke in vier historische Tage geben, die bisher versperrt waren, jedoch zeigt diese Verpflichtung auch, dass der Tiger von 2016 nicht mehr viel mit dem Tiger 1997 bis 2009 gemein hat. Dieser Tiger hätte auf die Anfrage eines Verlags geantwortet: "Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Ich habe Besseres zu tun."

Allen, die auf ein baldiges Tiger-Woods-Comeback hoffen, sei gesagt, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der wichtigste Golfer aller Zeiten in absehbarer Zeit wieder die Schläger auf der PGA Tour schwingen wird. Doch selbst wenn es ihm gelingt, sein Spiel noch einmal halbwegs in Form zu bringen, wartet dann immer noch eine Bande Mittzwanziger namens Jordan, Jason, Rory und Rickie, die kein Interesse daran haben, ihren Platz an der Sonne mit einem Teilzeitrentner zu teilen.

Das Comeback des Tiger Woods, wie wir ihn einst kannten, fand bereits statt. Zwischen März 2012 und August 2013 feierte er insgesamt acht beeindruckende Siege und es gelang ihm für eine Zeitspanne von 17 Monaten, die Uhr noch einmal zurückzudrehen. Jack Nicklaus dürfte es damals noch einmal für einen kurzen Moment mit der Angst zu tun bekommen haben. Doch dieser Moment ist längst vorüber.

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