In den zwölf Monaten vom 28. Mai 2000 bis zum 03. Juni 2001 trat Tiger Woods bei 26 Turnieren an. Er gewann 13-mal, davon alle vier Major-Turniere, verpasste nur viermal die Top Ten und spielte lediglich zwei Runden über Par. Ein einmaliger Lauf, der an einem Golfnachmittag in Gut Kaden seinen Anfang nahm.
Tiger Woods war schon immer für Großes bestimmt. Nachdem er als erster Golfer überhaupt die US Amateur Championship dreimal in Folge gewonnen hatte, wechselte er ins Profilager und trug sich bereits bei seinem fünften Start in die Siegerlisten der PGA Tour ein. Vier Monate später gewann er als jüngster Spieler aller Zeiten das Masters - mit dem bis heute größten Vorsprung aller Zeiten. Als er im April 2000 im Augusta National antrat, hatte er bereits 15 PGA-Tour-Siege und zwei Majors für sich verbuchen können. Dennoch war er nicht zufrieden. Woods' Maßstab war nicht seine direkte Konkurrenz, seine Messlatte war die Geschichte - und insbesondere Jack Nicklaus: Der "Golden Bear" hatte in Tigers Alter bereits ein Major mehr gewonnen. Umso mehr schmerzte es Woods, seinen Namen nach der ersten Masters-Runde auf dem Leaderboard hinter dem des 60-jährigen Nicklaus zu sehen. Zwar fing sich Tiger und beendete das Turnier auf Platz fünf, aber ein Rückstand von sechs Schlägen auf Vijay Singh war für ihn inakzeptabel - auch wenn niemand Woods' Status als bester Spieler der Welt bezweifelte. Spielerisch und athletisch war er der Konkurrenz so weit enteilt, dass Ernie Els nach seiner Play-off-Niederlage in Hawaii zu Beginn des Jahres frustriert konstatierte: "Was soll ich machen? Ich kann nur meine eigenen Waffen nutzen, aber er hat größere Waffen als ich." Was der Südafrikaner nicht ahnen konnte: Die richtigen Waffen hatte Tiger nicht mal ausgepackt.
Im Jahr 2000 spielte die Mehrheit der Profis Golfbälle mit einem umwickelten Flüssigkern und einer Schale aus Balata. Als Woods mit seinem Kumpel Mark O'Meara und dessen Top Flite Strata Tour übte, so berichtet Kevin Cook in seinem Buch "The Tiger Slam", sah er erstmals die Zukunft. "Du spielst einen archaischen Ball", zog ihn O'Meara auf und empfahl Woods, einen neuen Ball zu ordern.
Der Überflieger hatte bislang Bälle seines Equipment-Sponsors Titleist gespielt. Doch Kleidungssponsor Nike witterte eine Chance reinzugrätschen und finanzierte Bridgestones Geheimentwicklung eines neuen Balls. Nach dem Masters begann Woods mit dem Test seines neuen Spielzeugs, und als er Mitte Mai bei der Byron Nelson Classic den Sieg knapp verpasste, griff er zum Batphone, rief seinen Nike-Kontakt an und bat darum, den neuen Ball in Deutschland auszuprobieren.
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WOODS' MASSSTAB WAR NICHT SEINE DIREKTE KONKURRENZ. SEINE MESSLATTE WAR DIE GESCHICHTE - UND INSBESONDERE JACK NICKLAUS.
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1999 war Woods - angeblich gegen ein großzügiges Antrittsgeld - erstmals bei der Deutsche Bank/SAP Open in St. Leon-Rot angetreten und hatte dort wie auch später 2001 und '02 gewonnen. Im Mai 2000 fand das Turnier jedoch in Gut Kaden bei Hamburg statt. Nachdem Woods unter großem Trubel am Hamburger Flughafen gelandet war, fuhr er gleich zur ersten Übungsrunde auf die Anlage und traf dort Nikes Marketingchef Kel Devlin sowie Bridgestones Golfball-Guru Hideyuki Ishii, um einen Direktvergleich des alten Titleist Professional mit dem neuen Nike Tour Accuracy anzustellen. So schildert es "Together We Roared", Caddie Steve Williams' neue Biografie: "Woods teete den Titleist-Ball auf und schlug seinen Drive. Der Ball wurde vom Wind ins rechte Rough gedrückt. Williams warf ihm den Nike Tour Accuracy zu. Woods machte den exakt gleichen Schlag, aber der Ball landete diesmal in der Fairway-Mitte."
Damit war die Entscheidung gefallen und eine neue Ära des Golfsports eingeläutet. Wie viel genau der neue Ball ausgemacht hat, ist schwer zu beziffern. "Man könnte sagen, dass er einen oder zwei Schläge pro Runde wert war", spekuliert Williams. In einer Sportart, in der die meisten Spieler für einen Schlag pro Turnier schon ihre rechte Hand geben würden, eine Welt. Dass Woods in Gut Kaden nur Dritter wurde, wiegte die Konkurrenz dabei in falscher Sicherheit. "Es gibt einem viel Befriedigung, die Nummer eins der Welt zu schlagen. Das unterstreicht, dass Tiger menschlich ist - und besiegbar", kommentierte Lee Westwood nach seinem Sieg.
Schon in der Woche danach beim Memorial sah die Konkurrenz Woods nur noch mit dem Fernglas. Nach drei Runden führte er mit sechs Schlägen Vorsprung und sicherte sich die Titelverteidigung im Autopilot. Und dann kam die US Open in Pebble Beach. Als Mark O'Meara vor dem Turnier zum Essen fuhr, fragte ihn seine Frau nach seiner Form. Die Replik von Tigers Trainingspartner: "Mein Spiel ist in Ordnung, aber das ist egal. Das Turnier ist schon vorbei. Tiger wird gewinnen. Nicht nur das, er wird das Feld wegpusten."
U.S. Open
Bereits nach der ersten Runde übernahm der notorische Spätstarter Woods mit einer bogeyfreien 65 die Führung vor Miguel Ángel Jiménez; als die wetterbedingt unterbrochene zweite Runde zu Ende geführt wurde, hatte der Amerikaner die Führung auf sechs Schläge ausgebaut, und nachdem der letzte Putt am Samstag gefallen war, lag Woods als einziger Spieler des gesamten Felds unter Par und hatte zehn Schläge Vorsprung. Die Wahrheit war aber noch demütigender für die Konkurrenz, denn Tiger hatte alles andere als perfekt gespielt: In der zweiten Runde hatte er seinen Drive an der 18 in den Pazifik gejagt und Steve Williams den Schock seines Lebens eingejagt, weil der Neuseeländer den letzten Ball aus dem Bag holen musste, und in der dritten Runde handelte sich Woods ein Triple-Bogey ein. Doch er behielt seinen Fuß beständig auf dem Gaspedal. Dem Feld längst enteilt legte er eine makellose Schlussrunde hin und lag nach einem Birdie an der 12 als zweiter Spieler der US-Open-Geschichte zweistellig unter Par - und das, obwohl Pebble Beach in jenem Jahr vom Par 72 zum Par 71 heruntergestuft worden war. Am Ende stand ein Ergebnis von -12 auf dem Leaderboard und mit 15 Schlägen Abstand auf die Zweitplatzierten Els und Jiménez der größte Vorsprung in der 140-jährigen Major-Historie. "Was ich auch sage, es ist eine Untertreibung. Selbst wenn ich am absoluten Limit gespielt hätte, hätte ich wahrscheinlich noch mit fünf, sechs, sieben Schlägen verloren", konstatierte der Südafrikaner frustriert im Interview.
Sicher ist sicher: Vor dem Tiger auf den Baum geflohen
Mit einem dritten Major-Sieg vor seinem 25. Geburtstag war Woods wieder auf der Spur, die Jack Nicklaus vorgegeben hatte. Viel wichtiger noch: Nach Woods' Masters-Sieg 1997 sowie dem Triumph bei der PGA Championship 1999 fehlte ihm nur noch ein Erfolg bei der Open Championship, um als fünfter Spieler überhaupt den Karriere-Grand-Slam aus allen vier Majors einzufahren. Und es hätte keinen besseren Ort dafür geben können als die Austragungsstätte der 2000er-Open: St. Andrews.
Obwohl Woods bis dahin noch nie im Home of Golf angetreten war, war er sich der Bedeutung der Stätte vollkommen bewusst. Nicklaus hatte zwei seiner drei Open-Siege auf dem Old Course eingefahren, der mit seinen welligen Fairways und riesigen Grüns die golferische Kreativität heraufbeschwor. Um auf die neue Herausforderung vorbereitet zu sein, spielte Woods lediglich ein weiteres Turnier auf der PGA Tour. Bei der Western Open fuhr er als 23. sein schlechtestes Ergebnis in 16 Monaten ein. Nicht etwa, weil er plötzlich spielerisch von der Rolle war, sondern weil er bereits die Schläge übte, die er 14 Tage später in St. Andrews brauchen würde - auf einem Platz in Chicago, für den diese Art von Schlägen eigentlich vollkommen ungeeignet waren.