Die ideale Flugbahn können sich viele Profis vorstellen; beim Versuch, diese dann Schlag um Schlag umsetzten, trennt sich die Spreu vom Weizen - oder in diesem Fall die Spreu von Woods. Natürlich gehört auch ein wenig Zufall dazu. "Ich hätte leicht in drei bis fünf Bunkern landen können", resümierte der Weltranglisten-Erste bei seiner Rückkehr nach St. Andrews im Jahr 2005. "Einige Abschläge sind über Bunker gesprungen oder liefen genau darum herum. Ich habe ein paar Mal Glück gehabt." Nicht dass er es gebraucht hätte.
Seine vier Tage im Juli wurden zu einer ähnlichen Machtdemonstration wie fünf Wochen zuvor in Pebble Beach. In der zweiten Runde übernahm Woods die Führung, nach drei Runden lag er bereits mit sechs Schlägen in Front und am Sonntag hatte er mit 19 unter Par einen Major-Rekord aufgestellt, Thomas Bjørn und Ernie Els acht Schläge hinter sich gelassen und als jüngster Spieler der Golfgeschichte den Karriere-Grand-Slam eingefahren. Der geschlagene Els äußerte sich nach der Runde mit einem Mix aus Resignation und Bewunderung. "Würde man Tiger Woods mit Old Tom Morris auf die Runde schicken, würde er Morris wahrscheinlich 80 Schläge hinter sich lassen. Der Kerl ist unglaublich, mir fehlen die Worte."

»ALS WOODS SEIN BIRDIE AUF DER 18 VERSENKTE, WAR DIE GOLFWELT UM EINEN NEUEN BEGRIFF REICHER: 'TIGER SLAM!'«
Als ob der Hype noch nicht groß genug gewesen wäre, griffen die Turnierverantwortlichen der PGA noch mal tief in die Trickkiste. Woods wurde für die ersten beiden Runden in eine Gruppe mit seinem Rivalen Vijay Singh und Jack Nicklaus gesteckt. Der "Golden Bear" hatte angekündigt, mit der PGA seine Major-Karriere zu beenden (auch wenn er später noch viermal das Masters und einmal die Open spielte) und die Flight-Zusammenstellung war als metaphorische Staffelübergabe gedacht. Es war das erste Mal, dass die beiden Legenden zusammen in einem Turnier spielten. Und obwohl Nicklaus seinem Nachfolger schon zweimal die Memorial-Trophäe überreicht hatte, zeigte sich der Altmeister beeindruckt. "Ich wusste, dass er gut war. Aber er ist noch so viel besser, als ich dachte", kommentierte er, als er den Cut um einen Schlag verpasst hatte.


Im September 2001 hatte Titleist den Pro V1 marktreif. Als Woods im April des Folgejahres nach Augusta kam, um als erster Golfer in der Geschichte alle vier Major-Titel gleichzeitig zu halten, traten nur noch vier Spieler mit einem Balata-Ball an, alle anderen hatten zur neuen Technologie gewechselt. Der Materialvorsprung, den Woods zum ersten und einzigen Mal auf die Konkurrenz hatte, war vorbei und, so schien es, auch seine Dominanz. Nach der ersten Runde lag Woods nur auf dem 15. Platz; bei einem Major hatte er zuletzt nach der zweiten Runde des Vorjahres-Masters schlechter gelegen. Doch alle Hoffnungen auf ein Schwächeln des großen Dominators verpufften 24 Stunden später. Woods legte mit einer 66 die beste Runde des Tages hin und schob sich auf den dritten Platz nach vorne. Als es auf die letzten 18 Löcher ging, lag Woods bereits in Führung, und obwohl Phil Mickelson nur einen Schlag dahinter lauerte, schien die Sache gelaufen. Immerhin hatte Tiger am Schlusstag noch nie eine Major-Führung aus der Hand gegeben. Aber der Sonntag wurde zu einem nervenzerreißenden Dreikampf. Die zwei besten Spieler ohne Major, wie die US-Presse Phil Mickelson und David Duval tituliert hatte, ließen jedoch zu viele Birdie-Putts liegen, und als Woods sein Birdie auf der 18 versenkte, war die Golfwelt um einen neuen Begriff reicher: "Tiger Slam!"

Der Tiger-Slam: Totale Dominanz
US OPEN | OPEN | PGA | MASTERS | OVERALL | |
TIGER WOODS | -12 | -19 | -18 | -16 | -65 |
ERNIE ELS | +3 | -11 | -3 | -9 | -20 |
PHIL MICKELSON | +9 | -7 | -8 | -13 | -9 |
JOSÉ MARÍA OLAZÁBAL | +8 | -4 | -12 | -7 | -15 |
PAUL AZINGER | +8 | -8 | -6 | -7 | -13 |
BOB MAY | +11 | -7 | -18 | +5 | -9 |
MIGUEL ÁNGEL JIMÉNEZ | +3 | -5 | +3 | -8 | -7 |
DARREN CLARKE | +17 | -8 | -9 | -4 | -4 |
DAVID TOM | +9 | -10 | -1 | Even | -2 |
PADRAIG HARRINGTON | +5 | -6 | +2 | -1 | Even |