Auf den Abschlägen der Bahnen 3 und 5, die sich den knappen Platz auf dem höchstgelegenen Punkt der Anlage teilen, wird klar, dass das einsame Kfz auf dem Parkplatz wohl Spaziergängern gehörte oder vielleicht doch einem Golfer, der aufgrund von zu viel Guinness nach der Runde das Taxi bevorzugte. Der nun komplett zu überblickende Golfplatz ist jedenfalls menschenleer und die Sonne macht sich langsam bereit, hinter einem benachbarten Eiland unterzugehen, das so gottverlassen wirkt, als könnte sich Luke Skywalker hier ins Exil zurückziehen. Außer dem Klappern der Golfschläger im Bag und dem gelegentlichen Peng eines Drives ist kein Laut zu vernehmen. Golf an einem solchen Abend an diesem der Welt scheinbar entrückten Ort ist kein Sport und auch kein Spiel - es ist Meditation.
Am nächsten Vormittag könnte die Szenerie kaum entgegengesetzter sein. Trotz riesigen Panoramafensters beträgt die Sicht aus dem Clubhaus von Cruit Island wohlwollend geschätzt 50 Meter. Auf der anderen Seite der Scheibe, wo eigentlich das neunte Grün zu sehen sein sollte, herrschen Wetterbedingungen wie in einer Autowaschanlage. Zwei Golferinnen aus Dublin haben nach drei Löchern aufgegeben und wärmen sich am Kaffee, während ihre Männer irgendwo da draußen noch gegen die Elemente kämpfen. Denis Bonner, dem in diesem Jahr die Ehre gebührt, den Cruit Island Golf Club als Captain zu repräsentieren, können endzeitliche Wetterbedingungen wie diese nicht schocken, schließlich wuchs er nur wenige Hundert Meter entfernt in einem Örtchen namens Kincaslough auf. "In meiner Jugend gab es den Golfplatz noch nicht", erzählt der mittlerweile 62-Jährige, während draußen zwei tropfnasse Gestalten auf der 9 wahrscheinlich zum Triple-Bogey putten. "Meine Söhne hatten mehr Glück. Schon im Grundschulalter habe ich sie in den Ferien jeden Morgen hierher gebracht und am Ende des Tages, kurz nachdem ich Feierabend hatte, kam der Anruf aus dem Clubhaus: 'Dad, wir sind fertig für heute. Kannst du uns abholen?'" Dass der Nachwuchs dann meist noch warten musste, bis der Vater seine abendlichen neun Löcher gespielt hatte, versteht sich von selbst.
»Die Entstehungsphase des Platzes kann man mit drei Worten beschreiben: betteln, klauen und ausleihen. Die Spielbahnen wurden mit einfachsten Mitteln und buchstäblich in Handarbeit gebaut.«
Cruit Island als Geheimtipp zu bezeichnen wäre daher glatt gelogen, denn nicht nur die irische Fußballlegende sorgt dafür, dass sich regelmäßig Links-Golf-Enthusiasten aus allen Teilen der Grünen Insel auf den Weg hierher ans Ende der Welt machen, auch in Amerika hat der Cruit Island Golf Club unter Kennern längst Kultstatus. Diesen verdankt er Tom Coyne, der 2007 mit dem Plan, alle Links-Plätze Irlands zu spielen, die Grüne Insel zu Fuß umrundete und nach vier Monaten, 990 gespielten Löchern, 4.531 Schlägen (636 über Par), 129 verlorenen Bällen und 196 besuchten Pubs mit dem Material für einen "New York Times"-Bestseller im Gepäck zurück in die USA flog, der vor 15 Jahren unter dem Titel "A Course Called Ireland" erschien und sich längst zu einer Art Bibel für abenteuerlustige Golfer entwickelt hat.
Cruit Island war der 17. von insgesamt 56 Links-Plätzen, die Coyne auf seinem Gewaltmarsch ansteuerte, und nach seiner Rückkehr brachte er folgende Zeilen zu Papier: "Ich fand den Platz für einen Neuling völlig unwirtlich, da sich sieben von neun Löchern blind spielen. Oft vollständig ahnungslos, wohin ich spielen sollte, verbrachte ich einen Großteil des Nachmittags damit, unabsichtlich Einheimische abzuschießen, und die Einheimischen revanchierten sich, indem sie mich versehentlich abschossen. Der Platz ist in jeder Hinsicht kurz und das gesamte Anwesen war von hässlichen Telefonleitungen durchzogen. Trotz alledem war Cruit Island vielleicht die schönste Aneinanderreihung von Golflöchern in ganz Irland."
Die Telefonleitungen sind längst verschwunden, doch ansonsten hat sich wenig am ursprünglichen Design der 1986 gebauten Spielbahnen von Cruit Island geändert. Jahre zuvor hatte der Landbesitzer, dessen Haus immer noch hoch über der Insel thront, sein Grundstück an den Bischof vermacht und eine Gruppe einheimischer Golfer, die vorher mehr als 20 Kilometer bis zum nächsten Golfplatz - Narin & Portnoo - über irische Landstraßen fahren musste, präsentierte dem Kirchenmann die Idee, einen Golfplatz auf der felsigen Insel zu bauen. Glücklicherweise fand der Kleriker Gefallen daran.
"Die Bauphase des Platzes kann man mit drei Worten beschreiben: betteln, klauen und ausleihen", grinst Denis. Maschinen kamen beim Bau von Cruit Island nicht zum Einsatz, "die Spielbahnen wurden mit einfachsten Mitteln und buchstäblich in Handarbeit gebaut." Tony Boylesen als Bauleiter trotzte mit seiner kleinen Crew aus vier oder fünf Arbeitern mithilfe von Schaufeln und Spaten der harschen Landschaft neun Spielbahnen ab. "Es klingt wie ein Ammenmärchen, aber Tony nahm tatsächlich jeden Abend die fünf Schaufeln mit nach Hause, schliff sie und so konnte am kommenden Morgen wieder auf der Insel damit weitergearbeitet werden. Mittlerweile ist die gesamte Insel ein Naturschutzgebiet, es wäre heute also undenkbar, einen Golfplatz hier zu bauen, gäbe es ihn nicht schon." Vor einigen Jahren streckte der Club seine Fühler aus, ob Möglichkeiten bestünden, Land für eine Erweiterung des Platzes auf 18 Löcher zu bekommen. "Keine Chance", kratzt sich Denis am Kopf und sinniert darüber, dass es wahrscheinlich besser ist, Cruit Island auf alle Zeiten als Neunlochplatz bestehen zu lassen, würde diese Anlage als ein weiterer 18-Loch-Links-Platz entlang Irlands felsiger Westküste doch nicht nur an Charme, sondern auch sein absolutes Alleinstellungsmerkmal verlieren.
Was gäbe es auch zu verbessern an einem Golfplatz, der das vielleicht spektakulärste Par 3 des gesamten Kontinents sein Eigen nennen kann? Zwischen Teebox und Fahne von Loch 6 sorgen auf Cruit Island nämlich mehrere Schluchten, die der Ozean in jahrhundertelanger Fleißarbeit in den Fels gefressen hat, dafür, dass sich dieses Loch noch nicht einmal vor der berühmten 16 in Cypress Point verstecken muss. Das Grün selbst liegt auf einer Felsnadel am äußersten Ende der Insel. Zu lange, zu kurze oder zu weit rechts abbiegende Abschläge verschwinden daher auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Nordatlantiks. Eine zweite Teebox, angelegt, um auf den Back Nine einer 18-Loch-Runde genutzt zu werden, nimmt dann zwar die spektakulären Schluchten aus dem Spiel, befindet sich jedoch so weit oberhalb des Grüns, dass dieses plötzlich wie ein Inselgrün mitten im Ozean erscheint. Wer hier nicht den restlichen Speicherplatz seines Smartphones füllt, der findet selbst bei einer Victoria's-Secret-Show kein Motiv.
"Das Land hier im Westen von Donegal ist nur sehr schwer zu bewirtschaften. Gäste und Tourismus sind daher schon immer eine wichtige Einnahmequelle gewesen. Deshalb sind die Einwohner sehr aufgeschlossen und freundlich gegenüber Neuankömmlingen", erklärt Pat Loughnane, ein vor Jahren aus dem County Offaly Zugereister, der sich mittlerweile um die Pressearbeit des Clubs kümmert und sich keinen Grund vorstellen kann, noch einmal aus dieser entlegenen Ecke Irlands wegzuziehen. "Eine Einrichtung wie unser Golf Club ist aber nicht nur aus touristischer Sicht wichtig für die Gegend: Da Letterkenny als nächste größere Stadt mit Einkaufszentren, Kinos und all ihrer Infrastruktur eine Autostunde entfernt ist, haben unser Club und sein Clubhaus auch eine große Bedeutung für das soziale Leben in einer solch entlegenen Gegend."
"Stimmt", pflichtet ihm Denis bei und deutet in Richtung der kleinen Luke-Skywalker-Insel, die gestern hinter eine dicken Suppe bestehend aus Regenwolken versteckt lag. "Dort drüben liegt Owey Island. Die Insel war bis vor wenigen Jahren noch bewohnt. Die kleine Ortschaft mit dem ehemaligen Postamt, einer kleinen Kirche und den Häusern, die mittlerweile zu Ferienhäusern umfunktioniert wurden, gibt es immer noch. Der Postbote, der früher für Owey Island zuständig war und diesen Job von seinem Vater, der ihn jahrzehntelang gemacht hatte, übernahm, kam nach seiner letzten Briefzustelltour jede Woche zu uns und trank an der Bar seinen Whiskey. Golf gespielt hat er nie", lacht Denis.
Auch Bonners Söhne, die einst hier das Golfspielen lernten und nach der Schule in anderen Teilen Irlands ihre Karrieren verfolgten, sind mittlerweile über 30 Jahre alt und allesamt zurückgekehrt nach Donegal.
Wer einmal in Cruit Island Golf gespielt und die Gastfreundschaft der Menschen erlebt hat, wird kein Problem damit haben zu verstehen, warum selbst junge Menschen wieder in eine Gegend zurückkehren, in der auf den ersten Blick der Hund begraben ist.
"Wir sind eine kleine Gemeinde. Es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, dass hier oben jeder jeden kennt", erklärt der Club Captain. "Früher haben wir Fußball gegeneinander gespielt und heute spielen wir Golf. Eines unserer Mitglieder war sein Leben lang Fischer und ist mittlerweile 80 Jahre alt. Er kommt immer noch regelmäßig hierher und nimmt sogar an Turnieren teil."
Pat und Denis sind um jeden Golfer froh, der sie besuchen kommt, nicht nur weil es sich um zahlende Gäste handelt. Nein, es sind die Auswärtigen, die den Locals immer wieder klarmachen, über welch unglaublichen Platz sie verfügen und wie traumhaft schön ihre Heimat ist. "Wenn man hier aufgewachsen ist und die Fahrt über die kleine Brücke nach Cruit Island das tägliche Brot ist, neigt man dazu, dies alles als normal an zusehen. Ab und zu braucht es eine kleine Erinnerung, wie gut wir es hier haben."
Natürlich ist das Design der Spielbahnen auf Cruit Island nicht so perfekt wie in Royal County Down, die Qualität der teilweise recht holprigen Grüns ist weit entfernt von der Perfektion in Adare Manor und die zahlreichen blinden Abschläge können labile Golferpsychen über die sprichwörtliche Klippe jagen. Doch selbst wenn der Birdie-Putt auf dem dritten Grün am Loch vorbeihoppelt oder auf Bahn 6 bereits der dritte Ball sein feuchtes Grab im Atlantik findet, kann man sich immer noch damit trösten, die Delfine, die sich in regelmäßigen Abständen dort unten im Wasser tummeln, beobachten zu können.
Obwohl uns bereits klar war, dass wir gerade unseren neuen Lieblingsort auf unserer persönlichen Golfweltkarte entdeckt hatten, als unser Mietwagen zum ersten Mal auf den Parkplatz von Cruit Island rollte, scheint Denis zum Ende unseres Besuchs noch nicht überzeugt zu sein, dass seine Heimat unsere Herzen längst erobert hat, und holt zu einem letzten Sales-Pitch aus: "Narin & Portnoo, Rosapenna, Murvagh, Portsalon, Ballyliffin - im Nordwesten Irlands gibt es eine Menge Weltklasse-Golfplätze. Cruit Island ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, aber ich würde schon sagen, dass es sich lohnt, unserem kleinen Platz einmal einen Besuch abzustatten." Das dürfte wohl die Untertreibung des Jahrhunderts sein.