Ohne auch nur eine Sekunde in jedwede Reiseplanung investiert zu haben, wird deshalb am Montag der Open- Championship-Woche in der GolfPunk-Redaktion die Idee geboren, doch noch ins Home of Golf zu fliegen und zwar auf die harte Tour. Um Mediaakkreditierungen zu betteln wäre sinnlos, denn bei verstrichenen Deadlines ist der R&A in etwa so flexibel wie die nordkoreanische Außenpolitik und ein schneller Check der noch verfügbaren Hotelzimmer in St. Andrews bringt Ernüchterung. Unter 600 Euro die Nacht ist nichts zu haben. Selbst feuchte, in temporäre Gästezimmer umgewandelte Geräteschuppen kosten während dieser Woche in der Stadt nicht weniger. Für Licht am Ende des Tunnels sorgt nur Easyjet: 150 Euro pro Person hin und zurück. Wir sind im Spiel und werden die Open Championship 2015 so erleben, wie sie auch der normale Golffan erlebt: ohne WLAN und mit langen Schlangen vor den Tribünen.
KALT UND FETTIG
Um den halsabschneiderischen Preisen für Unterkünfte aus dem Weg zu gehen, haben sich die englischen Kollegen zu einer drastischen Maßnahme entschieden und ihre Zelte - das ist in diesem Fall wörtlich gemeint - im Garten des GolfPunk Clubhouse in Herzen von St. Andrews aufgeschlagen. Herrschen Dürre wie in der Sahelzone (Hoylake 2006) oder hochsommerliche Gluthitze (Muirfield 2013), ist dies ein absolut probates Mittel; ein Blick auf die Wettervorhersage für die kommenden Tage lässt allerdings Böses erahnen.


»DER MAJESTÄTISCHEN STILLE, WÄHREND WOODS SEINEN BALL AUFTEET, FOLGT EIN UNGLÄUBIGES ,OOOHHHHHH!'«
An Loch zehn angekommen schimpft Ian Poulter wie ein Rohrspatz, weil ihn um ein Haar ein Abschlag vom neunten Tee am Kopf erwischt hätte. Nur Reflexe, die selbst Oliver Kahn stolz machen würden, verhindern eine Platzwunde. Auf dem Grün angekommen, hat sich der Engländer wieder beruhigt und locht zum ersten Birdie seiner Runde. Drei Flights weiter zurück nehmen Dustin Johnson und Jordan Spieth den Old Course nach allen Regeln der Kunst und doch auf vollkommen unterschiedliche Weisen auseinander. Während Spieth die zweite Halbzeit seiner Jagd nach dem Grand Slam mit chirurgischer Präzision angeht - kontrollierte Eisen vom Tee, präzise Schläge ins Grün und bombensichere Putts -, wählt Johnson die spektakuläre Route. Wo immer es Sinn macht, greift er zum Driver, lässt damit jeden Fairway- Bunker links liegen und hat bei seinen Schlägen in die riesigen Grüns kaum mehr als Wedges in der Hand. Diesen beiden Birdie-Maschinen ist an diesem Tag niemand gewachsen außer Zach Johnson, der am windigen Nachmittag eine sensationelle 66 ins Clubhaus bringt, mit seiner Strickmütze und der darüber gezwängten Sonnenbrille allerdings auch selten dämlich aussieht.

NOVEMBER
Morgens um 5:30 Uhr von prasselndem Regen auf einer Zeltplane geweckt zu werden zählt zu den unschönen Varianten, einen Tag zu beginnen. Auf dem Links angekommen erinnert das erste und 18 Fairway an diesem Morgen mehr an einen Swimmingpool als an einen Golfplatz. Es schüttet aus Kübeln, und da an Golf eine ganze Weile nicht zu denken ist, werfen wir alle guten Vorsätze über Bord und lungern so lange vor dem Eingang des Mediacenters herum, bis der Türsteher kurz abgelenkt ist, und schlüpfen unentdeckt hinein. Endlich Wärme und trockene Sitzgelegenheiten! Während wir uns an einem Full Scottish Breakfast abarbeiten, hat es sich Marcel Siem im Auto für ein Nickerchen gemütlich gemacht nachdem er nach nur zwei gespielten Schlägen wegen zu starken Regens wieder vom Platz geholt wurde. Aufgeweckt wird er leider erst wieder, 30 Minuten bevor das Turnier fortgesetzt wird, und spielt seine ersten Löcher dementsprechend neben der Spur. "Das geht auf meine Kappe und ich glaube leider nicht, dass ich den Cut schaffen werde", kommentiert er dieses Missgeschick später und wird damit Recht behalten.

Draußen auf dem Platz bestätigt sich der Eindruck, der sich gestern bereits einstellte. So grandios der Old Course auch ist, kann man ihn selbst spielen, als Zuschauer gibt es hier nicht viel zu sehen. Der einzigartigen Bauweise ist es geschuldet, dass jedes Loch nur von einer Seite aus eingesehen werden kann, und egal wo man auch hinkommt, ein paar Hundert andere Schaulustige hatten bereits dieselbe Idee, was es auf den Löchern 2 bis 16 schwer macht, einen freien Blick auf die besten Spieler der Welt zu erhaschen. Ganz im Gegensatz dazu allerdings die Löcher 1, 17 und 18. Riesige Tribünen haben das einzigartige Finish anführen von St. Andrews in ein Stadion verwandelt, dessen Atmosphäre mit nichts auf der Welt zu vergleichen ist. Die glücklichen Fans, die einen Tribünenplatz an der 17 ergattern konnten, schwanken den ganzen Tag zwischen sportlicher Fairness und dem Wunsch, spektakuläre Schläge vom Schotterweg hinter dem Road-Hole-Grün zu sehen. Meist gewinnt die Schadenfreude und jeder Ball, der in dieser misslichen Lage endet, wird freudig beklatscht. Man kann den Schotten aber an den Nasenspitzen ansehen, dass es ihnen an die Golferehre geht, schlechte Schläge zu bejubeln, und deshalb ist das Gejohle umso grösser, wenn sich ein Pro vor den Augen von etwa 8.000 Zuschauern aus diesem Gefängnis befreit.