Angelockt von der Mund-zu-Mund-Propaganda über Goat Hill und den Brawl, die seit Jahren selbst bis hin nach good old Germany schwappt, sowie natürlich von den unzähligen Instagram-Posts, die den wenige Tage zuvor stattgefundenen Wishbone Brawl 2022 feierten, statten wir Goat Hill Anfang Dezember einen Besuch ab. Es ist empfindlich kühl in Oceanside, Hoodie-Wetter. Eine Gruppe High-School-Kids, die entweder Schule schwänzen oder als Golfteam hier gerade Sportunterricht hat, puttet auf dem ersten Grün, und während wir im Pro-Shop das für eine oberflächlich betrachtet kleine Hackerwiese viel zu großartige Merchandise bewundern, fegt ein Greenkeeper vor der Tür die Spuren des vergangenen Abends rund um eine riesige Feuerstelle zusammen.
Selbst an einem verschlafenen Dienstagmorgen quillt der relaxte und unwiderstehliche Charme Südkaliforniens hier aus allen Ritzen. Doch warum haben Major-Sieger, Hollywood-Stars, Local Legends, Surf-Weltmeister, Skateboard- Helden und scheinbar die gesamte Golfszene zwischen Los Angeles und San Diego den schrulligen Par-65-Platz zu ihrem heiligen Ort erklärt? 18 Löcher Golf kosten während der Woche 42 Dollar und Jugendliche unter 17 Jahren können für sagenhafte zehn Dollar in Goat Hill auf die Runde gehen. Der finanzielle Aspekt mag die Kids vor uns erklären, doch warum hängen im Clubhaus Bilder von Bill Murray, Mark Wahlberg und Kelly Slater? Diese Kaliber hätten kein Problem, eine Startzeit in Torrey Pines zu bekommen, und jeder noch so exklusive Privatplatz der Gegend, sei es Riviera oder La Costa, würde diesen A-Listern einen roten Teppich ausrollen. Und doch lieben sie alle diese staubige, knapp 4.200 Meter kurze Wiese offenbar weit mehr als ihre zahlreichen Country-Club-Mitgliedschaften.
»DIE LOCALS HABEN FÜR DIESES PHÄNOMEN EINEN EIGENEN AUSDRUCK: 'YOU'VE BEEN GOATED!'«
Auf Loch 2, einem angsteinflößend langen Par 3 mit einem beinahe lachhaft kleinen Grün auf der Spitze eines massiven Hügels, zeigt die Ziege zum ersten Mal ihre Zähne. Fred Couples, ebenfalls ein Wishbone-Brawl-Veteran und Goat-Hill-Fan, übertrieb nicht, als er dieses Loch im vergangenen Jahr als das "schwierigste Par 3 in Südkalifornien" auserkor.
Landen in Goat Hill Bälle auf Fairways oder Grüns, heißt das angesichts der bewegten Topografie - das Hill im Namen kommt nicht von ungefähr - noch lange nicht, dass sie dort liegen bleiben. Die Locals haben für dieses Phänomen einen eigenen Ausdruck: "You've been goated!", lacht John Lamb, der vom nahe gelegenen zwölften Abschlag beobachten kann, wie unsere Bälle dem Grün von Bahn 5 zwar einen kurzen Besuch abstatten, wenige Augenblicke später aber in einem 15 Meter tiefen Tal der Tränen rechts des kurzen Par 3 zum Liegen kommen.
"Zum ersten Mal hier?", möchte er wissen und Johns Augen beginnen zu leuchten, als wir bejahen. "Wisst ihr was? Ich habe in meinem gesamten Leben noch nie einen anderen Golfplatz gespielt als diesen." John, 71 Jahre alt und mindestens so entspannt wie der Dude persönlich, hat unsere volle Aufmerksamkeit. "Ich stand mit sieben Jahren das erste Mal auf dem Skateboard, mit neun begann ich zu surfen, Golfschläger nahm ich aber erst 2016 zum ersten Mal in die Hand." Während wir die Gruppen nach uns durchspielen lassen, bekommen wir die komprimierte Version von Johns Lebensgeschichte - der Künstler und Produzent gewann 1979 einen Oscar für seine Animationen und war auch am nach eigenen Angaben "zweitbesten Surf-Film aller Zeiten" "Five Summer Stories" beteiligt, der beste sei und bleibe natürlich "Endless Summer" - sowie die bewegte Geschichte dieses Platzes serviert.
Nachdem die Anlage 1952 als öffentlicher Neunlochplatz unter dem Namen Center City Golf Course eröffnet hatte, erweiterte Ludwig Keehn sie in den 90ern auf 18 Bahnen, gab ihr den Namen Goat Hill und investierte so viel Herzblut, Schweiß und Tränen, dass sich der Golfplatz bei den Locals enormer Beliebtheit sicher sein konnte. Mit Keehns Tod 2004 begann ein langsamer, aber stetiger Abstieg. Herabgezogen von Missmanagement sowie nach dem Grundstück und Profiten lechzenden Immobilienentwicklern und Stadtverantwortlichen stand Goat Hill, mittlerweile nicht mehr als ein Dirt Course mit jeder Menge Felsen in den "Fairways", kurz vor der Schließung. "Obwohl John Ashworth bereits eine Zusage für sein Angebot, Goat Hill zu kaufen, von der Stadt erhalten hatte, überlegten es sich die Politiker im letzten Moment anders und wollten das Land an einen Investor verscherbeln, der ein Fußball-Leistungszentrum samt 8.000 Zuschauer fassendem Stadion bauen wollte. Zwei Meilen von hier gibt es bereits 21 Fußballfelder! Oceanside ist Surf-City und nicht Brasilien", echauffiert sich Lamb noch heute über das Beinahe-Ende seiner Golfheimat. Was folgte, war eine mittlerweile legendäre Gemeindeversammlung, in der sich 85 Einwohner von Oceanside lautstark Gehör verschafften. In einem Akt von Basisdemokratie sorgten sie dafür, dass Golfindustrie-Veteran John Ashworth, der mit Marken wie Ashworth, Fidra und Linksoul den Look des Sports in den letzten 30 Jahren maßgeblich prägte, Goat Hill kaufen und die Zukunft des Platzes somit auf lange Zeit sichern konnte. "Der Platz hing an lebenserhaltenden Maßnahmen", erklärte Ashworth damals "Golf Digest". "Wir wollten das Clubhaus und den Golfplatz herrichten und so nicht nur der Golfgemeinschaft von Oceanside, sondern allen Einwohnern hier einen echten Treffpunkt bieten." Gemeinsam mit vielen Golfern krempelte auch der neue Besitzer die Ärmel hoch und legte Hand an. 2015 bekam Goat Hill ein neues Bewässerungssystem und seither sind Fairways ohne Gras ein Ärgernis aus brauner Vorzeit.
Mittlerweile sind so viele Golfer an uns vorbeigezogen, dass wir nach neun Löchern eine Mittagspause einlegen. John Ashworth, der sonst jeden Tag hier anzutreffen und immer für ein Schwätzchen zu haben ist, muss sich heute leider um eines seiner zahlreichen Unternehmen abseits vom Herzensprojekt Goat Hill kümmern. Es bleibt daher noch Zeit für das riesige Wandgemälde, das der andere John gerade am Eingang der Anlage entstehen lässt. "Als Vorlage habe ich Bilder eines irischen Links-Platzes namens Lahinch ausgewählt", erzählt er uns zum Abschied. "Nicht nur ist Lahinch der Schwesterplatz von Goat Hill und hat ebenfalls eine Ziege als Maskottchen im Logo, er befindet sich auch direkt am besten Surf-Spot Irlands."
Sechs Wochen später treffen wir John Ashworth, dessen Visitenkarte ihn nicht als "Owner", sondern als "Caretaker" von Goat Hill ausgibt, endlich am Stand von Linksoul auf der Golfmesse in Orlando. Obwohl hier die Orders seines Mode-Labels für das gesamte kommende Jahr geschrieben werden, findet er Zeit, über sein Baby Goat Hill zu sprechen und darüber zu sinnieren, warum sich ein ehemaliger Dirt Course zu einem echten Magneten für Anfänger, Tour-Pros, Locals und Hollywood-Größen entwickelt hat: "Unser Motto lautet ,World Class/Working Class'. Wir können die Erfahrungen so vieler Golfer und Fans von Goat Hill nutzen und so eine entspannte und integrative Atmosphäre schaffen. Jeder ist willkommen, vom Anfänger bis zum Tourspieler, egal ob drei oder 103 Jahre alt. Jedes Geschlecht, jede Ethnie, jede Religion ist willkommen und wird mit dem gleichen Respekt behandelt. Wir haben einen Dreiloch-Kinderplatz namens ,Playground' gebaut, auf dem Kinder und ihre Eltern kostenlos spielen können. Wir sind hundefreundlich, haben keine Kleiderordnung und rund um das Clubhaus läuft immer gute Musik."
Goat Hill ist nicht nur ein Golfplatz. Die Anlage ist ein Treffpunkt für Golf-Enthusiasten aller Arten, ein Vibe. Olympiasieger Xander Schauffele stellt klar, dass der Wishbone Brawl jedes Jahr so unverrückbar in seinem Kalender steht wie die Major-Turniere, und nicht zuletzt deshalb sollte Goat Hill auch einen festen Platz auf dem Reiseplan jedes Kalifornien-Besuchers mit Golfgepäck haben. Pebble Beach und Torrey Pines? Schön! Goat Hill? Einzigartig!