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Matt Ginella (l.), Martin Borgmeier (r.)

Längen-Debatte

Wer hat Angst vorm weißen Ball?

Von Jan Langenbein

Seit R&A und USGA bekannt gegeben haben, der angeblich aus den Fugen geratenen Längenjagd bei ihren Turnieren mit einem gedrosselten Ball zu Leibe rücken zu wollen, werden emotionale Diskussionen über Sinn und Unsinn eines solchen Schritts geführt. Diese vier Meinungen aus den unterschiedlichsten Winkeln der Golfwelt verdeutlichen, wie weit die Standpunkte gestreut sind.

MATT GINELLA

JOURNALIST @ THE FIRE PIT COLLECTIVE
Auch wenn das Thema Einheitsball eine Steilvorlage für Überreaktionen oder reißerische Kolumnen ist, versuche ich doch, mir Mühe zu geben, den Schritt der USGA rational zu kommentieren. Schließlich bin ich Amateur-Golfer und wir haben es hier mit einer Maßnahme zu tun, die ein Prozent der ohnehin nur ein Prozent aller Golfer betrifft - nämlich die Tour-Pros, die extrem schnell schwingen, mit modernem Equipment enorme Geschwindigkeiten erzeugen und diese Fähigkeiten auf Golfplätzen zur Schau stellen, die wir Woche für Woche im Fernsehen sehen können. So viel steht fest: Dieser Schritt betrifft nur den Golfsport, den wir im TV verfolgen.

Ja, Cam Smith gewann die Open 2022 mit 20 unter Par und nahm den heiligen Old Course buchstäblich auseinander, aber er gewann dank seines kurzen Spiels und nicht aufgrund langer Drives. Cams Chippen und Putten war während der gesamten Woche phänomenal. Bei Scottie Schefflers Sieg in Augusta war es dasselbe. Was bleibt uns vom Masters 2022 in Erinnerung? Scotties Chip-in auf der 3 und nicht die Frage, welchen Schläger er für den zweiten Schlag auf Loch 15 in der Hand hatte.

Warum wird trotzdem nur über den Ball gesprochen? Und noch viel wichtiger: warum um Gottes willen gerade jetzt? Während sich Profi-Golf mitten in einem riesigen Shitstorm befindet, sollte man meiner Meinung nach zu erst die drohende Spaltung klären, bevor über eine Maßnahme debattiert wird, die erst 2026 in Kraft tritt. Dazu kommt, dass Statistiken belegen, dass seit 2004 tatsächlich eine Abschwächung der Längenjagd auf der Tour zu beobachten ist. Austragungsorte großer Turniere haben sich angepasst, Augusta hat jede Menge Land gekauft, um notwendige Veränderungen am Platz vorzunehmen und das 13. Loch wieder relevant zu machen.

Diese ganze Sache betrifft also nur einige wenige Löcher, Plätze und Spieler. Warum können sich die USGA, der R&A, die Tour und die Spieler nicht hinter verschlossenen Türen zusammensetzen und eine gemeinsame Lösung ausarbeiten? Warum uns, die Fans, damit belasten? Die Tour muss sich den Vorgaben von USGA und R&A schließlich anpassen, denn ein Alleingang dieser beiden und damit de facto unterschiedliche Bälle bei verschiedenen Turnieren wären ein noch größeres Chaos. Warum nicht die Fairways weniger kurz mähen? Im Moment können wir Woche für Woche 20 und mehr Meter Roll beobachten. Das ist meiner Meinung nach ein ebenso großes Problem wie Schwunggeschwindigkeiten und Carry-Distanzen. Warum sprechen wir darüber hinaus nicht auch über Loftwerte von Drivern? Ich bin der Meinung, dass eine Lösung zu einem komplexen Problem wie dem der zu großen Längen im Profigolf nicht allein im Limitieren des Balls, sondern in einer Kombination verschiedener Maßnahmen liegt.

Einigen wir uns doch lieber darauf, dass Cam Smith bei der Open etwas ganz Außergewöhnliches gelungen ist und er uns eine Kurzspiel-Show geliefert hat, die es zu bejubeln gilt und nicht als Anlass dienen sollte, einen technischen Rückschritt zu fordern.

MARTIN BORGMEIER

LONG-DRIVE-WELTMEISTER 2022
Eines vorweg: Da bei Long-Drive-Events alle mit demselben Einheitsball an den Start gehen, haben wir Longhitter das Problem, das sich nun für die Kollegen auf der Tour abzeichnet, zum Glück nicht. In unserem Fall ist der Bridgestone E9 Long Drive mit einer Kompression von 90 vorgeschrieben. Bei Schwunggeschwindigkeiten, wie wir sie generieren, potenzieren sich Unterschiede zwischen verschiedenen Bällen natürlich noch. Würde ich im Wettkampf mit einem dieser äußerst weichen Wilson-Bälle mit einer Kompression von 27 antreten und dessen Ergebnisse mit einer extrem harten Kugel wie einem Titleist Pro V1 Left Dash vergleichen, läge zwischen den beiden Bällen bei derselben Schlägerkopfgeschwindigkeit ein Unterschied von etwa 25 Meilen Ballgeschwindigkeit oder 50 bis 70 Metern weniger Schlagweite - schlicht weil der weiche Ball nicht für derartige Geschwindigkeiten entwickelt wurde. Generell kann man den Ball bei uns Long Drivern mit den Reifen in der Formel 1 vergleichen. Der dickste Motor und der beste Fahrer nützen wenig, wenn die Kraft nicht auf die Straße oder in unserem Fall auf den Ball übertragen wird. Ich würde am liebsten mit einem Ball mit einer Kompression von 110 spielen, aber das geht bei unseren Wettkämpfen aufgrund des Einheitsballs nun mal nicht. Ich muss also lernen, mit einem Ball umzugehen, der eigentlich nicht optimal für meine Schlägerkopfgeschwindigkeit ist. Egal ob Long Driver oder Tour-Pro, die Wahl des Balls ist eine enorm wichtige und individuelle Sache. Daher bin ich der Meinung, dass der Schritt der USGA und des R&A, gedrosselte Einheitsbälle anzubieten, eine absolute Katastrophe ist, die zu nichts Gutem führen wird. Nach bisherigen Richtlinien darf ein Ball unter bestimmten Abflugparametern bei 120 mph Schlägerkopfgeschwindigkeit maximal 317 Yards weit fliegen. Ab 2026 sollen dann 127 mph Club Head Speed zu denselben 317 Yards Carry-Länge führen. Noch haben wir - und, ich glaube, auch die Hersteller - keine Ahnung, wie mit solchen Vorgaben umgegangen werden soll. Werden die Bälle ballistisch verändert? Oder aerodynamisch? Oder vielleicht sogar größer? Fakt ist nur: Selbst nach Einführung eines Einheitsballs bleiben die Longhitter mit Sicherheit Longhitter und die Abstände zu den kürzeren Spielern bleiben dieselben. Bei gleich langen Plätzen werden die Longhitter dann zwar längere Schläger ins Grün benutzen müssen, die kürzeren Spieler aber noch längere Schläger, was wiederum die Longhitter eher bevorteilt. Ein Einheitsball sorgt also meiner Meinung nach eher zu noch mehr Wettbewerbsverzerrung als zu einer Lösung des Problems. Speed ist eine Fähigkeit, die man sich als Golfer und Athlet erarbeitet hat, und wer es mit hoher Schlägerkopfgeschwindigkeit schafft, die Schlagfläche square an den Ball zu bekommen, der soll meiner Meinung mit einem guten Score belohnt werden.

Auch was den Schutz der zu kurz werdenden Traditionsplätze angeht, bin ich nicht der Meinung, dass dies am Equipment liegt. Wir können jede Woche im Fernsehen unglaublich harte Fairways mit Monster-Rollout beobachten. Das treibt die Driving-Statistiken nach oben und wird mit einem limitierten Ball keineswegs verhindert. Größere Nachteile beim Abschlag ins Rough würden viele Spieler zweimal überlegen lassen, überall sofort zum Driver zu greifen. Ich sehe in den immer weiteren Drive-Längen deshalb kein Problem bei den Bällen, sondern ein Potenzial, das Spiel schwieriger zu machen. Valderrama zählt, was das Scoring angeht, zu den schwierigsten Plätzen der DP World Tour - und dieser Platz ist alles andere als lang.

Längen-Debatte:

ANGELA MOSER

GOLFPLATZARCHITEKTIN
Aus architektonischer Sicht haben wir in den vergangenen Jahren beobachten können, wie Profispieler einige der weltweit besten Golfplätze regelrecht auseinandernehmen. Immer wieder werden Plätze verlängert, um mit den heutigen Längen der Profis mitzuhalten oder Hindernisse, die irrelevant wurden, wieder zurück ins Spiel zu bringen. Während die Plätze des Hickory-Zeitalters (240-Meter-Drives) meist um die 6.500 Meter lang waren, mussten diese mit der Einführung von Stahlschäften bereits auf 7.000 Meter verlängert werden. Das blieb der Standard bis zur Tiger-Ära, die mit dem modernen zweiteiligen Ball, Graphitschäften und Driver-Köpfen eine neue Zeitrechnung einläuteten. Hindernisse, die früher eine Rolle spielten, sind in der Ära der Spitzenspieler, die den Ball routinemäßig 270 Meter weit schlagen, überflüssig geworden. Bryson DeChambeau hat einen Durchschnittswert von über 320 Yards und mehr als 60 Spieler auf der US-Tour haben einen Durchschnitt von 300 Yards oder mehr. Der Golfsport ist ganz klar an eine Grenze gestoßen. Profi-Golfer können ohne großartige Herausforderung die Hindernisse eines Platzes einfach überspielen und haben oft nicht mehr die langen Schläge in die dementsprechend ausgelegten Grüns. Die Strategie dieser Bahnen ist komplett verloren gegangen. Während die Neubauten immer länger werden - wir sehen bereits Plätze mit über 8.000 Metern Gesamtdistanz - und sich an den neuen Längenrealitäten orientieren, muss bei den historisch alten Plätzen eine Entscheidung getroffen werden. Entweder werden Plätze wie der Old Course, Muirfield, LACC, Winged Foot und Augusta komplett aus dem Tourkalender gestrichen oder man einigt sich auf die Einführung eines längenreduzierten Balls. Dieser kommt nur auf den alten Meisterschaftsplätzen zum Einsatz, sodass diese etwas von ihrem ursprünglichen Charakter und der Herausforderung zurückerlangen.

Längen-Debatte:

BERNHARD LANGER

114-FACHER PROFITURNIERSIEGER
Die Faszination des Golfsports liegt nicht zuletzt darin, dass der Ball so weit fliegt. Es macht Amateuren Spaß, wenn sie ihre Bälle weit schlagen; auch wir Profis haben natürlich großen Spaß daran, lange Drives zu schlagen. Zuschauer bei Turnieren finden es ebenfalls großartig, wenn Drives mehr als 300 Meter weit fliegen, weil sie das selbst nicht zustande bringen. Das große Problem, das dadurch entsteht, ist jedoch, dass großartige Golfplätze, die früher gebaut worden sind, für Profis oder für sehr gute Amateure mittlerweile schlicht zu kurz und damit weniger interessant zu spielen sind. Ein großes Problem des vorgeschlagenen Einheitsballs bei den Major-Turnieren ist allerdings die Tatsache, dass die großen Golfballhersteller über Jahrzehnte sehr viel Geld in die Entwicklung des modernen Balls gesteckt haben. Nun müssen sie einen Ball wohl nur für uns etwa 1.000 Profigolfer oder die wenigen Spitzenamateure entwickeln und herstellen. Hobbygolfer spielen dann mit anderen Bällen als wir. Diese Teilung gab es im Golfsport bisher nicht. Profis wie Amateure, alle hatten immer die gleiche Regeln, ganz egal ob es um Strafschläge, Free Drops oder eben auch das Equipment ging. Sollte es damit vorbei sein, wäre das meiner Meinung nach ein eklatanter Bruch mit der Tradition, die den Golfsport bisher ausgemacht hat. Die technische Weiterentwicklung des Balls, der Schäfte und der Schläger hat allen geholfen - den Profis, den Amateuren, den Jungen, den Alten. Wir sind alle länger geworden. Golf ist ohne Zweifel einfacher geworden, aber immer noch alles andere als leicht. Auch ich kann moderne Driver heute viel gerader schlagen als früher die Hölzer, die ja tatsächlich aus Holz waren. Ob man diese positive Entwicklung wirklich bremsen sollte? Wahrscheinlich braucht es nun erst einmal sechs bis neun Monate, damit alle Beteiligten verstehen können, was der R&A und die USGA mit diesen neuen Vorschriften überhaupt bezwecken wollen.

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