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Restalkohol-Problem: Wenn man auf dem Tee die Fahne doppelt sieht

Old Course Reversed – Teil 2

Umgekehrt wird ein Clou draus

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Rüdiger Meyer, Mike Meyer, Getty Images, PR

Tatsächlich spielen sich die Bahnen zwei bis sechs gar nicht so anders, lediglich die Winkel ins Grün und die Positionen der anzuspielenden Fahnen bedeuten eine Umstellung. Deutlich kniffliger als das Routing gestalten sich aber die äußeren Umstände. Weil der Wind von rechts peitscht, ist die plötzlich auf der linken Seite lauernde Ausgrenze eine echte Gefahr. Das Resultat: Alle zielen ihre Drives weit nach rechts, wodurch wir im Fairway öfter Bällen ausweichen müssen als Touristen in Berlin Taubenkot.

Der spektakulärste Teil der Runde kommt anschließend an einer Stelle des Platzes, die im herkömmlichen Routing eher unter dem Radar läuft. Gespielt vom normalen 13. Tee auf die Fahne der 11 führt unser siebtes Fairway bergauf über eine Kollektion von Bunkern in Richtung des 200 Meter entfernten Admiral's Bunker. Doch die größte Herausforderung ist der Schlag ins erhöhte Grün, der direkt über den teuflischen Hill Bunker führt - eigentlich die seitliche Verteidigung des Par 3. Und dann die Krönung: Normalerweise spielt man vom Abschlag der 14 am River Eden entlang, doch wir müssen uns 90 Grad drehen, um über das vorherige Grün auf eine gut 170 Meter entfernte Fahne zu spielen. Ein Loch, das man ohne Übertreibung als bestes Par 3 bezeichnen kann, das St. Andrews zu bieten hat. Auch weil ich von hier aus etwas zu sehen bekomme, was mir zuvor nie aufgefallen ist: ein kleiner Topfbunker, der sonst nur ins Spiel käme, wenn jemand den Schlag ins zehnte Grün brutal toppte.

Old Course Reversed:
Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal auf der Runde, dass ich plötzlich die Platzierung von Bunkern verstehe, die mir auf meinen bisherigen normalen Runden ein Rätsel geblieben sind. An vielen Ecken des Old Course stolpert man über kleine Topfbunker, die nur wenige Meter hinter der Teebox oder so weit ab vom Schuss liegen, dass sie eigentlich nie ins Spiel kommen. Als ich den Old Course reversed spiele, sind sie plötzlich jedoch Hindernisse, die ich in die Kalkulation einbeziehen muss. Und noch etwas Unvorhergesehenes kommt ins Spiel. "Die Back Nine sind kniffliger aufgrund des Rough und der Ginsterbüsche", analysiert Richie Ramsay. In der regulären Lochabfolge kommen die hinter einigen Grüns wuchernden Büsche nicht ins Spiel; doch gespiegelt sind sie ein ernst zu nehmendes Problem, weil sie beim Schlag ins Grün hoch überwunden werden müssen. Etwas, was eigentlich gegen die Charakteristik des Old Course spricht, der darauf ausgelegt ist, dass man immer die Option hat, die Grüns flach anzuspielen. Dessen ist sich auch der St. Andrews Links Trust bewusst. Da sich das Old Course Reversed Event als großer Erfolg erwiesen hat, soll es in Zukunft jedes Jahr ausgetragen werden - und in dem Zuge werden die Grünkomplexe möglicherweise so verändert, dass es zu allen Seiten größere, ausgemähte Run-off-Areas und keine Ginsterbüsche gibt. Sogar neue Teeboxen sind eine Option, da an einigen Stellen von provisorischen Tees abgeschlagen wurde.

Doch wie schwierig spielt sich das auf der Scorekarte mehrere Hundert Meter kürzere Rückwärts-Routing? An einem Tag, wie ich ihn erwische, absolut brutal. Aber eine Runde bei Sturm und Regen ist sicher kein Maßstab - und als jemand, der den Old Course zuvor erst dreimal gespielt hat, bin ich keine Autorität in diesem Punkt. Anders Richie Ramsay, der 2007 die erste Amateur-Weltrangliste anführte und den Old Course nach eigenen Schätzungen 18-mal gespielt hat: "Ich denke, zu Beginn würde das umgedrehte Routing höhere Ergebnisse provozieren, aber mit der Zeit würde es sich angleichen", lautet sein Fazit. "Wir Spieler wissen mittlerweile genau, wo unsere Linie von den Abschlägen ist und wie wir die Wellen nutzen können, um den Ball zur Fahne rollen zu lassen. Aber rückwärts gespielt müsste man sich dieses Wissen erst wieder aneignen."

Umgekehrt wird ein Clou drausUmgekehrt wird ein Clou draus:
Für Ramsay wäre es ein Traum, wenn 140 Jahre nach der versehentlich spiegelverkehrten Amateur Championship wieder ein großes Turnier auf das in Vergessenheit geratene Routing zurückgreifen würde - auch wenn sich dies heutzutage logistisch nicht ganz einfach gestalten dürfte. "Es würde schwierig sein, am Donnerstag rückwärts und am Freitag normal zu spielen, weil man das Turnier für alle fair gestalten müsste. Aber es wäre fantastisch, ein Turnier zu spielen, bei dem man zwei Runden in eine und zwei in die andere Richtung spielen würde."

Um genau das nachzuempfinden, stehe ich am nächsten Tag erneut auf dem ersten Abschlag vor dem R&A-Clubhaus - dieses Mal jedoch, um den Old Course in die altbekannte Richtung zu spielen. Mit dem Wissen vom Vortag im Hinterkopf sehe ich die Bahnen mit völlig neuen Augen und lerne die strategischen Überlegungen, die in den Bau des Platzes eingeflossen sind, noch mehr zu schätzen. Das Erstaunliche ist jedoch, dass ich mich mehrfach an fast der identischen Stelle wiederfinde, an der mein Ball auch am Tag zuvor gelegen hat - nur dass ich diesmal eine Fahne anspielen muss, die 40 Meter entfernt auf der anderen Seite des Doppelgrüns steht. Und dass ich sowohl vorwärts als auch rückwärts gespielt in den Hell Bunker hinabsteigen muss und mit einem der vielleicht anspruchsvollsten Bunkerschläge im Golfsport konfrontiert werde, spricht dafür, mit wie viel Voraussicht Old Tom Morris den Platz einst konzipiert hat - solange die Hindernisse nicht von Profis aus dem Spiel genommen werden, die ihre Bälle dank modernen Equipments über 300 Meter weit prügeln können.

Old Course Reversed: Vorsicht auf der 2: Auf dem Road Hole kommt Ihnen ein Geistergolfer entgegen
Vorsicht auf der 2: Auf dem Road Hole kommt Ihnen ein Geistergolfer entgegen
Doch mein größter Lerneffekt kommt, als ich auf dem Abschlag des Road Hole stehe und mein Caddie mir wie jedes Mal sagt, ich soll über den grünen Eisenbahnschuppen zielen. In den Jahren zuvor habe ich diese Anweisung entweder bewusst ignoriert oder unbewusst die Angsthasen-Option gewählt. Doch nach meinem Erlebnis vom Vortag ist die Angst plötzlich Selbstbewusstsein gewichen. Als ich sehe, wie mein Drive im hohen Bogen auf der Ideallinie fliegt, und ich zum ersten Mal den Schlag ins 17. Grün vom Fairway aus spielen kann, freue ich mich, dass ich mein Old-Course-Trauma ein für alle Mal abgelegt habe. In Wirklichkeit habe ich es jedoch nur verschoben, denn fünf Minuten später finde ich mich im Road-Hole-Bunker wieder und stelle mich an wie Tommy Nakajima. Vielleicht hätte ich den Ball doch besser rückwärts rausspielen sollen ...

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