Was war passiert? Seit 2019 kursieren Gerüchte über eine dritte große Golfliga neben der PGA Tour und der mittlerweile DP World Tour getauften European Tour. Als Greg Norman zum CEO der für die Super Golf League verantwortlichen LIV Golf Investments wurde, begann er damit, Spitzengolfer abzuwerben, unter anderem Phil Mickelson. Der 51-Jährige war ein dankbares Ziel, hatte er doch einen Streit mit der PGA Tour vom Zaun gebrochen, die er bezichtigte, auf "digitalem Vermögen von rund 20 Milliarden Dollar" zu sitzen, die sie den Spielern vorenthalte. Eine Summe, von der sich niemand erklären kann, woher sie stammt. Allerdings wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass Mickelson an illegale Insider-Informationen gekommen ist. Erzürnt über diese Ungerechtigkeit heuerte der amtierende PGA Champion gemeinsam mit drei nicht näher benannten Kollegen Anwälte an, die das Regelwerk für die neue Super Golf League in seinem Sinne ausarbeiten sollten. Nicht nur ein Affront erster Güte, der für mächtig Wirbel sorgte, als er öffentlich wurde, sondern auch ein Verstoß gegen die Satzung der PGA Tour, den man als Hochverrat bezeichnen könnte und der empfindliche Strafen nach sich ziehen kann.
Als "gescheiterten Putschversuch" bezeichnete ein anonymer Profikollege die Aktion gegenüber ESPN. Eine Entschuldigung Mickelsons war logisch, das Interessante war jedoch der Adressat: Die PGA Tour erwähnte der sechsfache Major-Sieger mit keinem Wort. Stattdessen kroch Mickelson vor den Saudis zu Kreuze, nachdem er in einem Telefonat mit Golfjournalist Alan Shipnuck bereits im November vergangenen Jahres kein Blatt vor den Mund genommen hatte. "Sie sind ,scary motherfuckers'. Sie haben Khashoggi umgebracht und eine grausame Menschenrechtsbilanz. Da drüben lassen sie Menschen hinrichten, nur weil sie homosexuell sind", kritisierte ausgerechnet der Mann, der abseits des Golfplatzes noch nie in Verdacht stand, links zu sein. Doch warum ignoriert er diese seit Jahrzehnten bekannten Tatsachen dann so geflissentlich? "Weil dies eine einmalige Gelegenheit ist, um die PGA Tour zu verändern."
»Ich möchte natürlich niemanden treten, der am Boden liegt, aber ich denke, Phils Aussagen waren naiv, egoistisch, ignorant. Es gibt viele Worte, um die Interaktion zu beschreiben, die er mit Shipnuck hatte. Es ist einfach sehr überraschend und enttäuschend - traurig.
RORY MCILROY«
So verwerflich die Gier von Mickelson ist, der auf der PGA Tour 95 Millionen Dollar Preisgeld gemacht hat, so scheinheilig ist allerdings auch die Reaktion der Golfwelt auf die Pläne aus dem Nahen Osten. Die Super Golf League, deren Name wohl analog zu Red Bull, pardon, RasenBallsport Leipzig nur gewählt wurde, damit sich das Akronym SGL im Sprachgebrauch zu Saudi Golf League verselbstständigt, ist ein Unterfangen des saudi-arabischen Public Investment Fund (PIF). Der von Kronprinz Mohammed bin Salman kontrollierte Staatsfond ist mit einem Vermögen von mehr als 450 Milliarden Euro ausgestattet und hat die selbst gesetzte Mission, die Wirtschaft des Landes zu diversifizieren. Zugleich ist der PIF aber auch ein Haupttreiber des sogenannten Sportswashing - ein Versuch, das Image des eigenen Landes durch die Investition in Sport und damit verbundene positive Berichterstattung aufzupäppeln. Zusätzlich zu Wrestling- und Motorsportveranstaltungen in Saudi-Arabien erwarb der PIF 2021 den Premier-League- Club Newcastle United. Als jüngstes Ziel wurde Anfang des Jahres der italienische Traditionsclub Inter Mailand ausgemacht. Auch im Golfsport haben die Saudis schon länger aufgesattelt - und als Steigbügelhalter fungierte ausgerechnet die European Tour.
2019 nahm Keith Pelley, der Mann, der gerade zusammen mit seinem PGA-Tour-Kollegen Jay Monahan eine Gegenoffensive gegen die Super Golf League startet, das Saudi International in den Spielplan auf. Angelockt von Antrittsgeldern traten Stars wie Ian Poulter, Brooks Koepka, Justin Rose, Henrik Stenson, Sergio García, Bryson DeChambeau und der spätere Sieger Dustin Johnson auf dem Royal Greens Golf & Country Club an. "Ich finde es unglaublich, was die European Tour und Saudi-Arabien tun", lobte DeChambeau die Veranstaltung, während Pelley von blühenden Landschaften träumte: "Wir glauben, dass wir dem Land bei seiner Entwicklung helfen werden".
Dass der Schirmherr der Veranstaltung Kronprinz Mohammed bin Salman laut US-Geheimdiensten 121 Tage vor dem Turnier den Mord an dem "Washington Post"-Journalisten Jamal Khashoggi absegnete, scherte den European-Tour-Chef wenig. Lieber soll eine kritische Stimme zersägt und in Säure aufgelöst werden als der eigene Profit. Erst als die Saudis mit der Asian Tour anbandelten und somit eine ernsthafte Gefahr für die etablierten Touren darstellten, formierte sich Widerstand gegen das Event.
Diese Scheinheiligkeit hat beinahe schon Tradition auf den professionellen Touren. 1989 ging die European Tour erstmals in die Vereinigten Arabischen Emirate, die damals im jährlich erstellten "Freedom in the World"-Ranking auf der zweitschlechtesten Stufe landeten und das Label "Unterdrücker" verpasst bekamen. 1998 kam Katar dazu, dessen Menschenrechtsverletzungen nicht erst seit der umstrittenen Vergabe der Fußball-WM bekannt sind. Und ein Jahr vor Saudi-Arabien besuchte Europas Golfelite den Oman, der 2018 im Demokratie-Index des "Economist" auf Platz 140 unter 167 Nationen landete. Dank ihrer stärkeren finanziellen Grundlage sind solche umstrittenen Auslandsausflüge für die PGA Tour weniger häufig. Die Tatsache, dass sie bis 1990 in Clubs spielen ließ, die Frauen oder Schwarze nicht als Mitglieder akzeptierten, ist allerdings ebenfalls kein Ruhmesblatt für moralische Erhabenheit.
Nun ist es keine Neuigkeit, dass Sportler die moralischen Verfehlungen ihrer Verbände ausbaden müssen. Bei Profi-Golfern, die sich selber gerne als selbstständige Unternehmer kennzeichnen, sieht die Sache jedoch etwas anders aus als bei Olympioniken, deren Lebensunterhalt von einer Teilnahme in Peking abhängt. Wer im Februar aus moralischen Gründen auf eine Teilnahme in Saudi-Arabien verzichtet hätte, hätte beispielsweise zeitgleich beim Pebble Beach Pro-Am um schlappe 8,7 Millionen Dollar spielen können. Der einzige Unterschied: Beim Saudi International reicht es für den Zahltag, am ersten Tee zu grinsen. Auf der PGA Tour wird die Leistung belohnt.
Und so geht es beim Kräftemessen zwischen Phil Mickelson und der PGA Tour in Wirklichkeit um die Frage, wie groß die Kluft zwischen Arm und Reich sein soll. Mickelson, der einst unumwunden zugab, dass er einen Großteil seines Vermögens der Popularität von Tiger Woods verdankt, ist der Meinung, dass er als Zugpferd garantierte Zahlungen verdient, wie sie bei den Scheichs im Nahen Osten zu bekommen sind. Dass Phils Popularität erst durch die Erfolge auf der PGA Tour entstanden ist und sich bereits in lukrativen Sponsorenverträgen niedergeschlagen hat, scheint dem aus Steuergründen nach Florida Geflüchteten (geschätztes Vermögen: 400 Millionen Dollar) nicht genug zu sein.
Auslöser für seine Tirade gegenüber Alan Shipnuck soll dabei das Thema der Non-Fun-gible Tokens (NFT) gewesen sein. Im Dezember kündigte die PGA Tour an, in den Markt der auf der Blockchain-Technologie beruhenden Tokens einzusteigen, mit denen auch digitale Sport-Highlights als Unikate erworben werden können. Die NBA schüttet die fünf Prozent Transaktionsgebühr für jedes der - teilweise Hunderttausende Dollar wertvollen - digitalen Highlights zu gleichen Teilen an jeden Spieler der Basketball-Liga aus. Mickelson stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass derjenige, der die Schläge gemacht hat, auch Anrecht auf die Einnahmen hat.
"Die Tour gibt gerne vor, eine Demokratie zu sein, aber in Wirklichkeit ist sie eine Diktatur", wütete Mickelson, kurz bevor er in der Vorzeige-Demokratie Saudi-Arabien abschlug. Dieser beispiellose Akt der Selbstbereicherung scheint ihm jetzt zum Verhängnis zu werden. Zumindest bröckelt die Unterstützung bei den Kollegen auf der PGA Tour gehörig, wie die Aussagen von Rory McIlroy und Co. beweisen. "Ein Freund von mir hat in einem Jahr 22.000 Dollar Preisgeld verdient. Am Ende des Jahres war er mit 90.000 Dollar in den roten Zahlen", illustrierte Pat Perez zu dem die Probleme eines durchschnittlichen Tourprofis. Und so ist der Kernkonflikt der PGA Tour derselbe, wie es ihn im Senat zwischen Republikanern und Demokraten gibt. Die einen sind dafür, dass die Reichen immer reicher werden, die anderen fordern eine gewisse Lebensgrundlage für alle.
Ironischerweise könnte ausgerechnet Phil Mickelson dafür gesorgt haben, dass Letztere die Profiteure dieses Konflikts werden. Durch seine Hybris steht jeder, der mit dem Gedanken spielt, der Super Golf League beizutreten, jetzt im Auge des Hurrikans. Dustin Johnson und Bryson DeChambeau, die schon als Zugpferde der Alternativtour gehandelt wurden, bekundeten hastig ihre Loyalität zur PGA Tour, um nicht auch davongewirbelt zu werden. Das verschafft der DP World Tour und der PGA Tour zumindest Zeit, um sich die nächsten Schritte zu überlegen, denn die Super Golf League gibt sich noch nicht geschlagen. "Das ist erst der Anfang", drohte Greg Norman seinem US-Kollegen Jay Monahan, der für alle abwanderungswilligen Spieler eine Sperre verkündete. "Wenn Sie Spieler einschüchtern und bedrohen, gehen Sie zu weit und verstoßen dabei sehr wahrscheinlich gegen das Gesetz."
Ob die ersten Sperren bereits ausgesprochen wurden, hält die in diesem Punkt sehr zurückhaltende PGA Tour wie immer geheim. Phil Mickelson zumindest verkündete, erst einmal eine verdächtige Pause auf unbestimmte Zeit einzulegen.