Auch im Golf gab es in den letzten zwei Jahrzehnten eine technische Revolution, die die Herangehensweise der Besten der Welt an das Spiel spürbar veränderte, und ich meine selbstverständlich nicht die mittlerweile auf Eis liegende "Tiger Woods"- bzw. "Rory McIlroy"-Videospielserie, die ebenfalls aus dem Hause EA Sports stammt, denn sie reicht in puncto Gameplay und Realismus bei Weitem nicht an das Fußballvorbild heran. In unserem Sport waren es grandiose Techniklösungen wie der TrackMan und ShotLink anstelle von Spielekonsolen, die den Sport auf ihre eigene Art und Weise grundlegend veränderten.
»377 METER MIT DEM DRIVER? DANKE, DUSTIN, FÜR DIESEN BOMBENANSCHLAG AUF MEIN SELBSTWERTGEFÜHL! DA ICH MEINE SCHLAGLÄNGEN NUN GENAU KENNE, WEIß ICH, DASS ICH NACH MEINEM BESTEN ABSCHLAG DER LETZTEN ZWEI WOCHEN NOCH EIN GUTES EISEN 9 DRANHÄNGEN MÜSSTE, UM DORT ZU ENDEN, WO DEIN ABSCHLAG ZUM LIEGEN GEKOMMEN IST.«
NERD-REVOLUTION
ShotLink ist das System, mit dem auf jedem PGA-Tour-Event die statistischen Daten jedes einzelnen gespielten Schlags aufgezeichnet und ausgewertet werden. Begonnen hat diese technische Revolution auf der Tour 1983, als zum ersten Mal elektronische Scoreboards die manuellen Anzeigetafeln, wie wir sie heute noch beim Masters sehen können, ablösten. Damals wurden die Daten noch analog, also mit Block und Kugelschreiber, gesammelt und erst später elektronisch verarbeitet, doch bereits 1987 wurde auch dieser Prozess Schritt für Schritt digitalisiert. Heute sind bei einem regulären PGA-Tour-Turnier im Schnitt 350 freiwillige Helfer im Einsatz, die jeden geschlagenen Ball verfolgen, per GPS-Gerät markieren und es somit nicht nur möglich machen, dass Golf-Fans in aller Welt auf der Website der PGA Tour in Echtzeit mitverfolgen können, wer am dritten Loch gerade einen Abschlag ins Rough gehookt hat oder wer auf der 17 einen Eagle-Putt versenkt hat, sondern es werden ganz nebenbei auch Daten erhoben, die für Profis von unschätzbarem Wert sind. Wie oft treffe ich unter Turnierbedingungen das Fairway? Mit welcher prozentualen Wahrscheinlichkeit verfehle ich das Grün auf der linken Seite? In welchem Längenfenster bewegen sich meine Schläge mit dem Eisen 5? Die Liste der Fragen könnte ewig fortgeführt werden.
Doch sind die Daten, die TrackMan und ShotLink liefern, nur für Profis interessant? Selbstverständlich nicht! Jedes Golftraining, egal ob ein Anfänger die Basics lernt oder RoryMcIlroy an seinem Release arbeitet, kann effektiver gesteuert werden, wenn die exakten Daten eines TrackMan vorliegen. Und nicht nur Dustin Johnson kann aus den durchschnittlichen Statistiken seiner letzten zehn Golfrunden Rückschlüsse auf die optimale Zusammensetzung seines Golf-Equipments ziehen, jeder Wochenend-Golfer wäre dazu in der Lage.
Das Problem der schönen neuen Technikwelt liegt in den Zahlen. Beim TrackMan lautet die Problemzahl 17.000. So viel Euro kostet die orangefarbene Zauberbox nämlich momentan, was sie für 99,9 Prozent aller Amateure unerschwinglich macht. Bei ShotLink werfen die benötigten 350 freiwilligen Helfer gewisse Probleme auf, denn kaum einer von uns wird es am Wochenende hinbekommen, alle seine Facebook-Freunde auf dem Golfplatz zu versammeln, um mitzuhelfen.
Beim TrackMan lässt sich das Anschaffungsproblem mit Besuchen beim lokalen Golflehrer umgehen, schließlich hat hierzulande mittlerweile fast jede ernsthafte Driving Range eines der Radarsysteme für verbesserungswillige Golfer zur Verfügung. Der Ersatz für ShotLink wurde mir vor wenigen Wochen per Paketboten in die GolfPunk- Redaktion geliefert und nennt sich Arccos 360, ein System bestehend aus 14 GPS-Sensoren und einer Smartphone-App zum Preis von 299 Euro. Jeder dieser Sensoren wird auf das Ende eines Griffs montiert und schon kann die App jeden Schlag auf dem Golfplatz registrieren. Dazu muss laut Bedienungsanleitung lediglich das Smartphone in der Hosentasche während der Golfrunde mitgeführt werden.
Zeit für einen Selbstversuch. Eigentlich bin ich kein Fan von Golf-Gadgets jeder Art. Die pure Form des Spiels ist mir die liebste. Aber die Aussicht auf Daten und Statistiken meines eigenen Spiels, wie sie sonst nur Profis kennen, ohne dafür auch nur einen Finger rühren zu müssen, ist zu verlockend.
SELBSTVERSUCH
Die Installation der 14 Sensoren auf den Schlägern ist ein Kinderspiel. Da jeder Griff ein Loch in seiner Mitte hat, braucht es nicht mehr als das sprichwörtliche Handumdrehen und schon sitzen die Sensoren bombenfest. Auch die Behauptung des Herstellers, die Sensoren würden das Schwunggewicht und Feedback des Schläger kein bisschen verändern, kann ich nach den ersten Schlägen auf der Driving Range bestätigen. Für die erste Runde mit dem Arccos-360-System hat es mich nach Schloss Lüdersburg verschlagen, wo der Old Course an einem wunderschönen Frühsommernachmittag auf mich wartet. Also los: App aktivieren, Golfplatz auswählen (Arccos 360 hat 40.00 Plätze weltweit in der Datenbank, doch dazu später mehr) und los geht's. Das iPhone in der Hosentasche nervt weit weniger als befürchtet und natürlich bin ich viel zu neugierig, um das Teil auch dort zu lassen. Nach jedem guten Schlag zücke ich in froher Erwartung das Telefon - und erlebe ein ums andere Mal einen Schuss mitten ins Ego: Wie bitte, so kurz bin ich?
Am Ende des Tages ist es mir mit einer 85 sogar gelungen, beinahe mein Handicap zu spielen, und ich kann es kaum erwarten, später zu Hause am Laptop die gesammelten Daten zu analysieren. Hier spielt Arccos nämlich seine Stärke aus, denn die Aufbereitung der Daten ist vorbildlich. Flugkurven werden in Luftbildern der einzelnen Spielbahnen gezeichnet, die jeweils gewählten Schläger und die damit geschlagenen Weiten sind sofort ersichtlich. Aber das ist nur der Anfang; ich erfahre an diesem Abend, dass ich 50 Prozent der Fairways getroffen habe, 14,3 Prozent der Fairways links und 35,7 Prozent der Spielbahnen rechts verfehlt habe. Verdammter Slice! Die wichtigste Erkenntnis des Tages ist jedoch die Tatsache, dass 90 Prozent meiner Schläge ins Grün zu kurz sind. Kein einziger war zu lang und auch auf der linken Seite habe ich kein einziges Grün verfehlt. Vielleicht sollte ich auf der nächsten Runde einfach bei jedem Approach-Schlag ein Eisen mehr nehmen? Dieses Problem sollte doch leicht zu lösen sein.
Drei Tage später stehe ich mit Kollege Rüdiger am ersten Abschlag des Golf Club Föhr und bin zutiefst enttäuscht, denn die Arccos-App behauptet nach der GPS-Lokalisierung, der nächste Golfplatz wäre Budersand auf der Nachbarinsel Sylt. Die im vergangenen Jahr eröffneten neuen Spielbahnen auf Föhr wurden bisher noch nicht für die GPS-Systeme der Golfwelt vermessen. Arccos 360, aber auch alle anderen auf GPS basierenden Golf Gadgets sind hier also leider nutzlos.
Auf dem Heimweg zurück nach Hamburg buche ich mir für die nächsten zwei Tage gleich drei Startzeiten für 18-Loch-Runden auf meinem Heimatplatz Gut Kaden, schließlich werden Statistiken erst dann aussagekräftig, wenn die Menge der erhobenen Daten eine kritische Größe überschritten hat.
Runde 1 an diesem Wochenende ist dann die längst überfällige Katastrophe mit einem Score von knapp unter 100 und der Erkenntnis, dass Arccos 360 Strafschläge selbstverständlich nicht erfassen kann. Eine gewisse Pflege der Daten nach der Runde ist also vor allem dann nötig, wenn Bälle in den Teichen oder jenseits von Ausgrenzen gelandet sind. Mit einem einzigen Klick lassen sich allerdings jederzeit Schläge zu den einzelnen Löchern dazuaddieren oder im Zweifelsfall auch subtrahieren. Selbst Technikinvaliden dürfte dieser Prozess keine wirklichen Probleme bereiten.
Nach einem langen Golfwochenende mit vier vollständig gespielten Runden weiß ich nun, dass ich bisher mit einer 36,7-prozentigen Wahrscheinlichkeit Par spiele, ich eine GIR-Quote von 35 Prozent habe, meine Durchschnittsentfernung zur Fahne nach einem Chip bei 5,5 Metern liegt und ich auf 78,3 Prozent aller Grüns zwei Putts benötige. Ich sollte also am kurzen Spiel arbeiten. Erzähl mir was Neues, Arccos 360!
Nichts leichter als das, denn beim Durchforsten der Statistiken einzelner Schläger fällt mir auf, dass die Zusammensetzung meiner Tasche offenbar reichlich suboptimal ist. Mein Eisensatz erstreckt sich vom Pitching Wedge bis zum Eisen 5, danach folgen zwei Hybride mit 22° und 19° Loft, bevor ein Holz 3 die Distanz um 190 Meter abdeckt. So zumindest die Theorie. Meine neue App verrät mir jedoch, dass zwischen meinem Eisen 5 und den beiden Hybridschlägern so gut wie kein Längenunterschied festzustellen ist. Natürlich gibt es Ausreißer nach oben; wann immer ich den jeweiligen Schläger optimal treffe, fliegt der Ball tatsächlich so weit, wie ich mir das vorstelle. Das kommt nur leider viel zu selten vor, also habe ich, betrachtet man die durchschnittlichen Längen in der Realität, drei gleich lange Schläger im Bag.
Bevor es drei Tage später zum Presseturnier der Winston Senior Open auf den gnadenlosen WinstonLinks-Platz bei Schwerin geht, fliegt also das 22° Hybrid aus der Tasche, und siehe da: Ich vermisse es auf der Runde kein bisschen. Endlich treffe ich den Ball nun halbwegs so konstant, wie ich mir das vorstelle, und auf Bahn 9 gelingt mir mit 242 Metern der bislang längste Abschlag meiner Arccos-360-Ära. Stolz, die miesen Längen von der ersten Runde in Lüdersburg endlich hinter mir gelassen zu haben, juckt es mich wenig später im Clubhaus in den Fingern, die grafische Aufbereitung meines Erfolgs auf Loch 9 direkt auf Facebook zu teilen. Um leichter vor seinen Freunden nach einem genialen Schlag auf dicke Hose machen zu können, bietet die Arccos-App nämlich einen "Share"-Button für sämtliche Social-Media-Kanäle. Als sich meine Facebook-App öffnet, wird mir jedoch als Erstes ein Video von Dustin Johnson um die Ohren gehauen, der gestern Abend beim Memorial Tournament einen Abschlag 413 Yards weit geprügelt hat. 377 Meter mit dem Driver? Danke, Dustin, für diesen Bombenanschlag auf mein Selbstwertgefühl. Da ich meine Schlaglängen nun genau kenne, weiß ich, dass ich nach meinem besten Abschlag der letzten zwei Wochen noch ein gutes Eisen 9 dranhängen müsste, um dort zu enden, wo dein Abschlag zum Liegen gekommen ist.
UND NUN?
Neun Runden habe ich bisher gespielt, seit ich die Arccos-360-Sensoren auf meine Schläger geschraubt habe, und hatte mich bislang jedes Mal unter Kontrolle, wenn das Ego sich zu Wort meldete: "Los! Teile das gerade gespielte Loch aus Facebook!" Wen interessiert schon mein Dilettantismus? Der Erkenntnisgewinn für das eigene Spiel ist jedoch immens, vorausgesetzt, man benutzt das System richtig. Ich konnte die Zusammensetzung meines Schlägersatzes optimieren, denn mittlerweile ergeben meine tatsächlich geschlagenen Längen vom Lob-Wedge bis zum Driver ein Treppenmuster und damit einen Sinn. Ich weiß dank des so genannten Smartweitenbereichs meiner Statistiken, dass ich bei Entfernungen zwischen 145 und 159 Metern zur Fahne das Eisen 7 zücken sollte und dass ich, will ich mich mit Dustin Johnson messen, die PlayStation anwerfen muss. Die Sensoren bleiben jedenfalls an meinen Schlägern, denn ich kann es kaum erwarten, meine Statistiken nach einer kompletten Saison zu durchstöbern.