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Kindergarten-Bully: Die Sandburg ist hinüber

Bryson DeChambeau

Die Mensch-Maschine

Von Jan Langenbein, Fotos: Christoph Rathjen (Illustrationen), Getty Images

Halb Wesen und halb Ding - so schockte Bryson DeChambeau nach dem Restart 2020 die Golfwelt. Ob das Experiment Massephase aus dem Mad Scientist allerdings auch ein Über-Ding werden lässt, muss sich erst noch zeigen.

Es ist keine Kunst, inmitten einer Pandemie 20 Kilogramm zuzulegen. Man verarbeitet seinen Frust mit Essen, schaut auf der Couch Netflix leer und hat ein Sixpack immer griffbereit. Insofern ist Bryson DeChambeau nicht viel anders. Auch er hat gefressen wie ein Scheunendrescher, 20 Kilo draufgepackt und ein Sixpack dabei. Der Unterschied: Bei ihm ist daraus nicht Fett, sondern Muskelmasse geworden. Im Jahr 2020 gab es vermutlich kein Thema, das die Golfwelt so bewegt hat wie die Transformation des verrückten Golfprofessors.

Allerdings war die Wandlung von Bruce Banner zum Hulk keine fixe Corona-Idee. Bereits Ende 2019 klügelte der Exzentriker seinen Plan aus. "Vor zehn Monaten habe ich mir zum Ziel gesetzt, stärker zu werden, denn ich weiß, dass man daraus einen Vorteil ziehen kann", erklärt der Mann mit der Schiebermütze seine Idee. "Wenn ich wie Happy Gilmore 360 Meter geradeaus schlagen kann, ist das ein massiver Vorteil." Dabei war sein Ernährungs-Credo ziemlich simpel, wie er "Men's Health" erklärte: "Für mich war es am effektivsten, wenn ich doppelt so viele Kohlenhydrate wie Proteine zu mir nehme." Und weil er dazu jeden Tag 15 Kilometer zurücklegte und nach einer morgendlichen Golfrunde gegen Abend ein rigoroses Trainingsregime durchzog, das jeden einzelnen Muskel beanspruchte, setzte er kein Fett an. Obwohl er täglich sage und schreibe 6.000 Kilokalorien zu sich nahm.

Als der Wahl-Texaner nach 14 Wochen Pause auf der Driving Range bei der Charles Schwab Challenge auftauchte, mussten die Profi-Kollegen zweimal hinschauen, um ihn zu erkennen. Mit einem Bizeps wie ein Bodybuilder, auf XL angewachsenen Poloshirts und Drives von 340 Yards Länge erinnerte wenig an den zerebralen Hänfling von vor der Pause. Im Golfsport ist eine solche Änderung der Physis normal nicht förderlich. Seit Boo Weekley 2016 abgenommen hat, geht seine Karriere steil nach unten. Craig Stadler und Craig Parry machten die gleichen Erfahrungen. Kaum gab Parry seine Diät auf, kehrte er wieder in die Erfolgsspur zurück. Doch gerade weil der Körper eines Golfers ein äußerst fein getuntes Werkzeug ist, löste DeChambeaus Transformation Bewunderung aus. "Es ist beeindruckend, wie viel Gewicht er draufgepackt hat, ohne sein Spiel negativ zu beeinflussen", staunte Webb Simpson, nachdem DeChambeau seine ersten drei Starts als Dritter, Achter und Sechster beendet hatte. Und als er beim vierten Start mit dem neuen Body-Mass-Index die Rocket Mortgage Classic gewann, zeigte sich auch Olympiasieger Justin Rose beeindruckt: "Er hat die anderen Elemente seines Spiels weiter unter Kontrolle. Er hat einfach ein paar Waffen dazugewonnen." Insbesondere die Tatsache, dass er den Ball 20 Meter weiter prügelt und trotzdem die Fairway-Treffer erhöht hat, sorgte für Aufsehen und für ein Lob von höchster Stelle. "Was Bryson getan hat, ist nicht einfach", adelte Tiger Woods.

Bryson DeChambeau:
Die Reaktionen auf DeChambeaus neues Aussehen sind dabei der Rorschachtest für Profi-Golfer, sagen sie doch unglaublich viel über den Charakter der einzelnen Stars aus. "Mit jedem Drive, den Bryson schlägt, sehe ich meine Barista-Karriere näher kommen", witzelte beispielsweise Eddie Pepperell. Auch Retief Goosen zeigte sich selbstironisch und gab zu: "Ich weiß nicht mal, wie ein Protein-Shake aussieht. Meine kommen für gewöhnlich aus der Weinflasche." Dustin Johnson und Brooks Koepka hingegen fühlten sich bei der Ehre gepackt. "Wenn ich mein Spiel spiele, kann er so weit schlagen, wie er will. Ich glaube nicht, dass er mich schlagen kann", ätzte D.J. Koepka verschleierte hingegen seine Attacke: "Es gibt keinen Grund, wissenschaftlich an die Sache heranzugehen. Ich gehe raus und spiele." Die passiv-aggressive Spitze prallt an DeChambeau allerdings ab. Ja, er gilt als "Mad Scientist" auf der PGA Tour. Aber wie schon ein anderer verrückter Wissenschaftler so treffend sagte: "Wenn meine Kalkulationen korrekt sind und dieses Baby 140 km/h erreicht, wirst du eine heiße Scheiße zu sehen kriegen". Und genau wie Doc Browns DeLorean hat auch DeChambeau mit seiner Schwunggeschwindigkeit mittlerweile die 140 km/h geknackt.

EIN BISSCHEN TRAININGSLEHRE



Um seinen Sportwagen in die Zukunft zu schicken, war Doc Brown auf illegal erworbenes Plutonium angewiesen. Und auch bei Bryson DeChambeau glaubten nicht alle, dass er sich seinen Popeye-Bizeps mit dem Genuss von Spinat zugelegt hatte. Schnell machten Gerüchte von laborgestützten Hilfsmitteln die Runde und brachten DeChambeaus Fitnesstrainer Greg Roskopf auf die Palme. "Unter normalen Umständen würde man behaupten, dass der einzige Weg, solch eine körperliche Veränderung vorzunehmen, die Einnahme von Steroiden wäre. Ich kann allerdings garantieren, dass so etwas nicht Teil seines Prozesses war und in Brysons Gedankenwelt noch nie eine Rolle gespielt hat", versicherte der Biomechanik-Spezialist, der unter anderem mit den NFL-Spielern der Denver Broncos arbeitet. "Wir befinden uns am Ende eines drei Jahre dauernden Prozesses und haben davon zwei Jahre lang die nötigen Grundlagen gelegt. Das sichtbare Endresultat von Brysons Muskelzuwachs konnte nur aufgrund dieser intensiven Vorarbeit erreicht werden."

Bryson DeChambeau:
Diese Erklärung hält auch Professor Dr. Sebastian Gehlert vom Institut für Sportwissenschaft an der Universität Hildesheim für durchaus plausibel: "Sein Muskelaufbau ist nichts Außergewöhnliches. Wenn man sich fokussiert und vier, fünf Monate hart trainiert, so kann man schon fünf, sechs Kilo Muskulatur aufbauen - gerade wenn man sich gut und vernünftig ernährt." Des Weiteren spielt beim schnellen Muskelaufbau jedoch die Genetik eines Sportlers eine entscheidende Rolle. Verfügt ein Muskel in einem theoretischen Szenario über zehn Millionen Proteine, die dafür verantwortlich sind, den Muskelaufbau nach jedem Krafttraining zu regulieren, wird dieser Muskel bei gleichem Aufwand weniger stark wachsen als der Muskel eines Sportlers, der genetisch bedingt über 14 Millionen davon verfügt. "Im Ausdauersport, im Schnellkraftsport und im Kraftsport kann man beobachten, dass manche Leute einfach eine bessere Genetik haben, und das kann man von außen natürlich nicht sehen. Da sollte man nicht von Doping ausgehen", erklärt
Dr. Gehlert.

Mit dicken Muckis allein kann auf der PGA Tour allerdings kein Blumentopf gewonnen werden, schließlich würde Arnold Schwarzenegger sonst wahrscheinlich immer noch auf der Champions Tour spielen und Dwayne "The Rock" Johnson hätte längst den Grand Slam klargemacht. Golf ist eine Sportart mit recht komplexen Anforderungen an die Hand-Augen-Koordination und die Schnellkraft. Als Tiger Woods sich jede Menge Muskelmasse zulegte, weil er nach der Einstellung von Jack Nicklaus' Major-Rekord ein Navy Seal werden wollte, häuften sich nicht nur die Verletzungen. Auch sein Golfschwung, insbesondere das delikate kurze Spiel, litt beträchtlich, wie die Statistiken der Jahre 2006 und 2007 beweisen.

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