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Golfpunks dieser Welt

Henry Cotton

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty Images

Als jüngster Head-Pro Englands mit einem Faible für archaische Trainingsmethoden schrieb Henry Cotton einst Geschichte auf dem Feld der Golfpädagogik. Ach so: Den Ryder Cup und drei Open Championships gewann er nebenbei auch noch.

Wer zwischen 1960 und 1987 durch das portugiesische Portimão fuhr, bekam im Stadtteil Penina ein verstörendes Bild zu sehen. Auf einer grünen Wiese droschen erwachsene Männer und Frauen so manisch auf Autoreifen ein wie Sylvester Stallone in "Rocky" auf Schweinehälften. Doch es handelte sich weder um Kampfsportler noch um ein geheimes Testprojekt der Autoindustrie. Es war der Golfunterricht von Sir Henry Cotton. "Ein Golfer ist nur so gut wie seine Hände", so lautete die Philosophie des Engländers. Und für ihn gab es nur eine Chance, die Hände zu kräftigen: mit dem Golfschläger unaufhörlich gegen Reifen zu schlagen. Was auf den ersten Blick wie eine Tortur aussieht, war ein Kinderspiel gegen das Trainingsregime, das sich Cotton selbst auferlegte. Zu einer Zeit, in der selbst Profis ihr Können lieber auf dem Platz als auf der Driving Range schulten, legte der Teenager eine Übungseinheit nach der anderen ein. "Stundenlang schlug er den Ball aus dem dicksten Rough, bis seine Hände bluteten", steht über ihn in der World Golf Hall of Fame, deren Mitglied er seit 1980 ist.

Dabei war Cotton eigentlich ein anderer Sport vorbestimmt: Cricket. Als Mitglied der gehobenen Mittelklasse konnten seine Eltern es sich leisten, Henry auf eine Privatschule zu schicken. Auf der Alleyn's School im Süden Londons avancierte er zu einem vielversprechenden Schlagmann. Doch bereits hier zeigte sich eine Charaktereigenschaft, die zu seinem Markenzeichen werden sollte: die Rebellion gegen die Eliten und den Status quo. Weil er und drei Mitspieler von den Vertrauensschülern gezwungen wurden, deren Sportsachen zu tragen, setzten sie einen vor Sarkasmus triefenden Brief auf, in dem sie sich dafür bedankten, "die Taschen zum Leidwesen unserer zarten Muskeln und zum Vorteil der Auserwählten und Herablassenden" tragen zu dürfen. Die Vertrauensschüler verstanden keinen Spaß und verdroschen die Unterzeichner mit einem Rohrstock. Aus medizinischen Gründen wurde Henry zwar verschont, aber seine Zeit im Cricket-Team gehörte der Vergangenheit an.

Von diesem Zeitpunkt an galt Henry Cottons gesamtes sportliches Interesse dem Golf. Mit 13 Jahren traten er und sein Bruder Leslie dem Londoner Aquarius Golf Club bei. Drei Jahre später feierte Henry mit einer 83er-Runde seine erste Clubmeisterschaft und 1926 wurde er schließlich mit 19 Jahren zum jüngsten Head Professional der britischen Golfgeschichte. Das Unterrichten, das später seine Leidenschaft werden sollte, trat jedoch in den Hintergrund. Denn der junge Golflehrer hatte Ambitionen und wollte sich auf dem Platz mit den Besten seiner Zunft messen. Also kratzte er all seine Ersparnisse zusammen, kaufte im Winter 1928 ein Ticket für die "RMS Aquitania", setzte in die Neue Welt über - und bekam eine Lehrstunde. Zwar wurde er bei den Sacramento Open Dritter, gegen die amerikanischen Longhitter wirkte er aber wie Jim Furyk gegen Dustin Johnson. Doch einer von ihnen, US-Open-Champion Tommy Armour, nahm das Nachwuchstalent unter seine Fittiche und gab ihm den letzten Schliff. So effektiv, dass Cotton ein Jahr später half, den ersten Ryder-Cup-Sieg für Großbritannien einzufahren.

Den Titel verteidigen durfte er allerdings nicht, weil er sich erneut gegen das Establishment auflehnte. Die Regeln für das britische Team sahen eine gemeinsame Überfahrt in die USA und eine gemeinsame Rückreise aus Ohio vor. Cotton wollte sich die Reisestrapazen entlohnen lassen, indem er im Anschluss an den Länderwettstreit Turniere und Schaukämpfe in den USA bestreitet. Der Antrag wurde abgelehnt und so berichtete Cotton stattdessen als Zeitungsreporter von der Klatsche seiner verhinderten Teamkollegen. Nicht nur deshalb war der "Privatschul-Golfer", wie ihn die Presse despektierlich nannte, bei Kollegen und Fans so beliebt wie Patrick Reed in Augusta National.

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STUNDENLANG SCHLUG ER DEN BALL AUS DEM DICKSTEN ROUGH, BIS SEINE HÄNDE BLUTETEN
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Um dem Hass zu entkommen, floh Cotton nach Belgien. Im Waterloo Golf Club fand er sein Glück. Privat, weil er Millionärserbin Isabel-Maria Estanguet de Moss, die Noch-Ehefrau des argentinischen Botschafters, lieben lernte. Und beruflich, weil er 1930 mit dem Gewinn der Belgian Open seinen ersten großen Titel einfuhr.

14 nationale Meisterschaften sollte er im Verlauf seiner Karriere gewinnen. Drei davon in Deutschland mit Rekordvorsprüngen von 11, 15 und 17 Schlägen und drei in Großbritannien. Seine Triumphe bei den Open Championships 1934, 1937 und 1948 machten Cotton auf ganz unterschiedliche Art und Weise unsterblich. 1934 durchbrach er mit seinem Sieg in Royal St. George's nicht nur eine elfjährige Durststrecke für die Engländer, er stellte mit einer 65 in der zweiten Runde zudem einen Rekord für die Open Championship auf, der mit einem eigens angefertigten Golfball geehrt wurde. Der Dunlop 65 erfreute sich immenser Popularität und wurde zum Pro V1 seiner Zeit.

Drei Jahre später feierte Cotton den wohl größten Sieg in seiner Karriere. Zwar brauchte er in Carnoustie sechs Schläge mehr als noch in Royal St. George's, doch die Qualität des Feldes war ungewöhnlich hoch. Weil eine Woche zuvor im englischen Southport der Ryder Cup stattgefunden hatte, blieben die US-Spitzenstars auf der Insel und nahmen an der Open teil. Sam Snead, Gene Sarazen, Henry Picard, Horton Smith und Byron Nelson hatten den Briten - und Cotton - eine empfindliche Heimniederlage verpasst. Doch in Carnoustie zahlte es ihnen der englische Superstar zurück. Vor den Augen von König Georg VI. schob sich Cotton mit einer 71 in der Schlussrunde an den Whitcombe-Brüdern vorbei und sicherte sich die Claret Jug. Und als er 1948 in Muirfield mit den Worten "Ich lächle vielleicht nicht so viel, aber innerlich bin ich ziemlich glücklich" die Kanne erneut in die Luft reckte, wurde er zum einzigen Spieler, der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg eine Open Championship gewann.

Der Zweite Weltkrieg ist das große What-if in der Karriere von Henry Cotton, fiel der Weltenbrand doch mitten in die Hochphase seiner Karriere. Bis zu seinem 45. Geburtstag gewann Cotton einen ähnlich großen Anteil seiner Major-Starts wie Tiger Woods. Doch weil die Reise in die USA eine enorme Strapaze war und der Zweite Weltkrieg Cottons Karriere für sechs Jahre unterbrach, konnte er lediglich an 19 Major-Turnieren teilnehmen. Sein kümmerliches Preisgeld dabei: 855 Britische Pfund - was seinen Beitrag im Weltkrieg noch beachtlicher macht. Während seines Dienstes für die Royal Air Force sammelte Cotton durch Schaukämpfe in den ersten 30 Monaten sage und schreibe 30.000 Pfund für das Rote Kreuz ein. Zwar durfte er aufgrund seines Alters nie im Jagdflieger aufsteigen, doch sein Beitrag am Schreibtisch, in der Versorgungseinheit und auf dem Golfplatz war genug, um 1987 von Queen Elizabeth II. den Ritter orden akzeptieren zu dürfen, auch wenn er die Verleihung nicht mehr erlebte.

Mit seinem Tod am 22. Dezember 1987 widerlegte sich Cotton selber. "Sogar heute glaube ich nicht, dass ich jemals alt werde. Ich bin eine Art Peter Pan", hatte er mit 67 Jahren noch in seiner Winterheimat Portimão behauptet. Mit dem von ihm gestalteten Penina Golf Course hatte Cotton den Sport an die portugiesische Algarve gebracht und damit den Grundstein für eine der populärsten Golf-Destinationen gelegt. Dass er während seiner Zeit dort in der Suite eines Fünfsternehotels lebte, versteht sich von selbst. Denn spätestens seit seiner Heirat mit Isabel-Maria Estanguet de Moss im Jahr 1939 waren Cotton und Luxus miteinander verschmolzen. Wie einst Walter Hagen provozierte er die versnobten britischen Clubs, die Golfprofis wie ihn nicht in ihr feines Clubhaus lassen wollten, indem er sich in einem weißen Rolls-Royce vor den Eingang chauffieren ließ und aus Essenskörben des Londoner Luxus- Kaufhauses Fortnum & Mason speiste. Ein Bild, das den Charakter von Henry Cotton perfekt beschreibt. Obwohl er aus gutem Hause kam, fühlte er sich sein Leben lang minderwertig und benachteiligt. Das war der Antrieb, der den Lebemann zu einem der besten Golfer seiner Zeit und einer Legende machte.

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