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Golfpunks dieser Welt

Kathrynne Ann Whitworth

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Mehr Siege als sämtliche Legenden des Golfsports und das ohne einen Bilderbuchschwung: Dies ist die Geschichte von Kathy Whitworth.

Golf-Trivia: Welche/-r Golfer/-in hat die meisten Turniersiege auf einer der großen internationalen Touren gewonnen? Die meisten würden wohl Tiger oder Annika Sörenstam nennen, Geschichts-Freaks vielleicht Mickey Wright oder Sam Snead. Und was ist eigentlich mit Jack Nicklaus? Die richtige Antwort jedoch lautet Kathrynne Ann Whitworth: 88 Siege, nicht 82, das ist die Benchmark im Golfsport. Bis heute. Am Weihnachtsabend des vergangenen Jahres starb Kathy Whitworth. Zusammengebrochen auf einer Weihnachtsfeier mit Familie, Nachbarn und Freunden in Flower Mound, Texas, wo sie zuletzt lebte. "Kathy verließ das Leben auf dem Wege, wie sie es lebte: liebend, lachend und erinnerungsstiftend", so ihre langjährige Lebenspartnerin Bettye Odle.

"Ich bin keine Kuriosität. Ich hatte einfach Glück, so erfolgreich zu sein. Wenn ich als Person erinnert werde, ist das genug für mich", stellte Kathy einst über ihre Karriere klar. Und doch bleibt vor allem ihre Performance auf den Golfplatz in Erinnerung. So ist das mit Rekorden. Bemerkenswert vor allem, da sie, wie sie selbst einmal sagte, keineswegs mir exorbitantem Talent oder einem großartigen Golfschwung gesegnet gewesen sei. Tatsache ist, dass Kathy Whitworth erst mit 15 Jahren mit dem Golfsport begann.

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ALS ICH 1963 DIE ACHT TURNIERE GEWANN, WAR ICH WIE BESEELT. GEWINNEN WURDE ZUM SYNDROM. ICH SPIELTE SO GUT, ES FIEL MIR ALLES LEICHT!
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Geboren am 27. September 1939 in Monahans, Texas, wächst sie in New Mexico auf. Ihre Eltern führen einen Baumarkt in der Gemeinde Jal. Ihr Vater Morris wird später Bürgermeister in dieser amerikanischen Wüstenkleinstadt, wo die Familie ein sorgenfreies Leben führt. Kathrynne spielt zunächst Tennis. Es ist auch die Bürde der frühen Geburt, die zu ihrer einzigartigen Karriere führt. "Es war zehn Jahre, bevor es offene Meisterschaften für Frauen im Tennis gab", erinnert sie sich 1981 in einem Interview mit der "New York Times". "Also entschied ich, beim Golf zu bleiben." Golf ist der einzige professionelle Sport für die Damen zu dieser Zeit. Schläger, Ball, Hand-Auge-Koordination - sie überträgt die koordinativen Kompetenzen aus dem Tennis auf ihr Golfspiel. Sie ist 15 Jahre alt und gewinnt bereits zwei Jahre später die Amateur-Meisterschaften des Staats New Mexico, um den Titel im Jahr darauf erfolgreich zu verteidigen. Bereits mit 19 Jahren wechselt sie 1958 auf die LPGA Tour und wird Profi. Noch ist sie nicht die Seriensiegerin. Im Gegenteil. Sie spielt 26 Events in ihrer Premierensaison mit äußerst überschaubarem Erfolg. Die Nachwuchsspielerin ist schüchtern, gehemmt und ist näher dran hinzuschmeißen, als dass sie vorne mitspielen würde. Ihr Ertrag: ganze 1.300 Dollar. Es ist die Konstituierungsphase der LPGA Tour und die Preisgelder sind noch weit von dem modernen Niveau entfernt. Auch die Zuschauerzahlen halten sich damals in Grenzen.

Die Spielerinnen schließen sich zu Fahrgemeinschaften und WGs zusammen, um an den Turnieren teilnehmen zu können. Ein Zusammenhalt, der Kathy zugutekommt. Sie wird von den Etablierten unter die Fittiche genommen. Von Mickey Wright etwa, mit 82 Siegen lange und vor Kathy die erfolgreichste Profispielerin, oder Betsy Rawls, die sich erinnert: "Kathy hasste sich, wenn sie Fehler machte. Sie war eine wunderbare Flight-Partnerin, zuvorkommend, nett zu einfach jedem, aber wehe, sie machte Fehler, dann beschimpfte sie sich, und das trieb sie an."

Bis zu Whitworth' Premierensieg vergehen vier Jahre. Dieser Durchbruch ist nicht nur ihrer Hartnäckigkeit zuzuschreiben, sondern auch der Zusammenarbeit mit Harvey Penick - dem Penick; geneigte Golfer kennen ihn als Verfasser des kleinen roten Buchs, gemeinhin auch als die Bibel des Golfs betitelt. Harvey Penick also ist ihr Coach. "Ganz am Anfang sagte er mir freundlich, aber bestimmt: ,Ich denke, ich kann dir helfen. Aber du musst tun, was ich dir sage.' Ich stimmte zu. Wenn er mir gesagt hätte, mich auf den Kopf zu stellen, ich hätte es getan."

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Wie es viele auf den Wiesen der Republik auch tun sollten, basteln sie am Griff: stärkere rechte Hand mit dem Ziel, die Schlagfläche square an den Ball zu bringen. Wenn Kathy den Ball nicht trifft, verlässt sie sich auf die Arbeit, die die beiden investieren. "Immer wenn ich in eine Formkrise geriet, hatte ich ja Harvey." Es soll sich auszahlen. Auf den ersten Sieg 1962 folgt der zweite kurz darauf noch im gleichen Jahr bei den Phoenix Thunderbirds Open. Es ist der Moment, in dem sich Whitworth' Selbstbewusstsein manifestiert. In einem Duell mit Wright, die im Flight hinter ihr spielt, entscheidet sich Whitworth, aufs Ganze zu gehen. Wie sie "Golf Digest" später erzählt, attackiert sie eine unmögliche Fahne, die direkt hinter einem Bunker gesteckt ist. Sie gewinnt mit vier Schlägen Vorsprung. Hervorragendes Putten, stark aus dem Sand und ein sanfter Fade, der die Fairways häufiger trifft als nicht, sind ihre Stärken. Und 1963 läuft sie dann so richtig heiß. Sie gewinnt acht Turniere: Spielerin des Jahres. Sie ist die überragende Golferin in den folgenden Jahren. "Als ich 1963 die acht Turniere gewann, war ich wie beseelt. Gewinnen wurde zum Syndrom. Ich spielte so gut, es fiel mir alles leicht! Du denkst zwar nicht, großartig zu sein, aber du bist in einem Tunnel aus unbedingter Konzentration. Nichts lenkt dich ab." Der Siegesrausch dauert gut eine Dekade an. Bis 1973 triumphiert sie bei unfassbaren 68 Turnieren. Und wird zweimal Associated Press Sportlerin des Jahres, beide Male vor der Wimbledon-Siegerin des Jahres Billie Jean King. Wie auch immer, es fehlen noch 15 Trophäen bis zum Rekord. Doch die Leichtigkeit ist weg. Siegen wird zur Arbeit. Auf den Rausch folgt der Kater. 1974 und 1975 beschreibt sie als traumatisch. Ihr Spiel verlässt sie nahezu vollständig.

Es sind nun die Rekorde, die sie noch antreiben. Noch steht der Rekord bei 82 Siegen und auch die Schallmauer, als erste Frau mehr als eine Million Dollar einzuspielen, treibt sie voran. 1981, endlich, Sieg Nummer 82. Die Preisgeldbarriere fällt ebenso. Was sie 20 Jahre gekostet hat, schafft Jahre später Karrie Webb in einer Saison. Trotz all ihrer Siege verdient Kathy Whitworth pro Saison nicht mehr als 50.000 Dollar und das, obwohl sie 1968 elf Turniere gewinnt. Zum Vergleich: 2023 beträgt das Gesamtvolumen der Preisgelder auf der LPGA Tour mehr als 100 Millionen Dollar. "Gewinnen wird nicht langweilig", lautet Kathys Mantra, ganz egal wie groß die Börse ausfällt. 1984 bläst die Unerbittliche zum letzten Hurra und gewinnt drei Turniere. Mit dem Schlusspunkt ein Jahr später schraubt sie ihren Rekord nach 20 Jahren an der Weltspitze auf unerreichte 88 Siege. Und die Mentorinnen der Anfangsjahre würdigen die Leistung: "Wright hatte den wohl besten Schwung und war die größte Golferin, […] aber Kathy war die beste Spielerin, die hartnäckigste, es ging nur um das Siegen", so Betsy Rawls. In den Worten von Kathy Whitworth: "Ich hatte das Glück zu wissen, was ich will. Golf hat mich einfach gepackt. Ich kann nicht ausdrücken, wie sehr ich es geliebt habe. Und ich dachte wirklich, jeder wüsste mit 15 Jahren, was er tun möchte."

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Und doch ist da der kleine Stachel, der eine Sieg, das einzige unerreichte Ziel. Trotz insgesamt sechs Major-Siegen unter all den Trophäen ist es ihr nicht vergönnt, den Pokal für die US Open in den Himmel zu recken. Etwas, was an der notorischen Siegerin nagt. So beichtet sie später, dass sie den Preisgeldrekord sofort eintauschen würde, nur um dieses eine Turnier zu gewinnen. Nun gut, man kann nicht alles haben, nicht? Jammern auf höchstem Niveau, aber auch Ausdruck ihres Erfolgs, ihres Hungers, immer und unbedingt die Beste zu sein. Noch bis 2005 misst sie sich auf der Senioren-Tour der Damen. 1990 ist sie Kapitänin der US-Mannschaft im erstmals ausgetragenen Solheim Cup. Zeitweile firmiert sie als Präsidentin der LPGA. In ihrer Wahlheimat in Texas gibt sie Golfunterricht, organisiert ein Jugendturnier für Heranwachsende und sie schreibt ein Buch: "Kathy Whitworth' Kleines Buch der Golfweisheiten". Die Ähnlichkeit des Titels mit dem ihres Mentors ist sicher kein Zufall! Eine der Kernaussagen, zeitlos und immer wieder zu beobachten, ist die Ignoranz vor dem Offensichtlichen. Wie sie es formuliert: "Golf, mehr als die meisten Spiele, hat eine Fülle an Klischees, die sich erfolgreich als ,Tipps' verkleiden. Vorsicht ist geboten." Wohl wahr!

Was bleibt, ist ihr Rekord. Viele ihrer Trophäen stehen heute in ihrem späten Heimatclub, dem Country Club in Roanoke, Texas. Nickelplaketten erinnern mit Anekdoten an ihre vielen Siege. 88. Ihr haben fünf Jahre auf diese magische Zahl gefehlt - Kathrynne Ann Whitworth wurde 83 Jahre alt.

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