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Golfpunks dieser Welt

Roberto De Vicenzo

Von Janek Weiss

Was wäre, wenn..? Wie eine Unachtsamkeit die Golfwelt bis heute beschäftigt. Roberto De Vicenzo und die falsch signierte Scorekarte.

Unterschreiben Sie bitte hier!" Die Signatur auf der Scorekarte nach einer absolvierten Turnierrunde ist eine Formalie für Profis wie Amateure. Wo der ein oder andere nach getaner Pflugarbeit am Wochenende noch um Schlag 104 feilscht, bevor er sein Namenskürzel unter die gesammelten Werke der vergangenen sechs Stunden setzt, wandelt sich eine Unachtsamkeit, hervorgerufen durch den Frust über ein Bogey auf der letzten Spielbahn an seinem 45. Geburtstag, für den Argentinier Roberto De Vicenzo zum Karriere-Markstein. Ostern, 14. April 1968, es ist der Finalsonntag in Augusta. De Vicenzo unterschreibt eine Scorekarte, die ihm einen Schlag zu viel andichten möchte, und verliert so jede Chance auf den Sieg. "Was bin ich bloß für ein Idiot!", lautete damals seine schonungslose Selbstanalyse.

De Vicenzo wird 1923 in Villa Ballester, Buenos Aires geboren, gewinnt in seiner Karriere unglaubliche 229 Turniere und das auf der ganzen Welt. Und doch wird dieser eine Lapsus die Wahrnehmung seiner Karriere definieren, ist diese vorschnelle Unterschrift das Narrativ in der Geschichte von De Vicenzo. Stil, Reflexion und Klasse kann man nicht lernen. Wäre dem so, dann wäre nicht der Verlust des Grünen Jacketts das Thema dieser Geschichte, sondern sein Auftreten als Gentleman und seine Größe im Moment der Niederlage.

Nach der Unabhängigkeit von Spanien zu Beginn des 19. Jahrhunderts prägten britische Einwanderer das Land der Gauchos. Eines der Mitbringsel neben dem Fußball war der schönste Sport der Welt: Golf. Gerade mal ein sechsjähriger Stöpsel, beginnt der kleine Roberto, auf der nahe gelegenen Anlage des Ranelagh Golf Club als Caddie zu arbeiten - ein Klassiker im Werdegang späterer Weltklasse-Golfer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In einer Reportage über sein Leben berichtet der damals 93-Jährige, wie er aus Stöcken die ersten Golfschläger bastelt und mit einem aus Kork zusammengeschusterten ballähnlichen Objekt die ersten Schwungversuche unternimmt. Die Kids spielen, was heute Crossgolf genannt wird. Sie einigen sich auf ein Ziel, das es mit dem "Ball" zu treffen gilt: "Wir spielten um zehn Penny. Das war die Summe, die wir für eine Kinoeintrittskarte gebraucht haben." Kein richtiger Schlägerkopf, ein Ball, der schnell vom Winde verweht wird, so eignet sich der kleine argentinische Bub seine ersten "Ball-Striking"-Kenntnisse an. Und wie, denn selbst heute noch gilt De Vicenzo als einer der Besten in dieser Disziplin. Später bastelt er aus alten Schäften neue Schläger und fischt die Bälle aus den Wasserhindernissen. Wie so oft wird das Spiel für den Sprössling zur Obsession. Der Sohn eines Fassadenmalers ist eines von acht Kindern. Er ist zwölf, als seine Mutter im Kindbett stirbt. Mit 15 Jahren verlässt er die Schule. 1938 erklärt sich Roberto De Vicenzo selbst zum Profi-Golfer und zieht in die Welt.

Golfpunks dieser Welt: Großes Ärgernis: Kontaktlinse beim Spaziergang im Park verloren (r.)Golfpunks dieser Welt: Großes Ärgernis: Kontaktlinse beim Spaziergang im Park verloren (r.)
Großes Ärgernis: Kontaktlinse beim Spaziergang im Park verloren (r.)

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Was bin ich bloß für ein Idiot!
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Keine 300 Tage vor der bis heute berüchtigten Volte in der Major-Golf-Geschichte scheint es, dass Roberto im Frühherbst seiner Karriere noch einmal zu großer Form aufläuft. In aller Welt erfolgreich bei Turnieren ist der Golf-Globetrotter auf der US-PGA-Tour eher spärlich in den Siegerlisten zu finden. Der unbedingte Wille, die PGA-Tour zu erobern, der singuläre Fokus fehlt dem Argentinier offensichtlich. Denn keine der Trophäen, die er rund um den Globus einheimst, bedeutet ihm so viel wie die Freundschaften, Begegnungen und Erfahrungen, die er bei seinen Reisen um die Welt knüpft: Belgien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Jamaika, Mexiko, Panama, Peru, Spanien, Uruguay, Venezuela, Argentinien. Es sind die Länder auf seiner persönlichen Weltkarte, in denen er die nationalen offenen Meisterschaften gewinnt. Der Essayist Jack Whitaker konstatiert einst, dass, wenn Golf ein Krieg wäre, De Vicenzo mehr Länder erobert hätte als Alexander der Große! "Golf ist zum Glück kein Krieg und schon gar nicht für Roberto. Für ihn ist Golf eine Reise, seine Reise, sein Leben."

Sein größter Sieg ist ohne Zweifel der Triumph bei der Open Championship 1967 in Hoylake, wo De Vicenzo doch noch der große Durchbruch gelingt. Jack Nicklaus, Gary Player, Tony Jacklin sind allesamt geschlagen und R.D.V. ist mit 44 Jahren und 93 Tagen tatsächlich Major-Champion und bis heute der älteste Champion Golfer of the Year seit Sir Old Tom Morris Ende des 19. Jahrhunderts. Eine Markstein, der bis heute darauf wartet, übertroffen zu werden.

Im Jahr zuvor hatte er nach einer neun lange Jahre andauernden Durststrecke bei der Dallas Open seinen fünften Titel im US-Golf-Zirkus errungen, ein Jahr nach seinem Open-Sieg sollte noch ein letzter PGA-Tour-Triumph folgen, ebenfalls in Texas.

Unbestritten ist De Vicenzo ein famoser Golfer vom Abschlag bis zum Grün, jedoch hält ihn nicht selten sein Putten davon ab, die bedeutenderen Turniere zu gewinnen. Wie er selbst oft einräumt, ist es das Links-Golf, das am unberechenbarsten ist. Wetter, Winde und plötzlich ist alles ganz anders. Wenn dann anders als seine Eisen der Putter einfach keine Lust hat mitzuspielen, so reicht es eben nur zu fünf weiteren Podiumsplätzen.

Wie auch immer, makelloser Schwung, dynamische Bewegung über das linke Knie, wie es zu der Zeit durchaus typisch ist, und unbedingter Fleiß sind seine Tugenden. De Vicenzo haut mindestens 400 Bälle am Tag. Seinen südamerikanischen Akzent quittiert er mit einem Augenzwinkern: "Englisch habe ich von den amerikanischen Profis gelernt, deshalb spreche ich so schlecht. Ich nenne es PGA-Englisch!" Er ist Fan-Liebling, wohlgelitten unter seinen Zeitgenossen. Und doch ist da diese Unterschrift, sind da Tommy Aaron, Bob Goalby und viele hypothetische Fragen, die die drei Golfer für immer verbinden.

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De Vicenzo dreht im Herbst seiner Karriere noch mal so richtig auf. Reitet seinen zweiten Frühling und - das steigert die Tragik um diesen Fauxpas zusätzlich - spielt beim Masters 1968 eine der bis dato besten Finalrunden der Major-Geschichte. Einem sagenhaften Eagle auf der ersten Spielbahn folgen weitere Birdies. Alles funktioniert und seine 31 auf den ersten neun sind damals Platzrekord. Die "Happy Birthday"-Sprechchöre aus den Reihen der Zuschauer begleiten die Runde des wie entfesselt aufspielenden Argentiniers. Birdie an der 17. Dann der Moment des Frusts, der die Wahrnehmung der drei Genannten in der Welt des Golfs auf immer verändern wird. De Vicenzo spielt an der 18 ein Bogey. Er ist genervt. 65 hin oder her, für ihn bleibt ein bitterer Beigeschmack, sein südamerikanisches Temperament ist am Brodeln. "Roberto hat nie auf die Scorekarte geschaut", erklärt Aaron später. "Er saß einfach nur da und ich meinte: ,Hey, deine Karte!' Gerade wollte ich sagen: , Nimm dir Zeit', da saß sein Kürzel bereits unter dem Score und er warf die Karte genervt auf den Tisch!"

Der Fehler fällt schnell auf. Tommy Aaron hat an der 17 versehentlich eine Vier notiert. Par statt Birdie und De Vicenzo hat unterschrieben. Damit ist das Ergebnis amtlich. Diskussionen unter den Offiziellen. Beinahe ließe sich von einem Präzedenzfall sprechen. Keiner der anwesenden Regelhüter fühlt, dass es gerechtfertigt ist, dass eine kleine Unachtsamkeit aus der Emotionalität der Situation geboren die Szenerie entscheidet. Was tun? Bobby Jones fragen! Doch auch der Mitbegründer des Masters kann zu keinem anderen Ergebnis kommen und bestätigt im Gespräch mit den Offiziellen die tragischen Folgen der vorschnellen Unterschrift. Das Ergebnis steht fest. De Vicenzo, so sehr ihm alle den Sieg gegönnt hätten, wird Zweiter.

Die Karte ist eben von ihm abgesegnet. Einen tatsächlichen Sieger bringt dieser Tag nicht hervor! "Ich habe mich genauso als Opfer gefühlt wie Roberto", so der - und das sprichwörtlich - unglückliche Träger des Grünen Jacketts Bob Goalby. So berichtet er der "LA Times" 1989, dass er mit der falsch gezeichneten Karte nichts zu tun gehabt habe. Dennoch wird er als der gesehen, der durch eine Formalie das Turnier gewonnen hat. "Ich glaube, ich habe nie den Respekt erhalten für das, was ich in dieser Woche gespielt habe." Drohbriefe, Beschimpfungen, mangelnder Respekt: Tatsächlich weiß kaum jemand, wie der offizielle Sieger des Turniers jenes Jahres heißt. Niederlage und Triumph, Wertung von Ereignissen, zugegeben in einem Segment weniger speziell interessierter Rezipienten, so doch exemplarisch. Was bedeutet Sieg und was Niederlage? Das Resultat: Goalby ist beinahe verschwunden aus den Annalen und De Vicenzo unsterblich ob eines Fehlers. Fair? Sicher ist nur, dass Robert De Vicenzo die Verantwortung den Rest seines Lebens auf sich nimmt, seinen Fehler akzeptiert, die anderen Beteiligten schützt. Es wäre einfach gewesen, Tommy Aaron als den Verursacher der ganzen Misere an den Pranger zu stellen, doch dafür beweist der Argentinier Zeit seines Lebens zu viel Klasse. De Vicenzo wird später noch zwei Senior-Tour-Titel abräumen, noch mehr gewinnen und sogar sein Alter mit einigen Scores unterbieten. Bis ins hohe Alter ist De Vicenzo als Aktiver auf dem Golfplatz unterwegs. Er ist Mentor für die nach folgenden Generationen und ein Vorbild. Nicht weil er so viel gewonnen hat, sondern wegen seines charakterlich einwandfreien Umgangs mit diesem einen, kleinen Moment der Golfgeschichte.

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