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Golfpunks dieser Welt

Tommy Armour

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Kriegsveteran, Lebemann und Golfgenie - dies ist die Geschichte einer der enigmatischsten Golfpersönlichkeiten aller Zeiten. Vorhang auf für Tommy Dickson 'The Silver Scot' Armour.

Am 12. Juli 1917 erreichte der Erste Weltkrieg mit dem Einsatz von Senfgas noch einmal eine neue Eskalationsstufe. Auch der damals 22-jährige Tommy Armour, Stabs-Major einer Panzereinheit, gehörte zu den betroffenen Soldaten und landete mit schwersten Augenverletzungen im Lazarett. Er überlebte, doch Zeit seines Lebens sollte er auf dem linken Auge blind bleiben und behielt zudem Metallplatten im Kopf und im linken Arm.

Zurück in der Heimat begann der 1895 in Edinburgh geborene Armour in der Rehabilitation intensiv mit dem Golfspielen und bereits 1920 konnte er eine beachtliche Amateurkarriere vorweisen. Nachdem er die French Amateur gewonnen hatte, entschied er sich für den Sprung über den großen Teich. Amerika, das gelobte Land für Profigolfer, war sein Ziel und es schien wie Vorsehung, dass der junge Schotte auf der Überfahrt ausgerechnet Walter Hagen traf. Der elffache Major-Sieger gilt als Symbolfigur für die aufkeimende Professionalisierung und Kapitalisierung im Golfsport und die Loslösung von den Idealen des Amateurwesens. Hagen war es also, der Tommy Armour Türen öffnete und ihm einen Job im Westchester-Biltmore Club in New York verschaffte. Schnell etablierte dieser einen Ruf als herausragender Golflehrer und auch seine Spielerkarriere nahm zunehmend an Fahrt auf, sodass Armour 1924 ins Profilager wechselte.

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TOMMY ARMOUR
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1927, nur zehn Jahre nachdem er in den schlammigen Schützengräben, die Frankreichs Osten durchzogen, beinahe elendig verreckt wäre, gelang ihm der Durchbruch auf der Tour. Insgesamt fünf Turniersiege standen in jenem Jahr zu Buche. Der größte Triumph war dabei sicher der Sieg bei den US Open in Oakmont. Sein starkes Finish brachte ihn in ein 18-Loch-Play-off, das er gegen Harry Cooper souverän gewinnen konnte. Die Kaltschnäuzigkeit in Drucksituationen wurde zu einem Markenzeichen. Herbert Warren Wind schrieb einmal über "The Silver Scot", wie er wegen seiner grau melierten Haare getauft wurde, dass er, wann immer er in einer aussichtsreichen Position beim Kampf um einen Turniersieg gewesen wäre, über sich hinausgewachsen wäre. "Es war der Unterschied zwischen beinahe verlieren oder eben knapp gewinnen. Er war nicht anfällig für den Druck auf den letzten Löchern. Seine Hände liefen heiß, aber sein Kopf blieb kühl." Dieser Wesenszug brachte dem Schotten, der 1942 die US-Staatsbürgerschaft annehmen sollte, insgesamt 25 Siege auf der Tour ein, darunter zwei weitere Major-Siege. 1930 bezwang Tommy Armour Gene Sarazen im Finale der PGA Championship auf dessen Heimatplatz Fresh Meadow auf Long Island. Das Turnier, damals noch als Matchplay ausgespielt, bot einen weiteren Beweis seiner Nervenstärke. All square stand es bis zum 36. und letzten Loch, das Armour dann mit Par für sich entscheiden konnte. Und nur ein Jahr später folgte der Sieg bei der Open Championship in seinem Heimatland. Dieser Sieg in Carnoustie wird gemeinhin auch als der größte in seiner Karriere angesehen, weil er ebenso nah an seinem Geburtsort in Edinburgh gelang.

Für einen Sieg beim Masters blieb aufgrund Armours Karriereende 1935 so gut wie keine Zeit, aber auch ohne Karriere-Grand-Slam stach er unter seinen Zeitgenossen hervor. Zweifellos ob seiner Aura, aber auch wegen seiner Fähigkeiten mit dem Golfschläger. Seine Ballkontrolle sucht bis heute ihresgleichen. Der Sportjournalist Bernard Darwin dazu: "Ich glaube nicht, dass J.H. Taylor oder Harry Vardon sich mit ihren Eisenschlägen so viele Chancen für Birdie-Putts gegeben haben wie er. Sein Style ist die Perfektion aus Rhythmus und Schönheit." Zur Erinnerung: Tommy Armour war auf einem Auge blind und beeinträchtigt durch eine Menge Metall in seinem Körper - was diese Erfolge durchaus noch beeindruckender macht.

Glaubt man den Zeitgenossen, dann wusste er um seine Außenwirkung, seine Aura, sein Talent und spielte damit. "Eine Prise Gleichgültigkeit, ein Hauch Klasse und dazu ein wenig majestätische Würde", es ist dieses beinahe pathetische Persönlichkeitsbild, das der Journalist Charles Price einst entwarf. Dass einige Tommy Armour für mürrisch oder temperamentvoll hielten, geschenkt. "Nichts an seinem Ruf war jemals kleingeistig", so Ross Gardner, eine der Edelfedern von "Golf Digest". Tommy Armour war als Genie mit einem Eisen in der Hand, als bester Erzähler zahlloser Anekdoten, stabilster Trinker und teuerster Golflehrer bekannt. Ein komplexer Charakter eben und sicherlich missverstanden, aber man kann davon ausgehen, dass er es genau so mochte. Bobby Cruickshank, ebenso Schotte und 60 Jahre mit Armour befreundet, sagte einmal: "Er war die liebenswürdigste und herzenswärmste Person, die es geben konnte."

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Anders als manch anderer Golfer oder Sportler verschwand er nach dem Ende seiner aktiven Zeit nicht in der Versenkung, sondern kehrte zu den Ursprüngen seines Amerika-Traums zurück. Er wurde Golftrainer, vermutlich sogar einer der besten aller Zeiten. Im Sommer empfing er in Winged Foot in New York und im Winter strömten die Schüler nach Boca Raton in Florida. Unter anderem gehörten der US Open Champion Lawson Little, "Babe" Didrikson Zaharias und Julius Boros zu seinen Schülern. Letzterer ist als ältester Major-Sieger selbst fest verankert in den Annalen der Golfgeschichte. Boros nannte ihn ein Genie, dem es gelang, das beste Golfspiel aus einem herauszukitzeln. Lawson behauptete sogar, dass Armour für jeden Erfolg, den er hatte, verantwortlich gewesen wäre. Bei so viel Lorbeer aus berufenem Munde verwundert es nicht, dass der Golflehrer Tommy Armour der teuerste seiner Zunft gewesen ist. 50 Dollar für eine Stunde Unterricht ließ er sich bezahlen. Was heute nach einem überschaubaren Betrag klingt, war in den 30er- und 40er-Jahren unerhört viel Geld. Dennoch - oder gerade deswegen - suchten auch viele betuchte Wochenend-Hacker seinen Rat. 1953 schrieb er mit der Hilfe von Herb Graffis sein Wissen und seine Trainingsmethoden nieder. Das Buch "How to Play Your Best Golf" wurde schlagartig zum Bestseller und verkaufte sich bereits im Erscheinungsjahr ganze 400.000 Mal. Basierend auf dem Buch veröffentlichte Armour dann zusammen mit Castle Films eine Reihe Acht-Millimeter-Filme mit seiner Trainingslehre.

Was der ehemalige Kriegsveteran auch anging, es wurde zur Erfolgsgeschichte. Neben der Tätigkeit als Trainer wurde er erfolgreicher Golfplatzarchitekt. Selbst posthum sollte er in der Golfwelt verankert bleiben. In den 70er-Jahren wurde unter seinem Namen eine Marke gegründet, deren Schläger als Einzige in den 1980er- und 90er-Jahren gegen die Ping-Eye-Serie standhielt. Die 845-CB-Silver-Scot-Eisen zählen bis heute mit 600.000 verkauften Schlägersätzen quer durch das Sortiment sämtlicher Anbieter zu den meistverkauften Eisen der Golfgeschichte. Es ist stimmig, dass der Name Armour für so erfolgreiche Eisen steht. Waren es doch die Schläger, mit denen er auf dem Platz am meisten zu überzeugen wusste und die Teil seiner Legende wurden.

Dass auch der größte Lebemann und Tausendsassa jedoch nicht unfehlbar ist, zeigt folgende Anekdote: 1927 "schaffte" es Tommy Armour doch tatsächlich, auf einem Par 5 eine 23 zu notieren. Er spielte also einen sogenannten Archäopteryx (15 über Par und mehr). Bis heute ist das der höchste Score auf allen professionellen Touren, der je auf einem Loch notiert wurde. Und dabei hat sich Kevin Na sehr bemüht, diesen Rekord zu brechen, als er sich 2011 bei den Valero Texas Open durch das Gehölz hackte und eine 16 notierte. Es ist freilich nur eine Fußnote im Leben des Tommy Armour, aber durchaus exemplarisch für die komplexe Person hinter dem Golfer.

Ganz nebenbei hat "der silberne Schotte" auch das Lexikon der Golfweisheiten erweitert. So geht die Wortschöpfung "Yips", also das willkürliche Muskelzucken beim Putten, auf Armour zurück. Wie er zu sagen pflegte: "Wenn du sie hast, dann hast du sie eben." Und wenn heute Golfer in die Mikrofone der wartenden Journalisten flöten, dass es nicht die guten Schläge seien, die einen Champion ausmachen, sondern die Fähigkeit, nur wenige richtig schlechte zu produzieren, dann ist es Armour, der diese Erkenntnis als Erster in Worte fasste.

Ohne Zweifel, Armour gehört zur Hautevolee im Pantheon der größten Golfer aller Zeiten. Dabei spielen seine durchaus beeindruckenden sportlichen Erfolge eher eine untergeordnete Rolle. Seine transzendente Persönlichkeit und sein Einfluss auf den Golfsport verliehen ihm diese exponierte Stellung und sind ein Grund, warum sein Name noch Jahrzehnte nach seinem Ableben 1968 bis heute nachhallt. Dass dann auch sein Enkel Tommy Armour III mit zwei Siegen auf der Tour durchaus selbst erfolgreich Golf spielte, tat ein Übriges.

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