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Interview

Leonie Harm

Von Rudi Schaarschmidt

Die Geschichte von Leonie Harm ist nichts für zimperliche Gemüter. Umso beeindruckender, wie sich die 23-Jährige aktuell in der Profigolfszene nach oben kämpft.

Bevor wir über Golf sprechen: Du hast einen Lebenslauf, in dem so einige Schicksalsschläge auftauchen - inklusive eines zweiten Geburtstags am 03. Mai 2013!
Ich bin damals beim Joggen frühmorgens vor der Schule von einem Auto mit 70 km/h voll erwischt worden. Glücklicherweise hatte eine Augenzeugin eine Sanitätsausbildung und hat bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes eine perfekte Erstversorgung durchgeführt. Da ich aus beiden Ohren blutete, wusste sie, dass das Gehirn weiter Signale bekommen muss, damit es nicht abschaltet. Sonst wäre ich wohl hirntot gewesen. Meine Überlebenschancen waren eigentlich minimal. Ich hatte einen Schädelbasisbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma, ein Hämatom im Gehirn, der Gehörgang und das Felsenbein waren gebrochen, das Innenohr implodiert, die Lunge kollabiert, Rippen, Hüfte und Fußgelenk gebrochen.

Klingt nach einem Wunder, dass wir heute überhaupt miteinander sprechen - und dann auch noch über deine Erfolge als Profigolferin ...
Es ist wirklich alles optimal gelaufen und hätte viel schlimmer kommen können. Nach fünf Tagen wurde ich aus dem Koma zurückgeholt. Ich selbst habe überhaupt keine Erinnerungen an den Unfall und an alles, was danach passiert ist. Und nach sieben Wochen stand ich bereits wieder auf dem Golfplatz.

Unglaublich! Wie hat es sich angefühlt?
Mein Umfeld hat vor Entsetzen die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen. Aber ich hatte keine Schmerzen mehr und meinem Körpergefühl vertraut. Die erste Runde war tatsächlich Even Par.

Du warst in deiner Rookie-Saison auf der LET 2020 bei acht Turnierstarts achtmal im Geld. Warum hast du vor dieser Saison trotzdem gravierende Schwungumstellungen vorgenommen?
Als Nummer vier der Amateur-Weltrangliste bin ich nicht davon ausgegangen, dass der Übergang zu den Profis dramatisch schwierig wäre. Ich habe mir immer hohe Ziele gesteckt und will nicht nur auf der Tour dabei sein, sondern um Siege mitspielen. Mit den Fehlschlägen, die ich 2020 gemacht habe, kann ich diese Ziele nicht erreichen. Ich habe meinen Driver nicht oft genug auf die Bahn gebracht und war auch nicht lang genug. Und meine Wedges waren eine Vollkatastrophe. Meine Schwungbahn war zu flach mit extremer Unterarmrotation. Im letzten Moment habe ich dann versucht, etwas steiler zu werden, um mehr Kontrolle über die Schlagfläche zu bekommen.

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Ich will zwar nicht darauf angewiesen sein, reich heiraten zu müssen, aber Geld ist tatsächlich überhaupt kein Antrieb für mich, weil ich es als Schwäbin sowieso nicht ausgeben würde.
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Du bist beim ersten Turnier 2021 in Südafrika Zweite geworden und hast dich damit für die US Women's Open qualifiziert. Hast du damit gerechnet, dass diese Umstellungen so schnell Früchte tragen?
Nein. Es war mein erstes Turnier nach über fünf Monaten und sollte eigentlich eine Generalprobe sein, um zu sehen, wie sich die Veränderungen in der Praxis bewähren. Dass es zu meiner ersten Major-Teilnahme als Profi geführt hat, war schon toll.

Und du hast beim bedeutendsten Damenturnier als einzige Deutsche den Cut geschafft...
Ich bin früh angereist und habe vier statt normalerweise nur zwei Proberunden gespielt. Der Platz war psychisch extrem anstrengend. Jeder Schlag ein Kampf. Das habe ich in dieser Intensität noch nie erlebt. Mir ist es zwar gelungen, Katastrophen zu vermeiden, aber ich konnte mir fast keine Birdie-Chancen erarbeiten. Dafür bin ich mit dem Ergebnis zufrieden, nicht aber damit, wie ich diesen Stress an mich herangelassen habe.

Für den geteilten 49. Platz gab es 14.500 Dollar. Die Siegerin bekam eine Million. Das sind andere Dimensionen als in Europa. Ist die LPGA Tour das Ziel?
Klar ist das grundsätzlich ein lohnenswertes Ziel. Aber eines meiner Lebensziele ist eher eine Olympia- Teilnahme. Ich will zwar nicht darauf angewiesen sein, reich heiraten zu müssen, aber Geld ist tatsächlich überhaupt kein Antrieb für mich, weil ich es als Schwäbin sowieso nicht ausgeben würde. Ich habe seit 13 Jahren meinen Schwungtrainer in St. Leon-Rot, wo ich auch einen Mannschaftstrainer, einen Athletiktrainer und mein Management habe und eine tolle Unterstützung erfahre. Ich wohne derzeit im Apartment im Clubhaus und habe insgesamt überschaubare Ausgaben.

Für seinen Profieinstieg hätte man sich auch einen günstigeren Zeitpunkt als den Ausbruch einer globalen Pandemie wünschen können. Was hat das mit dir gemacht?
Zu Beginn meiner Karriere durfte ich in Australien, Abu Dhabi und Südafrika noch drei Turniere unter normalen Bedingungen erleben. Danach war Schicht im Schacht: Hotelzimmer nicht verlassen, drei Tests pro Woche, maximal eine Kontaktperson bei Turnieren - eher eine Steilvorlage für eine psychische Krankheit. Das war schon frustrierend und über die Länge einer Saison psychisch belastend.

In deiner familiären Vorgeschichte gibt es einige leidvolle Erfahrungen mit Krebserkrankungen. Du hast in Houston Biochemie und Biophysik studiert mit dem Ziel, später in die Krebsforschung zu gehen. Wie lässt sich das mit einer Profigolfkarriere verbinden?
Jetzt bin ich Golfprofi und zwar so lange, wie ich Spaß daran habe. Ob ich mit 40 Jahren noch Bock habe, um die Welt zu reisen und mich mit dann 20-Jährigen zu messen, kann ich mir gerade nicht vorstellen. Dann ist es schön, eine Alternative zu haben. Mein Bachelorstudium reicht ja auch noch nicht aus, um in der Krebsforschung durchzustarten. Ich müsste wohl noch einen Masterstudiengang oder eine Promotion dranhängen, bevor man mich auf die Menschheit loslässt.

 
Leonie Harm

Leonie Harm

NAME
Leonie Harm

JAHRGANG
1997

WOHNORT
St. Leon-Rot

LIEBLINGSTEAM
VfB Stuttgart

ERFOLGE (AUSZUG):
- Mehrmalige deutsche Einzel- und Mannschaftsmeisterin
- Siegerin Internationale Amateurmeisterschaft von Deutschland 2015 & '18
- Siegerin Ladies British Open Amateur Championship 2018
- Nr. 4 World Amateur Golf Ranking (Deutscher Rekord)
- Team Europe beim Ping Junior Solheim Cup 2015
- Team International beim Arnold Palmer Cup 2019

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