Mini-Touren wie diese sind für die meisten Profi-Golfer das unterste Sprungbrett auf dem erhofften Weg nach oben. Ein Weg, an dessen ultimativem Ziel Turniere wie die Players Championship mit einem Gesamtpreisgeld von 20 Millionen Dollar liegen, von denen der glückliche Sieger Cam Smith 3,7 Millionen mit nach Hause nehmen durfte. Derartige Summen vermitteln den Eindruck, der Beruf Golfprofi könnte ein Selbstläufer sein. Das mag für den Players Champion zutreffen, für Golf-Pros, die von einem Startplatz in Sawgrass nur träumen können, sieht das Leben dagegen weitaus weniger glamourös aus. Matt Killen spielt fernab seiner Heimat in England gleich auf mehreren dieser Mini-Touren. Der 32-Jährige folgt seinem Traum vom Leben als Golfprofi von seiner Wahlheimat Hua Hin in Thailand aus. Beim ersten Turnier der Thailand Mixed Series sind Matt und ich beide an den Start gegangen. Ich habe mich über die Monday Quali ins Teilnehmerfeld gekämpft, während Matt aufgrund seiner Ranglistenposition aus 2021 automatisch dabei ist.
"Lass uns eine Kleinigkeit essen gehen", schlägt Matt nach einer gemeinsamen Trainingseinheit vor. Er hat seine Proberunde bereits hinter sich - übrigens ein wichtiger Posten im knappen Budgets des Profis. Da er das Logo des Springfield Royal CC auf seinem Shirt trägt, spielt Matt zwar greenfeefrei auf der Anlage, doch an der Gebühr für die vorgeschriebenen Caddies führt kein Weg vorbei. Jede Runde schlägt so mit 20 Euro zu Buche, weshalb man Matt täglich und zu fast jeder Uhrzeit auf dem Trainingsgelände antrifft. Range-Bälle sind schließlich kostenlos.

»Ich bin mit dem Zug zu Turnieren nach Malaysia gefahren. Das dauert länger als 16 Stunden - pro Strecke, versteht sich. Heute weiß ich, dass es eine gute Investition ist, ein paar Euro mehr für ein Flugticket zu bezahlen und halbwegs fit am Austragungsort anzukommen."«
"Ich war so etwas wie ein Spätzünder und hatte keine hochdekorierte Junior- oder Amateurkarriere in Großbritannien. Ich war schon recht früh ziemlich gut, aber eben nicht herausragend." Mit einem Handicap von +2 machte sich Matt nach der Schule auf in die Vereinigten Staaten, um in South Carolina vier Jahre lang College-Golf zu spielen. "Selbstverständlich hat dort im Team jeder den Traum, es später mal auf die Tour zu schaffen." Matt war allerdings nicht nur ein guter Golfer, sondern beendete sein Business-Studium auch als Klassenbester. Die Professoren gaben ihm unisono den Rat, an der Uni zu bleiben und einen Masterstudiengang zu belegen. "Aber ich wollte es als Golfprofi versuchen", erinnert er sich grinsend. "Zurück an die Uni und meinen Master machen kann ich schließlich auch später noch." Aus Amerika ging es zurück nach England, wo Matt als Barkeeper arbeitete, um das nötige Geld zu verdienen, um an den wichtigen Amateurturnieren des Turnierkalenders in Großbritannien teilnehmen zu können. "2014 hatte ich dieses Leben dann satt. Es ging mir auf die Nerven, bei Winterwetter trainieren zu müssen, und ich hatte ein bisschen Geld gespart, um endlich alles auf eine Karte setzen zu können. Ich dachte: ,Jetzt oder nie!', und durchsuchte den Kalender nach den verschiedenen Q-Schools. PGA und European Tour waren bereits verstrichen. Die verbliebenen Optionen waren die Sunshine Tour in Südafrika, Australien oder die Asian Tour."
Asien machte am meisten Sinn, also packte Matt seine Koffer und beschloss, dass es an der Zeit war, Golfprofi zu werden. Er scheiterte zwar an der Q-School für die Asian Tour, erspielte sich jedoch eine Spielberechtigung für die Asian Development Tour (ADT). "Bis dahin wusste ich noch nicht einmal, dass diese Development Tour überhaupt existiert. Ich kannte absolut niemanden in Asien und war ziemlich grün hinter den Ohren. Aber ich entschied mich zu bleiben."


Nach einem Jahr Abu Dhabi ging es mit ein wenig Geld auf dem Konto und aufgewertetem Selbstvertrauen zurück nach Thailand, wo erneut die ADT wartete. Allerdings brach kurz darauf Covid-19 über die Welt herein und wie viele Teile des öffentlichen Lebens legten auch die Profi-Golf- und die Mini-Tour-Szene in Asien eine schmerzhafte Vollbremsung hin. "Die vergangenen beiden Jahre waren wirklich hart und es fanden nur wenige Turniere statt. In Europa und den USA ging es im Vergleich zu hier bereits viel früher wieder los", fasst Matt die vergangenen Jahre zusammen und stellt klar, dass die Reisesituation immer noch äußerst schwierig ist.
Als das Mahl verputzt und die Drinks geleert sind, möchte ich Matts Zimmer sehen. Sein Domizil ist sauber und in der Langzeitvermietung äußerst günstig - Musik in den Ohren eines Mini-Tour-Pros. Zusammen mit zwei weiteren Pros lebt Matt hier bereits seit zwei Jahren. Eine Tür weiter hat der dreimalige European-Tour-Sieger John Catlin seine Asien-Basis. Catlin, der 2020 Martin Kaymer den Sieg beim Andalucía Masters in Valderrama stibitzte, hat noch heute seine Golfschuhe, Übungsbälle und einen alten Football in seinem Zimmer im "Billabong" liegen. Erst vor Kurzem war John während zweier Turniere der Asian Tour vor den ersten DP-World-Tour-Auftritten des Jahres wieder in seinem ehemaligen Zuhause. An der Bar neben dem Fernseher, auf dem rund um die Uhr Golf läuft, hängt ein signiertes Bag Catlins. "Eine gute Motivation", ist Matt überzeugt. "Wenn es für Catlin geklappt hat, warum nicht auch für mich?"
Seine Einrichtung ist spärlich. Ein Bett, ein Nachttisch und ein Schrank müssen genügen. Auf dem Boden liegt eine ziemlich in Mitleidenschaft gezogene Yogamatte, denn die "Billabong"-Hauskatze hat diese als idealen Kratzbaumersatz ausgemacht. Von seinen Fitnessbändern und anderem Sport-Equipment lässt sie glücklicherweise die Tatzen. Im Schrank liegen genügend Poloshirts, um geruchsneutral durch eine Turnierwoche zu kommen, daneben Vitamine, Nahrungsergänzungsmittel und geliehene Bücher - über Golf, versteht sich. Dazu die nationale Fußbekleidung Flip-Flops, ein Paar Turnschuhe und die Barfußschuhe, mit denen Matt Golf spielt.


Am Donnerstag startet Matt vielversprechend in die erste Runde und liegt schnell bei 5 unter Par. Ein Fehler kurz vor Schluss kostet jedoch Schläge und so steht am Ende eine 69 auf der Scorekarte. Alles im grünen Bereich. An Tag zwei arbeitet er sich weiter vor, schafft den Cut. Doch Runde drei wird zu einem kleinen Desaster und lässt ihn auf dem Leaderboard nach unten purzeln. Mit einer 70 am Sonntag beendet Matt das Mixed-Turnier halbwegs versöhnlich auf Rang 57 und einem Preisgeld von knapp 500 Euro. Enttäuscht? "Ja, sicherlich. Vielleicht waren meine Erwartung und der Druck, den ich mir gemacht habe, ein bisschen zu groß. Immerhin habe ich Punkte für die Order of Merit gesammelt", resümiert Matt die Woche. Kleine Randnotiz: Für mich hat es am Ende zum 37. Platz gereicht.
Es drängt sich die Frage auf: Warum tut man sich ein solches Leben an? Warum fern der Heimat in einem Motel wohnen, die Tage auf Driving Range und Übungsgrün verbringen, abends bei Reis mit Tofu unter den alten Männern der lokalen Golfszene sitzen und mit den Golfschlägern auf dem Rücken in Bus und Bahn quer durch Thailand zu Turnieren reisen, wenn das Leben in der Heimat so viel mehr Komfort und vermeintliche Sicherheit bieten würde? "Ich habe in all der Zeit nie ernsthaft darüber nachgedacht, zurück nach Hause zu gehen und beruflich etwas anderes zu versuchen, nein! Ich fühle mich sehr wohl hier und spreche die Sprache mittlerweile gut genug für den Alltag.
Thailand ist im Moment für mich der ideale Ort, um Golf auf hohem Niveau zu spielen und besser zu werden, ohne dabei ein riesiges Budget zu benötigen. Ich bin glücklich, tagtäglich das machen zu können, was mir gefällt - nämlich Golf spielen. Aber natürlich bin ich nicht glücklich darüber, wie weit ich es diesbezüglich bisher gebracht habe."

Steckbrief
NAMEMatt Killen
JAHRGANG
1989
GEBURTSORT
Yorkshire, England
WOHNORT
Hua Hin, Thailand
PROFI SEIT
2014
LIEBLINGSTEAM
Wo immer Tom Brady gerade spielt
ERFOLGE
2018
T6 Malaysia ADT (PGM Tour Malaysia)
2018
T6 Riviera Philippines Classic (Philippine Golf Tour)
2019
T5 Maybank Championship (PGM Tour Malaysia)
2019
T7 Pakistan Open (Asian Tour)
Matts Pläne für die kommenden Monate sind sehr konkret: "Ich habe keine volle Tourkarte, doch in dieser Saison werde ich trotzdem einige Starts auf der Asian Tour bekommen. Auf der ADT werde ich alle Turniere spielen können ebenso wie auf der All Thailand und auf der Mixed Golf Tour."
Doch zunächst muss Matt Thailand verlassen. Nach zwei Jahren im Land und einigen Verlängerungen seines Touristenvisums, die von den Behörden mal offiziell, mal inoffiziell genehmigt wurden, ist nun auch mit Bargeld im Immigration Office nichts mehr zu machen. Also geht es für eine Woche zu seinem Sponsor nach Abu Dhabi, danach gibt es einen frischen Stempel in den Pass und der nächste Abschnitt auf dem Weg, vom "Billabong" in Hua Hin aus die Golfwelt zu erobern, kann beginnen.
Kann Matt Killen es schaffen, eines Tages eine Trophäe auf der Asian Tour oder der DP World Tour in den Himmel zu stemmen? Ich hoffe es, denn er ist ein verdammt feiner Kerl, sympathisch, eloquent und enorm fleißig. Er verfügt über die wichtigsten Qualitäten, möchte man als Profisportler erfolgreich sein: Er kann verzichten, allein sein und das Beste aus allen Situationen machen. Da er sein großes Ziel stets fest im Blick hat, ist Matt auch gerne bereit, ein aus europäischer Sicht spartanisches Leben zu führen. Er hat längst erkannt, dass es die kleinen, manchmal auch unangenehmen Schritte auf seinem Weg sind, die ihn besser und widerstandsfähiger machen.