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Rory McIlroy – Teil 2

Reine Kopfsache

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty Images, Imago

Die Achterbahn der Gefühle zeigt auch ein Blick auf die Gewinnchancen der Wettbüros im Verlauf von Rorys Runde, die ihm nach dem zweiten Doppel-Bogey und einem weiteren Bogey an der 14 plötzlich nur noch Außenseiterchancen attestieren. Während Millionen Fernsehzuschauer denken: "Jetzt geht es schon wieder los", bleibt Rotella an der Seitenlinie ganz entspannt. "Rory hat hart an seiner Resilienz gearbeitet. Wenn man Golf liebt, muss man auch lieben, dass es ein Spiel voller Fehler ist, ganz egal wie talentiert man ist." Deshalb sieht Rotella auch keinen Grund einzugreifen, wie er Sky News erklärt: "Jemand hat mich gefragt, was ich Rory nach seinem schlechten Wedge-Schlag an der 13 gesagt habe. Warum sollte ich jemals darüber sprechen? Es war ein Unfall. Warum willst du bewusst und willentlich einen schlechten Schlag noch einmal durchleben? Willst du dich daran erinnern, um es beim nächsten Mal noch mal zu machen?"

Wie wichtig genau diese Einstellung ist, wird im Play-off deutlich. Justin Rose hat seinen Ryder-Cup-Teamkollegen mit einem perfekten Drive und einem brillanten Schlag vier Meter an die Fahne unter Druck gesetzt und McIlroy findet sich plötzlich in identischer Lage wie eine halbe Stunde zuvor wieder. Aus 115 Metern hatte er dort sein Wedge in den Bunker geschlagen und so erst die Ausgangslage für das Bogey gelegt. Doch McIlroy denkt nicht eine Sekunde an das Narbengewebe und legt einen perfekten Schlag mit dem Gap Wedge hin, der wie geplant hinter der Fahne landet und dank der Ondulierung des Grüns kalkuliert bis auf einen Meter an das Loch zurückkommt. Ohne eine Miene zu verziehen, aber mit dem federnden Gang im Schritt zurück geht er Richtung Grün. Und als Justin Rose seinen Putt verschiebt, hat Rory McIlroy erneut seine Chance, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen.

Rory McIlroy:
Es ist mittlerweile 19:16 Uhr und die untergehende Sonne sorgt für lange Schatten auf den Grüns. Obwohl sich Tausende Zuschauer um das 18. Grün herum versammeln, ist es so ruhig, dass man den Flügelschlag einer Libelle hören könnte. Als der Ball sein Schlägerblatt verlässt, verharrt Rory für Sekundenbruchteile in einer Starre, bis der Ball in die linke Lochhälfte eintaucht und tatsächlich versinkt. Als Rory die Hände nach oben reißt, verlässt die Kraft vollkommen seinen Körper. Der Putter gleitet ihm aus der Hand und fliegt im hohen Bogen nach hinten, sein gesamter Körper beginnt zu zittern und Rory fällt auf die Knie. Während sein Caddie Harry Diamond die Flagge zurück ins Loch steckt, stößt Rory einen ohrenbetörenden Schrei aus, der im "Rory, Rory"-Chorus der jubelnden Masse vollkommen untergeht. "Ich habe noch nie in meinem sportlichen Leben eine Erleichterung wie diese verspürt", erinnert sich McIlroy drei Wochen später in der amerikanischen "Today"-Show. "Es war etwas, von dem ich gar nicht wusste, dass es sich so lange Zeit in mir aufgestaut hatte. [...] Es gab im Verlauf der letzten zehn Jahre sicherlich Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob ich so etwas noch einmal erleben würde."

Dass es doch noch einmal geschehen konnte, führt McIlroy in seiner Pressekonferenz auch darauf zurück, dass er psychologisch auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Statt sich vom ersten Doppel-Bogey aus der Bahn werfen zu lassen, zog er etwas Positives daraus: "Seltsamerweise hat es meine Nerven beruhigt. Auf dem Weg zum zweiten Tee war mein erster Gedanke, dass Jon Rahm vor ein paar Jahren nach einem Doppel-Bogey gewonnen hat. Also, zumindest meine Einstellung war richtig, weil ich an etwas Positives gedacht habe."

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Genau diese Philosophie macht den Unterschied aus zwischen dem Rory McIlroy, der 2011 das Masters verloren hat, und dem, der 2025 alle Widerstände überwunden hat. "Ich war ein junger Mann, der noch viel zu lernen hatte und erst noch erwachsen werden musste. Ich habe 2011 noch nicht verstanden, warum ich mich in diese gute Ausgangslage gespielt hatte, und ich habe wahrscheinlich auch nicht verstanden, warum es mir damals aus den Händen geglitten ist", legt er sein Seelenleben nach der Runde vor der Presse bloß. "Ich bin stolz darauf, wie ich zurückgekommen bin, mir den Staub abgeklopft habe und mich nicht habe runterziehen lassen."

Es ist das Resultat harten Trainings. Nicht nur auf der Driving Range und auf dem Putting-Grün, sondern auch in vielen Einzelgesprächen. "Rorys Schwunggeschwindigkeit ist ihm in die Wiege gelegt worden, aber innere Stärke muss man sich erarbeiten", fasst Rotella den immer noch unterschätzten psychologischen Aspekt zusammen, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. "Es gibt talentierte Menschen, die das, was sie tun, nicht lieben und nie den großen Erfolg haben. Und es gibt welche, die weniger Potenzial dafür, aber Leidenschaft haben und verdammt gut werden. Aber die richtig Großen verbinden beides." Große wie Gene Sarazen, Ben Hogan, Gary Player, Jack Nicklaus und Tiger Woods, die den Karriere-Grand-Slam eingefahren haben. Und jetzt auch Rory McIlroy.

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