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Tiger Woods

Hello again! Deshalb klappt sein Comeback

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Ganz im Gegensatz zu Howard Carpendales ist ein erneutes Comeback des besten Golfers aller Zeiten ein Grund, die Korken knallen zu lassen, auch wenn Tiger unsere Hoffnung auf erneute Dominanz schon zu oft enttäuscht hat. Dies sind die fünf Gründe, warum dieses Mal alles anders zu sein scheint.

WIEDERAUFERSTEHUNG

Das Leben des Tiger Woods lässt sich in zwei Kapitel einteilen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das erste Kapitel beginnt mit seiner Geburt am 30. Dezember 1975, umfasst einen Aufstieg vom größten Golftalent des Jahrhunderts zum besten Golfer aller Zeiten und ist gespickt mit Nebenhandlungen, die sich um weltweiten Ruhm, sagenhafte Sponsorenverträge und Buddys wie Michael Jordan drehen. Dieses Kapitel endete am 27. November 2009 an einem Hydranten in Orlando. Das zweite Kapitel im Leben des Tiger Woods beginnt unmittelbar nach dem verhängnisvollen Zusammenprall mit diesem Hydranten, der nichts weniger ist als ein universal verständliches Symbol für die vollkommene Entgleisung des Lebens eines Superstars. Die ersten Monate dieses Kapitels kosteten Tiger Woods nicht nur sein gesamtes Privatleben, sondern auch die Hälfte seines sagenhaften Vermögens und, viel schlimmer noch, sein Gesicht vor der gesamten Weltöffentlichkeit. Der Tiefpunkt war damit aber noch nicht erreicht, denn der kam am 29. Mai 2017, als die Polizei einen schlafenden Tiger am Steuer seines schwarzen Mercedes vorfand. Der Motor lief noch, frische Spuren von Kollisionen an den Felgen und der Karosserie legten Zeugnis einer gefährlichen Irrfahrt ab. Heute wissen wir, dass kein Alkohol im Spiel war, sondern ein Cocktail aus den Medikamenten Vicodin und Xanax dafür sorgte, dass Tiger sich nicht einmal daran erinnern konnte, dass er sich in Florida und nicht in Kalifornien befand.

Niemand von uns war an diesem Tag dabei und über die Vorgeschichte dieses erschütternden Vorfalls kann höchstens spekuliert werden. Fakt ist, dass in dieser Nacht nicht viel fehlte und nicht nur Tigers Leben, sondern auch die Leben Unbeteiligter hätten ein tragisches Ende finden können. Das verstörende Polizeifoto, das Stunden nach dem Vorfall um die Welt ging, zeigt einen Mann, der seelisch und körperlich am Ende scheint. Wie fit und gesund dieser Mann keine zwölf Monate später am Sonntag der Valspar Championship den Driver schwingt und um den Sieg mitspielt, ist nicht nur schier unglaublich, es grenzt an eine Wiederauferstehung. "Die Verhaftung wegen Trunkenheit am Steuer war der Anfang vom Ende", verriet eine anonyme Quelle aus Tigers innerem Zirkel zu Beginn des Jahres Golf World, "und es war der Anfang von etwas völlig Neuem." Tiger Woods hat endlich seinen Körper zurück und wir alle wissen, wozu er damit in der Lage ist.

Tiger Woods:

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TIGER WOODS HAT ENDLICH SEINEN KÖRPER ZURÜCK UND WIR ALLE WISSEN, WOZU ER DAMIT IN DER LAGE IST.
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BITTE LÄCHELN!

Als Ryder-Cup-Captain der amerikanischen Mannschaft ist es seit mehr als einem Jahr Jim Furyks wichtigste Aufgabe, sowohl die sportliche Form potenzieller Teammitglieder als auch deren seelisches Gleichgewicht sowie ihren Gemütszustand zu evaluieren. Schließlich lässt sich nur dann eine schlagkräftige Truppe aus zwölf Topstars zusammenstellen, wenn all diese Faktoren stimmen. Auf die Frage nach Tiger Woods antwortete Furyk während der Farmers Insurance Open im Januar: "Im Vergleich zu vor ein paar Jahren wirkt er wirklich glücklich. Er scheint Frieden mit sich geschlossen zu haben und es scheint, als wäre er frei von Schmerzen. Ich habe den Eindruck, er genießt es, wieder hier zu sein." Begriffe wie "glücklich" oder "genießen" fielen in den letzten Jahren aus verständlichen Gründen praktisch nie in Bezug auf Tiger Woods. Doch auch zu Zeiten der scheinbaren Unverwundbarkeit und der totalen Dominanz während des "Tiger Slam" 2000 und 2001 verwendete kaum jemand Attribute wie diese, um den Überflieger und seine Rolle im Golfzirkus zu beschreiben. Der Kontrast ist 2018 bei jedem öffentlichen Auftritt für alle Welt zwischen seinen Ohren zu beobachten: Tiger lächelt. Und zwar nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig. Er nimmt sich Zeit für Fans und deren Autogrammwünsche, wo er früher, ohne den Blick nach links oder rechts zu wenden, stoisch vorbeimarschiert wäre, und gibt Reportern Antworten, die tatsächlich Einblick in seine Gedankenwelt zulassen, anstatt Phrasen aus dem Handbuch für generische Konversation während seiner Major-Siege aneinanderzureihen. Zum ersten Mal in seiner Karriere scheint er den Spaß nicht nur im Gewinnen zu sehen, sondern in der blanken Anwesenheit hier auf der Tour unter all den langjährigen Begleitern, Kollegen und Gegnern. Keiner dieser Gegner sollte allerdings den Fehler machen, den neuen, freundlichen Tiger für zahm zu halten. Wenn ein genervter Tiger Woods in der Lage war, die Golfwelt nach Belieben zu dominieren, wozu ist dann erst ein Tiger Woods imstande, der tatsächlich Spaß an seinem Beruf hat?

NACKTE FAKTEN

Dass Tiger seit mindestens 1997 der beste aktive Golfer der Welt ist, steht außer Frage. Ab 2004 ließ sich diese Behauptung dann auch statistisch belegen, denn in jenem Jahr führte die PGA Tour die ebenso komplexen wie aussagekräftigen Strokes-Gained-Statistiken ein. Diese messen die Anzahl der Schläge, die jeder Spieler gegenüber dem Feld seiner Gegner gutmacht. Strokes Gained werden für vier Kategorien von Schlägen ermittelt: vom Tee, ins Grün, rund um das Grün und Putts. Von 2004 bis 2009 lag Tiger Woods in allen vier dieser Kategorien im grünen Bereich und nahm seinem engsten Verfolger im Schnitt 1,2 Schläge pro Runde ab. Dieser Wert beschreibt nicht einfach nur einen Vorsprung, sondern einen Klassenunterschied. Woods war zu dieser Zeit nicht nur der beste Spieler bei Schlägen vom Abschlag bis zum Grün, sondern auch beim Putten. Es braucht keinen Statistikprofessor, um daraus eine nur schwer zu schlagende Kombination abzuleiten. Dies war der Tiger Woods, dem jeder Golffan zutraute, Jack Nicklaus' Major-Rekord zu brechen - mit Leichtigkeit. Dann folgten die Verletzung, Skandale und Trainerwechsel, die nicht nur Siege verhinderten, sondern auch Tigers Statistiken auf eine Reise Richtung Süden schickten. Die Saison 2018 hat diese Talfahrt nicht nur gestoppt, sondern dafür gesorgt, dass die Kurven in fast allen Kategorien wieder nach oben zeigen. Sowohl bei den Schlägen ins Grün als auch um die Grüns herum und beim Putten macht Tiger mittlerweile wieder Schläge auf seine Gegner gut und zwar im Schnitt etwa 0,6 pro Runde. Lediglich seine Abschläge können noch als ein Schwachpunkt ausgemacht werden, denn mit dem Driver hat Woods in dieser Saison bisher 0,2 Schläge auf das Feld verloren. Drei Viertel von Tigers Golfspiel sind also bereits siegtauglich, lediglich dem Driver muss noch Benehmen beigebracht werden. Dann wäre der alte Tiger Woods tatsächlich zurück. Statistisch gesehen jedenfalls.

Tiger Woods:
MATERIAL

Es gehört sich nicht, Toten noch auf den Sarg zu spucken, doch die Geschichte von Tiger Woods' aktuellem Comeback wäre nicht komplett ohne eine Erwähnung seines Arbeitsgeräts. Zum ersten Mal seit 2002 trägt Tigers Caddie keine Nike- Schläger mehr über den Platz, denn die Marke aus Oregon zog sich 2016 aus dem Golfschlägermarkt zurück. Nun wird sich herausstellen, ob Phil Mickelsons kontroverse Kommentare von 2003 der Wahrheit entsprechen. "Tiger und ich haben keine Probleme miteinander", erzählte "Lefty" damals dem "Golf Magazine" und nahm kein Blatt vor den Mund. "Außer einem vielleicht: Er hasst es, dass ich den Ball nun weiter schlagen kann als er. Er generiert mehr Schlägerkopfgeschwindigkeit als ich, spielt aber mit minderwertigem Equipment. Tiger ist der einzige Spieler, der gut genug ist, die Nachteile der Ausrüstung auszugleichen, die er spielen muss." Ein Blick in die Ergebnislisten der Major-Turniere lässt Zweifel an Mickelsons These aufkommen, denn zwischen 2002 und 2016, als Schläger mit dem Swoosh auf der Tour gespielt wurden, wurden mit Nike-Equipment insgesamt 16 Major- Trophäen gewonnen. Neun davon gehen allerdings allein auf das Konto von Tiger, während die restlichen sieben von David Duval, Trevor Immelman, Lucas Glover, Charl Schwartzel, Stewart Cink und Rory McIlroy gewonnen wurden. Es waren also mindestens sechs weitere Tour-Pros in der Lage, aus den angeblich minderwertigen Nike-Produkten ebenfalls ein Maximum an Performance zu quetschen. Mit seinem Wechsel zu TaylorMade hat Tiger Woods seit 2017 nun Schläger in der Hand, die zu den meistgespielten der Tour zählen und garantiert keinen Nachteil mehr darstellen. Dieser Nachteil steckte allerdings weniger in den Schlägern, sondern vielmehr im Ball. Im Sommer 2000 wechselte Tiger Woods von den Titleist-Bällen, die er seit seinen Amateurtagen spielte, auf den neuen Tour-Accuracy-Ball seines Sponsors, der tatsächlich alles anderes als schlecht war. Titleist präsentierte im Oktober 2000 jedoch ein neues Produkt namens Pro V1 und der Rest ist Golfgeschichte. Der Pro V1 entwickelte sich binnen weniger Monate zum unumstrittenen Platzhirsch auf dem Ballmarkt und hat diese Position bis heute nicht mehr abgegeben. Mickelson, der damals noch bei Titleist unter Vertrag stand, hatte auch zu diesem Thema eine explizite Meinung: "Ich bin überzeugt davon, dass, wer diesen Ball nicht spielt, einen erheblichen Nachteil gegenüber dem Rest des Feldes hat." Tiger Woods hat noch nie einen Pro V1 in einem Turnier eingesetzt. Sein Material bestehend aus TaylorMade-Schlägern, Bridgestone-Bällen und dem altbewährten Scotty-Cameron-Putter ist nun jedoch absolut auf Augenhöhe mit der Konkurrenz.

NATURGEWALT

Mit den Worten "I guess, hello world, huh?" stellte sich 1996 noch recht schüchtern ein 21 Jahre alter Tiger Woods auf der großen Bühne der PGA Tour vor. Kein bisschen schüchtern ging er allerdings bereits bei seinem Profidebüt mit dem Ball um. Tigers Schlägerkopfgeschwindigkeit und Schlaglängen waren ein Schock für die Profikollegen und selbst Zweifler mussten schnell einsehen, dass mit Tiger Woods nun ein Athlet ans erste Tee trat, wie ihn die Golfwelt noch nicht gesehen hatte. Neben seiner unerschütterlich wirkenden Psyche war es insbesondere die Fähigkeit, jeden seiner Gegner nach Belieben ausdriven zu können, die zu Tigers nie da gewesener Dominanz rund um die Jahrtausendwende führte. In den Jahren 1997 bis 2002 schaffte Tiger jedes Mal die top drei der Driving-Distance-Statistik und musste sich, was die Länge vom Tee angeht, höchstens von John Daly geschlagen geben, der in puncto Spielintelligenz und mentale Toughness alles andere als ein würdiger Gegner war. Die acht Turniersiege, mit denen sich Tiger Woods in den Jahren 2012 und 2013 zurück an die Spitze der Weltrangliste kämpfte, waren ein schier unmenschliches Comeback. Nicht nur hatten in den Jahren zuvor der erniedrigende Sexskandal und die äußerst öffentliche Scheidung den herrschenden Nimbus des Unfehlbaren zerstört, die lange Verletzungspause plus Operationen nach den US Open 2008 schienen auch seiner Athletik den Zahn gezogen zu haben. Weder 2012 noch 2013 schaffte es Tiger, die Top 30 der Longhitter auf der Tour zu knacken. Gegner wie Rory McIlroy oder Dustin Johnson mussten Woods' Drives längst nicht mehr fürchten. Sie schlugen den Ball schließlich 15 Meter weiter. Im Alter von 37 Jahren schien der unerbittliche Lauf der Natur auch vor einem einst gottgleich wirkenden Tiger Woods nicht haltzumachen. Nach den nicht enden wollenden Verletzungssorgen der letzten Jahre und dem völligen körperlichen Zusammenbruch 2016 hätte wohl selbst Tigers Agent Mark Steinberg nicht damit gerechnet, dass sein Schützling irgendwann noch einmal auf den Ball dreschen würde, als wäre es 2001. Doch dann trat Woods bei der Valspar Championship im Februar 2018 an den Abschlag der 14. Spielbahn und zündete einen Drive, als hätte es die letzten 15 Jahre nicht gegeben. Besser noch: Seine Schlägerkopfgeschwindigkeit von 129,2 Meilen pro Stunde war die höchste aller Profis in dieser Saison. Tiger, die Naturgewalt, ist zurück und das ist keine gute Nachricht für seine Gegner. Für uns Fans dafür umso mehr.

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