Scottie Scheffler
Am Samstag des Masters schien Scottie Scheffler das Turnier zu entgleiten. Gerade hatte er auf der 10 ein Doppel-Bogey und auf der 11 ein Bogey produziert und dabei Putts aus einem und aus zwei Metern verschoben. Ein Blick auf das Leaderboard hinter dem Grün der 11 verriet dem Masters-Sieger von 2022, dass er mit vier unter Par nur an sechster Stelle lag, einen Schlag hinter Ludvig Åberg und Bryson DeChambeau, zwei hinter Max Homa, Collin Morikawa und Spielpartner Nicolas Højgaard. Die Ausgangslage für seinen zweiten Schlag an der 12 war klar. Wenn er das Up and Down von hinter dem Grün nicht schafft, könnten sich alle Hoffnungen auf einen zweiten Major-Titel erledigt haben. Wie befürchtet bekam auch ein Könner wie Scheffler seinen Chip auf den pfeilschnellen Grüns nicht zum Halten. Der Ball rollte und rollte und stoppte erst zwei Meter hinter der Fahne. Die Albtraumdistanz! Doch dieses Mal behielt der Texaner die Nerven und rettete das Par. Der Rest ist Geschichte. Mit neuem Selbstbewusstsein ausgestattet lochte Scheffler auf der 13 zum Eagle, während die Konkurrenz Nerven zeigte. Einen Tag später schlüpfte der Weltranglisten-Erste erneut ins Grüne Jackett.
Das Par an der 12 war die Trendwende, doch fragt man den 27-Jährigen nach dem wichtigsten Par-Save seiner Karriere, denkt er nicht an große Titel. Er geht zurück ins Jahr 2018. Damals hatte Scheffler bereits eine vielversprechende Laufbahn als Amateur-Golfer hingelegt. Seit dem achten Lebensjahr unterrichtet von Randy Smith, der Justin Leonard zum Open-Sieg coachte, stieg der junge Scheffler zur gefürchteten Macht im Jugendgolf und an der University of Texas auf. Seine Erfolge, unter anderem bei der US Junior Amateur, blieben nicht unbeobachtet. Als 17-Jähriger erhielt er 2014 eine Einladung zur Byron Nelson Championship, zu der Familienmensch Scheffler Schwester Callie als Caddie mitnahm. Seine Bilanz: ein geschaffter Cut, ein Hole-in-one und die Gewissheit, dass er mithalten kann.
Ein Jahr später dann der Moment, als die Karriere auf der Kippe stand. In der Qualifying School für die Korn Ferry Tour lag er am letzten Loch der letzten Runde neben dem Grün im Rough. Mit einem Bogey würde er aus den Top 40 fallen und eine ungewisse Zukunft vor sich haben. "Wahrscheinlich habe ich dort mehr Druck verspürt, weil man quasi um die Karriere kämpft", erinnert er sich zurück. Der Chip landete zehn Zentimeter am Loch und Scheffler startete durch. Ohne Anpassungsprobleme wurde er sowohl auf der Korn Ferry Tour als auch auf der PGA Tour zum Rookie of the Year gekürt.


»ICH KANN EUCH GAR NICHT SAGEN, WIE SEHR ICH ES HASSE, ÜBER PAR ZU SPIELEN!«
Seit der Rasierer und der Blade Putter in der Garage geblieben sind, gewann Scheffler das Arnold Palmer Invitational, die Players Championship, das Masters und das RBC Heritage. Seine einzige Niederlage? Gegen den Deutschen Stephan Jäger, ebenfalls Besitzer eines prächtigen Vollbarts, verpasste er bei der Houston Open das Play-off nur um einen Schlag. In diesen fünf Turnieren ließ Scheffler insgesamt 506 Konkurrenten hinter sich und spielte so viel Preisgeld ein, dass selbst der Preisgeldanteil seines Caddies Ted Scott den Jahresverdienst von Rory McIlroy übertraf, gewann gegenüber dem Durchschnitt des Felds mehr als 78 Schläge und schraubte seine Serie an aufeinanderfolgenden Runden in Par oder besser auf 44. Besonders auf die letzte Zahl ist er stolz. "Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich es hasse, über Par zu spielen!", diktierte der Sieger noch am Sonntag des Masters den Journalisten in ihre Notizbücher. Dass dies wirklich so ist, kann Ex-NFL-Quarterback und Scheffler-Kumpel Tony Romo aus eigener Erfahrung berichten: "Ich habe um die 500 Runden mit Scottie gespielt und ich glaube nicht, dass er dabei jemals über 70 gespielt hat, was völlig verrückt ist."
Dass bei dieser Dominanz Vergleiche mit Tiger Woods nicht ausbleiben, versteht sich von selbst - zumal Scheffler auf seinen Golfschuhen das berühmte TW-Logo trägt. Woods ist der einzige andere Golfer, der die Players Championship und das Masters in der gleichen Saison gewann - und der letzte Spieler, der das Kunststück fertigbrachte, fünf Starts in Folge mit dem zweiten Platz oder besser abzuschließen. Natürlich kommen diese Vergleiche zu früh: Woods gelang eine solche Siegesserie gleich fünfmal, und um dessen Zeit an der Spitze der Weltrangliste einzuholen, müsste Scheffler bis November 2035 (!) ununterbrochen vorne bleiben. Dennoch ist selbst Woods voll des Lobs und Respekts für seinen Nachfolger: "Wenn er anständig puttet, wird er gewinnen. Wenn er gut puttet, deklassiert er alle. Und selbst wenn er schlecht puttet, spielt er vorne mit. Er trifft den Ball einfach so gut."

BARTSTATUS SEIT 04/'23
RASIERT
Turniere 10Siege 0
OWGR-Punkte Ø 12,71
Preisgeld pro Turnier 770.470 $
STOPPELN
Turniere 6Siege 0
OWGR-Punkte Ø 22,11
Preisgeld pro Turnier 840.525 $
VOLLBART
Turniere 5Siege 4
OWGR-Punkte Ø 58,71
Preisgeld pro Turnier 2.730.747 $
Gerade Letzteres dürfte jeden überraschen, der nur zufällig in die Übertragung eines Golfturniers reinzappt, denn der liebevoll als "Scheffler Shuffle" bezeichnete Schwung ist alles andere als lehrbuchhaft. Wenn er seine 190 Zentimeter komplett in den Abschlag legt, verliert der rechte Fuß vollkommen den Bodenkontakt, während der linke Fuß so auf die Außenseite kippt, dass man am liebsten gleich Dr. Müller-Wohlfahrt rufen möchte. "Seine Fußbewegung täuscht darüber hinweg, wie gut der Schläger durch den Golfball geht, wie stabil er ist und wie solide er schlägt", schwärmt Woods über die Light-Version des "Happy Gilmore"-Schwungs. Und Scheffler selber erklärt, dass er sich bei diesem Aspekt seines Spiels nie mehr verbiegen lässt: "Ich habe ab und an versucht, den Fuß stillzuhalten, aber ich habe dabei kein gutes Gefühl und lege nun mal viel Wert auf Gefühl."
Was für ein Gefühlsmensch er ist, zeigte sich beim Ryder Cup 2023, als er am Sonntag nach einer 9&7-Klatsche von Ludvig Åberg und Viktor Hovland wie ein Häufchen Elend auf dem Cart saß und selbst von Ehefrau Meredith nicht wieder aufgebaut werden konnte. Dabei hatte ihn seine Highschool-Liebe, die er 2020 heiratete, ein Jahr zuvor bei seinem Masters-Sieg wieder zurück in die Spur gebracht. "Ich habe heute Früh wie ein Baby geweint. Ich war so gestresst", verriet Scheffler am Abend seines Triumphs. "Ich saß einfach da und sagte zu Meredith: 'Ich glaube, ich bin nicht bereit für das hier.' Ich fühlte mich einfach überfordert."
Mit seinem von der Familie und Gottesfurcht geprägten Leben gilt Scheffler bei vielen Fans eher als Langweiler. Selbst die Netflix-Kameras von "Full Swing" haben den Dominator des Golfsports bisher eher nur wie eine Nebenfigur behandelt, weil er mit seiner Stabilität nicht gerade für aufregende Handlungsstränge sorgt. Dass Scheffler seit 20 Jahren den gleichen Trainer und seit mehr als zehn Jahren dieselbe Frau an seiner Seite hat, ist aber vielleicht gerade das, was ihn stark macht. Das sieht auch Nelly Korda so: "Er will jedes Turnier gewinnen, bei dem er antritt. Und genau das ist der richtige Angang: Man muss ganz einfach seinen Job machen. Man sollte sich nicht zu viele Gedanken über die Erwartungen und die Artikel machen, die über einen geschrieben werden. Wenn man sich selbst treu bleibt und es schafft, in der eigenen Blase zu leben, kann man es viel mehr genießen."
Die große Frage wird sein, wie lange es Scheffler schaffen kann, diese Blase aufrechtzuerhalten. Seine überragenden Ergebnisse der letzten Wochen, die ihn in der Weltrangliste in eine andere Sphäre katapultierten, führen bereits zu Spekulationen, dass er in der Lage sein könnte, auch bei der PGA Championship, der US Open und der Open Championship zu triumphieren und damit als erster moderner Golfer den Grand Slam in einem Kalenderjahr zu gewinnen.
SCOTTIES STATS 2024
FAIRWAY-TREFFER 74,42% (9.)
DRIVING DISTANCE 299,2 yds. (20.)
GREENS IN REGULATION 74,76% (1.))
DURCHSCHNITTS-SCORE 67,46 (1.)
STROKES GAINED 2,851 (1.)
STROKES G. PUTTING 0,016 (93.)
SCOTTIES TITEL 2024
ARNOLD PALMER INVITATIONAL
Total: 273 (-15)
Money: 4.000.000 $
THE PLAYERS CHAMPIONSHIP
Total: 268 (-20)
Money: 4.500.000 $
MASTERS TOURNAMENT
Total: 277 (-11)
Money: 3.600.000 $
RBC HERITAGE
Total: 265 (-19)
Money: 3.600.000 $
Allerdings erwarten er und seine Ehefrau Meredith dieser Tage ihr erstes Kind, weshalb Scheffler bis zur PGA Championship im Valhalla Golf Club erst einmal eine vierwöchige Pause eingelegt hat. Sollte es ihm dort aus dem Stand dennoch gelingen, die Wanamaker Trophy in den Himmel von Kentucky zu recken, könnte 2024 wirklich das Jahr werden, in dem Scottie Scheffler Golfgeschichte schreibt und sein Name von künftigen Generationen in einem Atemzug mit Tiger Woods, Jack Nicklaus oder Bobby Jones genannt wird.