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Fore right! Social Distancing zum Fairway

Golfboom 2020

Platz: voll, Lager: leer

Von Tim Southwell

Es gibt dem Seuchenjahr 2020 nun wirklich nicht viel Positives abzugewinnen. Die Tatsache, dass völlig unerwartet mehr Spieler denn je auf den Golfplätzen Europas unterwegs sind und Händler mit dem Verschicken ihrer Ware kaum nachkommen, ist ein freudiger Lichtblick für die in den letzten Jahren gebeutelte Golfindustrie.

In meinem Golfclub ist die Hölle los. Plötzlich kommen die Golfer aus allen Löchern gekrochen: Jungspunde, die den PlayStation-Controller weggelegt haben, Damen mittleren Alters, die sich auf den Gin nach der Runde freuen, alte Haudegen, deren Schläger vermutlich aus den 70er-Jahren stammen - plötzlich scheint so gut wie jeder das Golfen entweder neu oder wiederentdeckt zu haben. Der Lockdown mag für viele Menschen und Haushalte einer Katastrophe nahegekommen sein, für den Golfsport stellt sich die Covid-19-Erfahrung ehrlich gesagt als ziemlich berauschend heraus.

Es ist unangenehm, eine Erfolgsgeschichte vor dem Hintergrund eines so deprimierenden Chaos zu feiern, aber hey, in schwierigen Zeiten wird immer jemand Geld verdienen. Ich hatte einfach nicht erwartet, dass es mein Sport sein würde - Golf. Ein Sport, der sich seit Menschengedenken gegen den Vorwurf verteidigen muss, eine Bastion verknöcherter Konservativer zu sein, und seit Jahren mit rückläufigen Mitgliederzahlen zu kämpfen hat. Als die Golfplätze Anfang der Saison im Rahmen des Lockdowns den Spielbetrieb einstellten, unternahm ich aus purer Langeweile einen Spaziergang über das Gelände meines Clubs Haywards Heath in Sussex. Was sich mir dort bot, war eine sowohl deprimierende als auch spektakuläre Szenerie. Perfekte Fairways - menschenleer. Verlassene Grüns ohne Makel. Die wenig einladende Schotterfläche rechts des Roughs der 16. Spielbahn, auf die sich meine Bälle viel zu oft verirren - wie im Winterschlaf.

Golfboom 2020: Golfboom 2020:

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2020 war für eine echte Achterbahnfahrt. Als der Lockdown im Frühjahr beschlossen wurde, war das für uns alle Neuland und wir mussten uns auf eine Vielzahl von Eventualitäten vorbereiten. Aber als die Golfplätze wieder öffneten - nahezu alle großen Golfmarken machten dieselben Erfahrungen -, gab es kein Halten mehr.
Paul Hitchenor
TaylorMade
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Innerhalb weniger Stunden nach der Wiedereröffnung der Golfplätze am 15. Mai wurde der Club mit Anrufen überschwemmt. Als ich es endlich fertigbrachte, eine Runde zu buchen, wurde ich mit einer einmonatigen Warteliste konfrontiert, nur um mich für eine Startzeit bewerben zu können. Der Platz wurde schlicht überrannt. Anfragen auf Mitgliedschaften im Club gingen durch die Decke, genauso wie der Verkauf von Schlägern und Golfklamotten. Es war absolut beispiellos. Helene Issom, Sekretärin des Clubs, befand sich während jenes Dienstags im Mai am nicht stillstehen wollenden Telefon: "Es war total verrückt, aber wir konnten bis heute 167 neue Mitglieder im Club begrüßen, was die Gesamtzahl unserer Mitglieder nun auf 780 erhöht hat. Das Beste aber ist, dass 70 Prozent der Neuankömmlinge unter 40 sind. Die vergangenen Monate waren also grandios für die Golfindustrie." Nicht nur in Haywards Heath explodieren die Mitgliederzahlen. Jeder Club in der Gegend, den ich kontaktierte, beschrieb mir dieselbe Situation. England Golf, der Verband der englischen Amateur-Golfer, meldet einen Zugewinn von 20.000 Golfern in ganz England seit dem Lockdown.

Viele Clubs, Haywards Heath eingeschlossen, nutzten die Gunst der Stunde und schufen finanziell attraktive Angebote, die es vor allem jüngeren Golfinteressierten ermöglichen, weitaus einfacher als zuvor Mitglied zu werden. Meine beiden Söhne wählten die Buddy-Mitgliedsoption und bezahlen nun jeweils 370 Pfund für die Vollmitgliedschaft. Und 100 Pfund davon gingen auf ihre Mitgliedsausweise, um für Essen und Trinken im Clubhaus zu bezahlen. Für einen Anfang-20-Jährigen ist das immer noch viel Geld, aber sie haben es in Scharen getan. "Das ist genau das, was Golf brauchte, um den Leuten zu zeigen, dass das alte Vorurteil, Golf sei zu teuer und zu zeitintensiv, nicht stimmt", ist sich Helene sicher. "Viele Menschen arbeiten nun von zu Hause aus und müssen nicht mehr erst lange in die Stadt fahren. Sie geben nicht so viel fürs Pendeln aus und es gibt ihnen die Möglichkeit, hier und da eine schnelle Neunlochrunde in den neuen Alltag zu integrieren. Für Golf als Sport ist es großartig, denn diese Leute haben uns nicht den Rücken zugekehrt, um Kricket oder Fußball zu spielen; sie haben Golf neu für sich entdeckt und sie lieben es."

Lediglich das soziale Leben im Clubhaus kann mit dieser Entwicklung noch nicht Schritt halten. Neben der ausgedünnten Anzahl an Tischen in der Gastronomie hat die Karte außer den obligatorischen Sandwiches und Chips nicht viel zu bieten. Sobald der Corona-Spuk ein Ende haben wird, darf sich der Club auch hier auf eine sprudelnde Einnahmequelle freuen.

Golfboom 2020: Bild aus grauer Vorzeit: volle Lager bei Trendy GolfGolfboom 2020: Bild aus grauer Vorzeit: volle Lager bei Trendy Golf
Bild aus grauer Vorzeit: volle Lager bei Trendy Golf

Vom Ladenhüter zum Bestseller


Ähnlich wie den Golfclubs ergeht es auch den großen Equipment-Herstellern. Während des wochenlangen Totalstillstands wurden nahezu ausschließlich Putt-Matten, Driving- und Chipping-Netze, eben Dinge, die als Golfmethadon für zu Hause dienen, verkauft. Doch als die Plätze wieder öffneten, haben sich die Verkäufe bei TaylorMade in sämtlichen Sparten gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. Die neue TaylorMade-SIM-Familie, wie sie von Tiger Woods, Rory McIlroy und dem neu gekrönten USPGA-Champion Collin Morikawa verwendet wird, hat mit dem SIM-Max-Modell den meistverkauften Driver des Jahres 2020 in ihren Reihen. Für Paul Hitchenor, TaylorMade Brand Director in Europa, läuft das Geschäft also prächtig: "2020 war eine echte Achterbahnfahrt. Als der Lockdown im Frühjahr beschlossen wurde, war das für uns alle Neuland und wir mussten uns auf eine Vielzahl von Eventualitäten vorbereiten. Aber als die Golfplätze wieder öffneten - nahezu alle großen Golfmarken machten dieselben Erfahrungen -, gab es kein Halten mehr. Wir hätten es uns allerdings nicht träumen lassen, wie schnell und wie nachhaltig der Markt wieder anzog. Ungeachtet der möglicherweise düsteren Aussichten für die Wirtschaft erkennen die Menschen die Bedeutung des Golfsports. Ich denke, es hat geholfen, dass Golf eine der Sportarten gewesen ist, die sich in der ersten Phase der Aufhebung staatlicher Beschränkungen befanden. Golf wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus und bietet die Möglichkeit, Abstand zu den Mitspielern zu halten. Wir können uns also wirklich glücklich schätzen."

Es sind jedoch nicht nur junge Neugolfer, die momentan die Clubs stürmen, sondern Golfinteressierte aller Altersgruppen. Die Tatsache, dass es kurz nach dem Lockdown keine Sportübertragungen im TV zu sehen gab, machte die Golfclubs noch attraktiver. Die gespielten Runden in England verdoppelten sich 2020 gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. "Ich bin natürlich regelmäßig mit den Kollegen anderer Golfschlägerhersteller in Kontakt und sie berichten mir durch die Bank weg dasselbe. Niemand hätte zu Beginn der Saison damit gerechnet, dass in der ein oder anderen Produktfamilie sogar Lieferengpässe auftreten könnten", erzählt Paul. "Das trifft nicht auf alle zu, aber im Großen und Ganzen betrachtet wurden in diesem Sommer, egal ob bei den Hölzern, Eisen oder Bällen, Zuwächse verzeichnet."

Natürlich sind es nicht nur die Hersteller von Golfschlägern und Bällen, die sich in diesem Sommer über eine enorme Nachfrage ihrer Produkte freuen durften. Der Einzel- und Versandhandel musste sich nach Wochen des totalen Stillstands ebenfalls auf einen wahren Run der Golfer einstellen. Deutschlands größter Golfversand, all4golf aus Hannover, hatte in der Zeit nach dem Corona-Lockdown ein deutlich höheres Bestellaufkommen im Vergleich zu den Sommermonaten 2019 zu verzeichnen.

Wenn die Mitgliedschaft abgeschlossen und die neuen Schläger gekauft sind, fehlt nur noch das passende Outfit für einen perfekten Golftag. Kein Wunder also, dass auch beim Onlinehändler TrendyGolf.com die Geschäfte nach langer Durststrecke endlich blendend laufen. "Im April sprach ich mit einem unserer Investoren und wir waren uns sicher, dass wir 2020 abschreiben könnten", blickt TrendyGolf-Gründer Ian McLeod zurück. "Es herrschte totale Unsicherheit und nichts war planbar. Niemand hätte sich vorstellen können, wie schnell sich die Lage auch wieder ändern würde. In den Monaten März und April - da beginnt für uns normalerweise die Saison - brachen unsere Umsätze um 70 Prozent ein. Doch seit Mai können wir uns vor Bestellungen kaum retten. Als die Leute realisierten, dass die Golfplätze wieder offen sind, setzte ein wahrer Run ein. Den ganzen Sommer über hatten wir ein Bestellvolumen, wie wir es vorher nicht kannten. Besonders Golfschuhe verkaufen sich wie nie zuvor; in diesem Segment verzeichnen wir einen Zuwachs von unglaublichen 250 Prozent. Schuhe wie der Puma RS-G haben sich als echte Bestseller herausgestellt, was dazu führte, dass dieses Modell über Wochen nirgends mehr zu bekommen war. Einfach ausverkauft - unglaublich! Die Menschen können oder wollen nicht im Pro-Shop oder Schuhgeschäft einkaufen, also bestellen sie online."

Der Kundenbestand von TrendyGolf ist in drei Monaten um 4.500 Neukunden auf insgesamt 40.000 registrierte sowie aktive Endkunden gestiegen. Im Golfartikel-Onlinegewerbe herrscht Goldgräberstimmung, von einem Generationenwechsel zu sprechen wäre aber zu viel des Guten. "Die Demografie der Golfer, die bei uns einkaufen, hat sich kaum verändert. Es sind immer noch hauptsächlich Männer Mitte 30", verrät Ian. "Zurzeit besteht unser Team aus sieben Mitarbeitern und eigentlich hätten wir genug Arbeit, um drei oder vier mehr zu beschäftigen. Wir unterstützen uns gegenseitig und sind uns daher sicher, alle Bestellungen gut handeln zu können. Wir wollen nun auch keine Luftschlösser bauen, schließlich ist die Situation in der nahen Zukunft noch absolut ungewiss."

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