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Das FBI ermittelt: Zum Glück gibt's in Bangkok kein Capitol

Reisen anno 2021 – Teil 2

14 Nächte lebenslänglich

Von Christoph Günther, Fotos: Christoph Günther

Zu meinen täglichen Aufgaben gehören das zweimalige Fiebermessen und die Datenpflege der App. Als ich das zu Beginn meiner Quarantäne einmal vergesse, ruft umgehend die Krankenschwester an. Ein laxer Umgang mit den Vorschriften wird nicht geduldet. Des Weiteren muss ich jeden Tag den Müll entsorgen. Vor der Zimmertür steht ein rotes Tablett, auf das ich jeden Abend zwischen 19 und 20 Uhr meine rote Biohazard-Tüte legen muss. Kein Witz: Mein Müll ist Biohazard. Ist das Übertragen meiner Körpertemperatur überhaupt datenschutzkonform? Ich muss Claudia Roth mal anschreiben... Zeit für solche Späße habe ich ja.

So vergeht die erste Woche. Tägliches Aufstehen um sieben Uhr gefolgt von Büroarbeit für meine Firma PROject GOLFsports. Nach dem Mittagessen Tennis schauen und jeden Tag ein Work-out im Zimmer. Dafür habe ich mir eine Yogamatte bestellt, die sich zudem ausgezeichnet zum Putt-Training eignet. Meinen Ankleidespiegel nutze ich täglich für Trockenübungen an meinem Schwung. In Zeitlupe so wie einst Ben Hogan. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal eine derartig große Lust auf eine Runde Golf verspürt habe.

Am siebten Tag wird der erste Corona-Test gemacht. Wie spannend - ich darf das Zimmer verlassen. Um neun Uhr klingelt es an der Tür und diesmal wartet das Fukushima-Männchen tatsächlich, bis ich aufmache. Neben der Maske gilt es, auch noch blaue Plastiküberzieher über meine Flip-Flops zu ziehen, und so marschiere ich in ihrer Sinnhaftigkeit beraubten Sandalen den Flur entlang zum Fahrstuhl, der mit geöffneter Tür auf mich wartet. Meine Begleitung steht in der anderen Ecke des Fahrstuhls, das Gesicht mir abgewandt in die Ecke gedreht, als müsse er Buße tun. Die Nurse erwartet mich hinter einer mit zwei Löchern versehenen Plastikwand, durch die sie ihre Hände strecken kann, um bei mir ganz elegant einen Hals- und Nasenabstrich zu nehmen. Das war's. Ich werde wieder abgeführt, aufs Zimmer gebracht und nach fünf Minuten ist die Abwechslung vorbei.

Reisen anno 2021: Entfreundet: wenn die Heimat sich angewidert abwendet
Entfreundet: wenn die Heimat sich angewidert abwendet

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Kurzer Realitätscheck - ich schreibe diese letzten Zeilen auf der Terrasse des Springfield Royal Golf Club. Ich habe heute morgen bei 33 Grad Golf gespielt.
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Die Konsequenzen eines positiven Coronatests wären verheerend. Ich müsste noch am gleichen Tag das Hotel verlassen und in das zuständige Krankenhaus fahren, wo die 14 Tage Quarantäne von vorne beginnen würden. Meine Hotelbuchung wäre verloren, für die entstehenden Kosten müsste die Versicherung aufkommen. Von daher waren die 24 Stunden nach meinem ersten Coronatest in Thailand die unangenehmsten.

In meinem Zimmer sind sämtliche Verhaltensregeln aufgelistet. Die Tür ist nicht verschlossen, sollte ich allerdings das Zimmer unerlaubt und nicht in Begleitung eines Wärters verlassen, so werden, ohne zu diskutieren, die Behörden benachrichtigt, die mich dann abholen und umgehend nach Hause schicken. Alkohol ist auch nicht erlaubt.

Mein Test ist negativ. Zum Glück. Das bringt Vorteile mit sich. Wegen guter Führung darf ich nun jeden Tag für 45 Minuten zum Entspannen - wovon eigentlich? - an den Pool. Während dieser Zeit wird erstmals seit einer Woche mein Zimmer gemacht. Ich überlege mir also, Laufschuhe unter meine blauen Plastiküberzieher anzuziehen, spare mir das aber für den nächsten Tag auf. Ich möchte erst mal erkunden, wie die Laufstrecke um den Pool aussehen könnte. Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße, denn lediglich sechs mit gelbem Isolierband auf dem Boden rund um meine Liege markierte Quadratmeter werden mir auf der Pool-Terrasse zugesprochen. Den ersten Tag bin ich brav und halte mich daran, an den nächsten Tagen wage ich mich über die gelbe Linie hinaus, um ein bisschen was von den Straßen da unten zu sehen. Am Tag nach dieser Mini-Rebellion hängen Zettel auf den Liegen, dass man seinen Bereich bitte nicht verlassen möge.

An Tag acht bestelle ich das Frühstück ab. Obwohl die Essenszeiten eine willkommene Abwechslung sind, wird mir klar, dass Corona Kilos bedeutet. Ich bin ständige Bewegung gewohnt, frühstücke zu Hause nie. Nun besteht meine einzige tägliche Bewegung in den Metern zum Klo und zurück. Dazu mein Work-out - so kann das nicht weitergehen.

14 Nächte lebenslänglich: Kinderfreuden: Sandkastenspiele nach 14 Tage Hausarrest (l.), Turbulenzen beim Check-in: Ist das noch Handgepäck? (r.)14 Nächte lebenslänglich: Kinderfreuden: Sandkastenspiele nach 14 Tage Hausarrest (l.), Turbulenzen beim Check-in: Ist das noch Handgepäck? (r.)
Kinderfreuden: Sandkastenspiele nach 14 Tage Hausarrest (l.), Turbulenzen beim Check-in: Ist das noch Handgepäck? (r.)

LICHT AM ENDE DES TUNNELS


Die Australian Open neigen sich dem Ende entgegen. Nun bleiben mir nur noch Golf-Tipps auf Golf Channel Thailand. Den Zusammenbau meines Fahrrads habe ich mir als Schmankerl für die letzten Tage aufgespart, um dann frustriert festzustellen, dass eine der Scheibenbremsen auf dem Flug verbogen wurde. Die To-do-Liste für den ersten Tag in Freiheit muss also geändert werden. Ganz oben steht nicht mehr der Friseurbesuch, sondern der Bike-Shop.

Es mag absurd klingen, doch kurz vor Ende der Quarantäne beschließe ich, eine Nacht zu verlängern und nicht gleich in Richtung Strand aufzubrechen. Stockholm-Syndrom? Keineswegs, doch zum einen stehen schon so einige Sachen auf meiner Liste, zum anderen will ich unbedingt den Perspektivenwechsel erleben. Ich will da unten auf der Straße stehen, auf die ich ständig hinabblicke, und zu meinem Zimmer hinaufsehen.

Meine Strichliste an der Wand, wie man sie aus Knastfilmen kennt, ist eine Sammlung aus leeren Singha-Drinking-Water-Flaschen, die ich seit Tag eins über dem Bett aufgereiht habe. Es fehlen nur noch wenige Flaschen, als mir einfällt, dass ich für diese Geschichte auch Fotos benötige. Doch was könnten die Motive sein? Bett, Schreibtisch - vielleicht zu den unterschiedlichen Tageszeiten? Wasserkocher-Stillleben im Morgengrauen? Zum ersten Mal benutze ich den Selbstauslöser meines iPhone. Ab vors Fenster, den Blick in die Ferne schweifen lassen und fertig ist das erste Foto. Meiner überschaubaren Insta-Gemeinde scheint es zu gefallen. Keine fünf Stunden, nachdem ich das Foto der Welt zur Verfügung gestellt habe, klingelt mein Zimmertelefon. Chris, der Manager, möchte - leicht scherzhaft - wissen, wer denn bitte das Fotos von mir gemacht habe. Das gesamte Team des Hauses wäre am Grübeln, wie das Foto entstanden sei.

Am vorletzten Tag steht noch einmal ein PCR-Test auf dem Programm. Ganz begeistert überbringt mir die Nurse die frohe Kunde: negativ. Zahlreiche Hotelangestellt gratulieren mir, als gäbe es einen runden Geburtstag zu feiern. Das Zimmer verlassen darf ich allerdings noch nicht, denn die gesamte Zeit muss abgesessen werden. Der letzte Tag zieht sich wie Kaugummi. Ich packe, schließlich muss ich trotz der Verlängerungsnacht diesen Teil des Gebäudes verlassen und in den anderen Tower umziehen. Das Front Desk möchte wissen, wann ich abgeholt werden möchte am nächsten Morgen: 7:30 Uhr? 6:30 Uhr wäre mir lieber. Es kann gar nicht früh genug sein.

Reisen anno 2021: Stillleben: Bangkok, nachdem Skynet die Weltherrschaft übernommen hat
Stillleben: Bangkok, nachdem Skynet die Weltherrschaft übernommen hat
Als am Entlassungstag um sechs Uhr der Wecker klingelt, stelle ich feierlich die 15. Flasche auf den Sims meines Betts, ziehe meine blauen Schuhüberzieher ein letztes Mal über, schaue noch mal runter aus meinem Fenster und mache mich auf den Weg, um Bangkok zu erkunden. Ich habe es geschafft! 15 Nächte Quarantäne sind überstanden. Viele meiner Freunde und Bekannte haben den Kopf geschüttelt und gefragt, warum man so etwas ernsthaft in Betracht zieht. Kurzer Realitätscheck - ich schreibe diese letzten Zeilen auf der Terrasse des Springfield Royal Golf Club. Ich habe heute Morgen bei 33 Grad Golf gespielt. Mein zweiter Wassermelonen-Smoothie ist gerade auf dem Weg, danach lege ich mich noch ein bisschen an den Pool, bevor ich mir dann noch eine Trainingseinheit gebe. Morgen werde ich auf den leeren Straßen rund um Hua Hin eine Radeinheit absolvieren und am Nachmittag wieder in meinen neuen Heimat-Golfclub nach Springfield fahren. Ja, ich bin seit 26 Jahren zum ersten Mal wieder Mitglied in einem Golfclub, weil ich unbändige Lust auf dieses großartige Spiel habe.

45 Tage darf ich ohne Visum in Thailand bleiben. 15 davon hat die Quarantäne gefressen. Nun werde ich die mit meiner Freiheit erkaufte Zeit im menschenleeren Urlaubsparadies bis zur letzten Sekunde ausreizen, ehe es wieder nach Hause geht, wo ich dann hoffentlich wieder Geld verdienen kann.

Würde ich es wieder tun? Die Quarantäne, meine ich. Selbstverständlich. Im November werde ich wieder nach Thailand reisen. Hoffentlich geimpft und ohne Schwierigkeiten. Doch selbst 14 Tage Eremitentum im Hotel könnten diese Reise nicht verhindern. Schließlich gilt es, das Maximum aus meiner Jahresmitgliedschaft im Springfield Royal Golf Club zu holen. Schon erstaunlich, wie sehr eine 14 Tage dauernde Vorfreude auf die erste Golfrunde seit Langem die der Routine zum Opfer gefallenen Liebe zum Golfsport wieder aufleben lassen kann.

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