Featured StoriesFeatured Stories

Titelstory

Fairway Jordan

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Sein Status auf dem Basketball-Court wird niemals infrage gestellt werden, doch auch auf dem Golfplatz ist Michael Jordan längst einflussreicher als so manch gestandener PGA-Pro. Kein Wunder, schließlich spielt Nummer 23 nicht nur mehr Golf als Tiger Woods, sondern verkauft auch mehr Schuhe. Millionenfach...

Mehr als neun Stunden lang zementiert die grandiose Dokumentation "The Last Dance" das überlebensgroße Denkmal des vielleicht größten Popstar-Athleten aller Zeiten, erzählt Geschichten von Buzzer-Beatern, Olympiagold und NBA-Meisterschaften. Keine Szene lässt jedoch tiefer blicken als ein scheinbar harmloses Zeittotschlagen im März 1988. Jordan und sein Bodyguard Michael Wozniak vertreiben sich in den Katakomben des United Center mit einem Spielchen, das auf deutschen Schulhöfen als Fuchsen bekannt ist, die Langeweile und messen sich darin, wer Vierteldollarmünzen dichter an einer Wand zum Liegen bekommt. Eigentlich unspektakulär, würde Wozniak nicht die Frechheit besitzen, Jordan zu schlagen - in einem Wettkampf! Nicht nur das, der Security-Mann traut sich sogar, seinem Arbeitgeber eine Dosis dessen eigener Medizin, kaltblütig verabreichter Trash Talk, in die offenen Egowunden zu reiben, während er grinsend das gewonnene Geld einsackt. Jordans Körpersprache ist eindeutig; in "Space Jam" würde ihm in einer vergleichbaren Situation Dampf aus den Ohren schießen. Nur für wenige Sekunden gelingt es ihm, die Fassung zu wahren, ehe mit einem gebellten "Security! Musst du nicht das verdammte United Center bewachen?" das Mächteverhältnis wieder geradegerückt wird.

Wettkampf endet für Michael Jordan nicht nach vier Vierteln und wird nicht von den Auslinien eines Basketball-Courts begrenzt. Gewinnen ist die einzig relevante Größe in der Mentalität eines Athleten, dem es gelungen ist, die höchsten Höhen des Profisports zu erklimmen, und es spielt keine Rolle, ob sich ein Sieg im siebten Spiel der NBA-Finals, bei einem High-Stakes-Poker-Match mit Berufszockern oder beim Fuchsen mit Buddys zuträgt.

Niederlagen, die auf die Kappe unter ihren Möglichkeiten spielender Teamkollegen gingen, müssen für ein kompromissloses Sportalphatier wie Jordan die Hölle gewesen sein. Dem langjährigen Bulls-Center Horace Grant verweigerte No. 23 während eines Heimflugs nach einem verlorenen Spiel sogar das Essen und wies die Stewardess an: "Geben Sie ihm nichts. Er hat es nicht verdient."

Titelstory: Typisch Ami: Die besten Plätze im Freibad werden mit der Fahne reserviert
Typisch Ami: Die besten Plätze im Freibad werden mit der Fahne reserviert

»
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Platz gefunden, der es mir erlaubte, all der Hektik um mich herum zu entkommen. Wenn man ständig von Chaos umgeben ist, muss man sich von Zeit zu Zeit allem entziehen.
«

Da es jedoch das Schicksal eines jeden Mannschaftssportlers ist, und sei er auch der beste aller Zeiten, von Mitspielern abhängig zu sein, verwundert es nicht, dass Michael Jordan bereits im Studentenalter einen Narren an Golf gefressen hatte. Schließlich bietet kein anderer Sport derartig unendliche Möglichkeiten für Wettkämpfe und Zockereien, liefert unantastbar objektive Ergebnisse und lässt jeden Spieler so auf sich allein gestellt wie Golf. Kein schlechter Pass eines Mitspielers und kein fragwürdiger Pfiff eines Schiedsrichters können sich auf dem Golfplatz zwischen Michael Jordan und den Sieg stellen.

Vielleicht ist die Liebesbeziehung zwischen "Air" Jordan und dem Golfspiel auch viel simpler mit den Worten Scottie Pippens erklärt: "Während meiner Rookie-Saison schenkte Michael mir einen Satz Golfschläger." Eine nette Geste, doch Pippen vermutet Eigennutz: "Er wollte mich ködern, um mir später all mein Geld abknöpfen zu können."

ERSATZWETTKAMPF
Ende März 1984 - die University of North Carolina Tar Heels hatten gerade überraschend das regionale Halbfinale gegen die University of Indiana verloren und die Saison war damit vorüber. Jordan hatte mit 13 Punkten eine unterdurchschnittliche Partie in seinem letzten Collegespiel, wie sich später herausstellen sollte, abgeliefert. Sein Teamkollege Buzz Peterson hatte kurz zuvor die Bekanntschaft eines gewissen Davis Love III gemacht, der zu dieser Zeit für die UNC im Golfteam spielte. Love hatte sich bereit erklärt, Peterson, der noch nie einen Golfschläger in der Hand gehalten hatte, mit auf den Golfplatz zu nehmen, und da die Saison beendet war und Langweile in der Luft lag, fragte Jordan kurz entschlossen: "Was dagegen, wenn ich mitkomme?"

"Er fuhr mehr Golfcart, als dass er spielte", erinnerte sich Love Jahre später, "aber ab und an griff er sich einen Putter oder einen Driver und versuchte, den Ball zu schlagen. Man konnte sehen, wie sein Interesse wuchs." Noch im gleichen Frühjahr spielte M.J. seine erste richtige Golfrunde gemeinsam mit einem Mannschaftskollegen aus dem Tar-Heels-Basketballteam und Davis Love III. 17 Löcher lang gelangen ihm nur einige Bogeys und weitaus schlechtere Scores, doch das erste Par löste etwas in Michael aus: "Von dem Moment an war ich angefixt", erklärte er im März in einem Interview mit pgatour.com.

Zwar war die Medienaufmerksamkeit, die dem Ausnahmespieler damals zuteilwurde, längst nicht mit dem Hype seiner erfolgreichsten Tage in der NBA zu vergleichen, doch auch Collegespieler stehen unter immensem Druck und Golf taugte daher schon früh als Ventil. "Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Platz gefunden, der es mir erlaubte, all der Hektik um mich herum zu entkommen. Wenn man ständig von Chaos umgeben ist, muss man sich von Zeit zu Zeit allem entziehen. Ich denke, wer Golf wirklich versteht, der schätzt die Abgeschiedenheit und die Ruhe. Nicht jedem gefällt diese Art der Flucht, für mich war es jedoch von Beginn an das Coolste überhaupt."
Die Rolle des ersten Mentors und Golf-Coachs übernahm jedoch nicht Davis Love, sondern der damalige Head Pro des universitätseigenen Finley Golf Club Ed Ibarguen. Jordan verbrachte während seines letzten Jahres am College beinahe jede freie Minute dort. "Der Golfvirus hatte ihn wirklich erwischt", erinnert sich Ibarguen. "Wir standen morgens auf, besorgten uns auf dem Weg zum Golfplatz Egg McMuffins bei McDonald's, spielten Golf, aßen Hot Dogs im Clubhaus und gingen danach wieder spielen."

Ed Ibarguens Frage, ob Jordan es wirklich ernst meinte mit dem Golftraining und er nachhaltig an seinem Schwung arbeiten wollte, war zu jenem Zeitpunkt mehr rhetorischer Natur und der Pro wurde zum ersten Golflehrer von Michael Jordan. Mehr noch, die beiden spielen bis heute gemeinsame Golfrunden, sind regelmäßig gemeinsam bei Ryder Cups und Presidents Cups anzutreffen und unternehmen Buddy-Trips ins Home of Golf nach St. Andrews.

BRÜDER IM GEISTE

1990 behauptete ein gerade mal 14 Jahre alter Tiger Woods, dass er beim Ausmalen der vor ihm liegenden Karriere sich keineswegs am größten Golfer aller Zeiten Jack Nicklaus orientierte, sondern am dominierenden Athleten seiner Zeit. "Ich könnte vielleicht einmal so etwas werden wie Michael Jordan für Basketball", verriet Woods damals "Trans World Sport" und sollte recht behalten. Über den Weg gelaufen waren sich die beiden maßgeblichen globalen Sportstars der vergangenen 30 Jahre da allerdings noch lange nicht. Doch als Woods sechs Jahre später ins Profilager wechselte und umgehend einen astronomisch dotierten Sponsorendeal mit Nike unterzeichnete, war die Verbindung zwischen den beiden Markenkollegen hergestellt. Der frisch gebackene Golfpro hatte eine gesunde Vorstellung von dem, was ihn erwarten und wie sich sein Leben verändern würde, einen besseren Ratgeber als Michael Jordan gab es auf dem gesamten Planeten nicht. "Mike ist in einer Position, in der sich mein Leben auch entwickelt", verriet Woods 1997 Oprah Winfrey in einem Interview. "Ich hatte einige Probleme und wusste nicht, wie ich mit bestimmten Situationen umgehen soll. Zum Beispiel, dass ich nun erkannt werde, der Verlust meiner Privatsphäre, Artikel, die über mich geschrieben werden, einfach der Umgang mit Menschen - Mike hat mir dabei sehr geholfen, denn er hat das alles bereits erlebt. Mike ist beinahe wie ein großer Bruder für mich." Ein großer Bruder, der bereits früh jede Menge Respekt für die Leistungen des kleinen zeigte. Jordan hatte zu dieser Zeit bereits vier seiner insgesamt sechs Meisterschaften gewonnen und trotzdem bezeichnete er den 13 Jahre jüngeren Golf-Shootingstar als "meinen persönlichen Helden". Wenige Wochen später gewann Tiger in Augusta sein erstes Major und schoss seine Karriere damit endgültig auf dieselbe Umlaufbahn.

Featured Stories