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Äußerst schwierige Lage: brusthohes Rough

Titelstory – Teil 2

Fairway Jordan

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Die Parallelen der beiden Übersportler gehen weit über vergleichbare Karriereverläufe hinaus. Vor allem die buchstäbliche Besessenheit auf Siege und persönliche Rekorde, aber auch der bedingungslose Wettkampfgedanke, den sich sowohl Woods als auch Jordan zuschreiben, separiert die beiden von anderen Seriensiegern der vergangenen Jahrzehnte. 2001 schrieb Jordan im einem Artikel für das "ESPN Magazine": "Wenn er in Führung ist, gibt er sie nicht mehr ab. Wenn ein großartiger Schlag gefordert wird, dann spielt er ihn. Und je öfter ihm das gelingt, desto selbstbewusster wird er, dass er diese Leistung wiederholen kann. Tigers Selbstbewusstsein wird durch seine Arbeitsmoral und seine errungene Erfolge gespeist. Wenn er seinen Ball um einen verdammten Baum hooken möchte, dann tut er das einfach. Wenn wir den dämlichen Ball hooken, dann trifft er den Baum."

Mit all der gegenseitigen Hochachtung ist es jedoch vorbei, sehen sich die beiden auf dem Golfplatz oder als Wettgegner konfrontiert. Als sich Woods einst in aller Öffentlichkeit sicher war, dass Jordan Bethpage Black im US-Open-Set-up nicht unter 92 Schlägen absolvieren könnte, hob dieser den Fehdehandschuh auf und nahm die Gratis-Motivation dankend an. Trotz Triple-Bogey auf Bahn 1 brachte "His Airness" eine 86 ins Clubhaus. Gefragt, ob er seinem Kumpel Woods etwas sagen möchte, antwortete Jordan trocken: "Ich akzeptiere keine Schecks!"

HIGH ROLLER

Jordans Wettgeschichten auf dem Fairway sind legendär. Und wie jeder guten Heldensage sollte man ihnen mit einem gewissen Maß an Misstrauen gegenübertreten. Denn so wie die Minnesänger am Lagerfeuer ihre Geschichten jedes Mal größer und spektakulärer erschienen lassen, plustern sich natürlich auch Jordans Mitspieler im Clubhaus vor ihren Freunden auf. Aus einem gelochten Putt aus drei Metern wird so irgendwann ein Putt aus 20 Metern und aus einer Wette um 5.000 Dollar ein Spiel um 50.000 Dollar.

Eines ist klar: Wenn Jordan Golf spielt, braucht er den Kick, um Geld zu spielen. Und für jemanden mit einem geschätzten Vermögen von zwei Milliarden Dollar ist dieser Kick nicht einfach zu finden. Die Legenden, die sich um ihn herum entwickelt haben, sollte man dennoch mit Vorsicht genießen. Dass NBA-Commissioner David Stern 1994 Jordan gesperrt haben soll, weil der angeblich gegen Richard Esquinas 1,25 Millionen Dollar auf dem Golfplatz verloren hatte, hält sich bis heute hartnäckig als Gerücht. Aber kein Unternehmer der Welt würde ernsthaft seine Cashcow freiwillig vom Hof jagen.

Titelstory:

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Ich habe jeden Psychotrick versucht, der mir zur Verfügung stand. Ian ist ein wirklich starker Charakter, und als ich ihn ein wenig angestachelt habe, hat ihn das kein bisschen aus dem Konzept gebracht - im Gegenteil.
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Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1992 trainierte das Dream Team in Monte Carlo und natürlich gehörte auch Golf zum Trainingsprogramm. Jordan forderte Nationaltrainer Chuck Daly zum Match - und verlor. Am nächsten Morgen wurde Daly von einem dumpfen Donnern geweckt. Es war #23, der wie verrückt an der Hoteltür hämmerte, bis Daly sich zu einem Rematch bereit erklärte. Der Ausgang dieses Matchs muss nicht weiter erläutert werden. "Ich habe kein Spielproblem", räumt Jordan in den "The Last Dance"-Interviews mit diesen Vorurteilen auf, "ich habe ein Wettkampfproblem." Das ist der Grund, warum er nicht einfach eine Runde Golf spielen oder auf Trash Talk verzichten kann. Der Gegner ist dabei irrelevant. Bill Clinton teete seinen Ball während einer Runde mit Jordan einst bei den weißen Abschlägen auf. "Du willst doch wohl nicht von den Abschlägen für kleine Mädchen spielen", frotzelte Jordan und zwang Clinton, von den Championship-Tees abzuschlagen.

Auch Fußball-Legende Gary Lineker hat eine Jordan-Golfanekdote parat. Gemeinsam mit Samuel L. Jackson und weiteren Freunden wollte Jordan eine Runde in Sunningdale drehen. Doch am Wochenende kommt dort niemand, nicht einmal der bekannteste Sportler der Welt, ohne ein Mitglied auf die Anlage. Und so durfte Lineker gemeinsam mit dem ehemaligen Ryder-Cup-Spieler Michael King die Gastgeberrolle übernehmen. Klar, dass King die Chance nicht ungenutzt lassen wollte, Jordan ein paar Dollar aus der Tasche zu ziehen. Als es darum ging, die Höhe des Wetteinsatzes festzulegen, sagte Jordan trocken: "Nimm eine Summe, bei der du dich unwohl fühlst." Denn das ist das wahre Geheimnis von Jordans Stärke auf dem Golfplatz. Er hat vielleicht nicht den schönsten und stabilsten Schwung, aber wenn es um Nervenstärke geht, macht dem sechsfachen NBA Champion keiner was vor. Diese Erfahrung musste auch Bulls-Mannschaftskollege Will Perdue machen.

Der 2,13-Meter-Hüne wollte es Paul Newman in "Die Farbe des Geldes" nachmachen und durch eine clevere Abzocke an Geld kommen. Perdue hatte in seinem Freundeskreis einen PGA-Tour-Gewinner, mit dessen Hilfe er Jordan wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollte. In einer Radioshow verriet der ehemalige Center, dass es um 100.000 Dollar gehen sollte und dass er überzeugt war, sein Freund könne Jordan um mindestens zehn Schläge unterbieten. "Jordan ist gar kein so guter Golfer", erläuterte Perdue seinen Plan. "Er weiß nur ganz genau, welche Knöpfe er bei dem anderen drücken muss." Für Perdues Freund brauchte es nicht mal das. Allein bei der Summe bekam der gestandene Profi weiche Knie und Perdue sagte das Match ab.

Noch weniger Aussicht auf Erfolg gegen M.J. auf dem Golfplatz verspricht die Methode Trash Talk, wie Brooks Koepka lernen musste. Der vierfache Major-Sieger ging mit 1up auf die 17 und begann, übermütig zu werden. "Ich habe dich genau da, wo ich dich haben wollte", prahlte Koepka. Jordan konterte kühl: "Ich verliere nie das letzte Viertel", hämmerte seinen Drive aufs Fairway und gewann die letzten beiden Löcher.

GOLFFAN NO. 1

Von dieser Mentalität wollte auch das amerikanische Ryder-Cup-Team profitieren. Seit 1997 war Michael Jordan ständiger Gast bei dem Kontinentalwettstreit - aus Liebe zum Golf, aus Bewunderung für Tiger Woods und aus Freundschaft zu Fred Couples. 1997 fuhr er im Buggy von Kapitän Tom Kite über den Platz von Valderrama, 1999 trieb er Team USA mit Stars-and-Stripes-Flagge zum Sieg in Brookline. Jordans Rolle als Team-Maskottchen wurde 2009 auf eine neue Ebene gehoben, als Couples ihn zum Vizekapitän beim Presidents Cup in San Francisco berief. "Als ich davon hörte, schrieb ich ihm eine SMS.

Ich meinte: 'Freddy, was erwartest du von mir? Soll das ein Witz sein?' Er erwiderte: 'Nein, ich möchte, dass du Teil meines Stabs bist und uns allen dabei hilfst zu verstehen, wie Teamsport wirklich funktioniert.'" Das Experiment lief so gut, dass Davis Love III es 2012 beim Ryder Cup in Medinah vor den Toren Chicagos wiederholte. Tatsächlich war Jordan überall. Egal, wohin die TV-Kameras schalteten, wie in der Fabel von Hase und Igel war Jordan schon da.

Nachdem die Amerikaner kurz vor Ende des zweiten Tages meilenweit in Führung lagen, schien Jordan das Amt des Vizekapitäns auf Lebenszeit sicher. Doch am Sonntag traf er auf die Golf-Version der Bad Boys Pistons, die ihm die ersten Jahre seiner Basketballkarriere versaut hatten: Ian James Poulter. Der Engländer war von der Präsenz Jordans so aufgeputscht und motiviert, dass er den Lauf seines Lebens hatte. "Ich bin Jordan-Fan", erklärte Poulter anschließend den Journalisten. "Aber je mehr das Match sich dem Ende näherte, desto mehr drängte er sich in den Vordergrund. Und als ich an der 16 den langen Putt lochte und vom Grün ging, versetzte er mir mit seiner riesigen Pranke von einer Hand einen Hieb auf den Brustkorb, der mich fast zurück aufs Grün befördert hat. Ich dachte mir: ,Okay! Wenn du so spielen willst, dann schau mal gut zu!'" Poulter und McIlroy spielten die letzten beiden Löcher nur Birdies und damit begann eines der größten Comebacks in der Ryder-Cup-Geschichte. Den "Mailman" Karl Malone mag Jordan im Griff gehabt haben, aber der "Postman" Ian Poulter war eine Nummer zu groß für ihn. "Ich habe jeden Psychotrick versucht, der mir zur Verfügung stand. Ian ist ein wirklich starker Charakter, und als ich ihn ein wenig angestachelt habe, hat ihn das kein bisschen aus dem Konzept gebracht - im Gegenteil." Und so endete das US-Experiment mit Jordan als Vizekapitän nach nur einem Auftritt.

Medinah 2012 war nicht der einzige Rückschlag, den der erfolgsverwöhnte Superstar im Golfsport hinnehmen musste. 1991 trug er zwar alle Erwartungen der Bulls-Fans, ja, ganz Chicagos auf seinen Schultern. Das bedeutete allerdings nicht, dass er überall gern gesehen war. Zwar freute sich jeder Country Club darüber, wenn Jordan seine Aufwartung machte, zum Mitglied wollten sie ihn jedoch nicht machen. Insbesondere die Ablehnung zweier jüdischer Clubs traf ihn hart. Dass Hautfarbe eine Rolle spielte, wurde nie als Argument aufgeführt, lag aber unausgesprochen in der Luft.

Für ihn war damals bereits klar: "Wenn ich genug Geld habe, eröffne ich meinen eigenen Country Club und lasse nur rein, wer mir gefällt." Dreißig Jahre später ist es jetzt tatsächlich so weit. Im Herbst 2019 eröffnete Jordan in Hope Sound/Florida "The Grove XXIII". Der Grund: die Spielgeschwindigkeit in seinem bisherigen Heimatclub "The Bear's Club" war so langsam geworden, dass M.J. Probleme hatte, seine obligatorischen 36 Löcher am Tag zu spielen. In "The Grove" wird er dieses Problem nicht haben, zumal das von Architekt Bobby Weed als Doppelhelix angelegte Routing viele verschiedene Schleifen ermöglicht, um mögliche Staubildungen im Keim zu ersticken. Doch wie soll Jordan in einem Club, der weniger als 100 Mitglieder haben wird, seinen unstillbaren Durst nach Wettkampf befriedigen? Auch dafür hat "Air" Jordan bereits eine Lösung gefunden. Einer der Mitglieder wird Phil Mickelson sein - und der ist schließlich dafür bekannt, auf Golfrunden ebenso hemmungslos zu wetten wie Jordan selbst.

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